Enthüllung: Correctiv traf sich häufiger mit Bundesregierung als bislang bekannt

enthüllung: correctiv traf sich häufiger mit bundesregierung als bislang bekannt

Correctiv-Geschäftsführer David Schraven (l.) und Claudia Roths Behördenleiter Andreas Görgen: Sie trafen sich im November 2022 zu einem Austausch über russische Exiljournalisten. Correctiv wird unter anderem von der Kulturstaatsministerin gefördert.

David Schraven, Geschäftsführer des Rechercheportals Correctiv, und mehrere Vertreter der früheren Bundesregierung unter Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich im Juni 2020 zum nichtöffentlichen „Gedankenaustausch“ im Bundesinnenministerium getroffen.

Das berichtete kürzlich die Berliner Zeitung. Nach offiziellen Angaben sprachen sie über die Bekämpfung von „Desinformation“ im Kontext der Corona-Pandemie. Auf Anfrage teilten mehrere Ministerien mit, weitere Treffen dieser Art habe es nicht gegeben – weder auf Staatssekretärsebene noch in den Ebenen darunter.

Jetzt kommt heraus: Nach dem 2. Juni 2020 fanden mindestens zwei weitere Treffen von Regierungsvertretern, Correctiv-Geschäftsführer David Schraven und weiteren Faktencheckern statt. Das geht aus der Antwort von Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten und wirtschaftspolitischen Sprechers Leif-Erik Holm hervor, die der Berliner Zeitung exklusiv vorliegt. Holm hatte die Bundesregierung am 31. Januar schriftlich angefragt, wann und aus welchem Anlass sich Vertreter von Bundesministerien und -behörden mit Journalisten von Correctiv in den vergangenen Jahren zu Gesprächen getroffen hatten.

Laut Hebestreit fand rund anderthalb Monate nach dem Treffen, über das die Berliner Zeitung berichtet hatte, erneut ein Austausch „zum Thema Desinformation“ statt. Am 15. Juli 2020 trafen sich David Schraven, der frühere Regierungssprecher Steffen Seibert und „andere Faktenchecker“, wie es in Hebestreits Antwort heißt.

Dann wird in Hebestreits Schreiben ein weiterer Termin verzeichnet: Am 28. November 2022 traf sich Schraven mit Andreas Görgen, dem Behördenleiter von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), zu einem „Austausch“. Sie hatten über „russische Exiljournalisten“ gesprochen, ist in der Antwort zu lesen. Auf Anfrage der Berliner Zeitung bestätigte eine Sprecherin der Kulturstaatsministerin das Treffen und teilte mit, sei es dabei um Programme gegangen, mit denen russische Exiljournalisten „unterstützt werden“ könnten.

Correctiv erhielt in den vergangenen Jahren Gelder aus dem Hause der Kulturstaatsministerin im Kanzleramt und Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth. So förderte sie das Correctiv-Projekt „Lokaljournalismus qualifizieren, Demokratie stärken“ in den Jahren 2022 und 2023 mit insgesamt 199.000 Euro. Das geht aus einer Antwort des Finanzministeriums auf eine andere Anfrage des AfD-Abgeordneten Holm hervor, die der Berliner Zeitung ebenfalls vorliegt.

Laut Hebestreit besteht weder eine Verpflichtung zur Erfassung sämtlicher Treffen, noch habe man eine entsprechende Dokumentation durchgeführt. Gesprächsinhalte würden ebenfalls nicht protokolliert. Man habe innerhalb der üblichen Frist von einer Woche lediglich Daten zu den Bundesministerien, dem Bundeskanzleramt, der Beauftragten für Kultur und Medien sowie dem Bundespresseamt ermitteln können – „umfassende Ressortabfragen“ habe man nicht leisten können. Heißt: Möglicherweise sind die Informationen, die Hebestreit anführt, nicht vollständig.

Ein weiterer Journalist, der in der Antwort des Regierungssprechers auf Holms neueste Anfrage erwähnt wird, ist der Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels. Er hat, so ist in der Antwort zu lesen, an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Presse, Medien und wir?!“ am 28. November 2023 teilgenommen. Auch Hebestreit selbst war auf dem Podium vertreten. Der Ort und die weiteren Teilnehmer wurden nicht genannt – danach hatte Holm jedoch auch nicht gefragt.

Auf Anfrage der Berliner Zeitung teilt Justus von Daniels mit, die Podiumsdiskussion habe am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Berlin stattgefunden. Es habe sich um eine Schülerdiskussion gehandelt, „zu der ich als Teilnehmer auch eingeladen war“. Eine öffentliche Veranstaltung also, die für Correctiv nicht ungewöhnlich ist: So tritt Correctiv-Geschäftsführer David Schraven immer wieder in Podien, Talks und Panels auf, zu denen Journalisten, NGOs, Sprecher sozialer Netzwerke oder Regierungsvertreter eingeladen sind.

Der letzte derartige Termin war laut Hebestreit ein Podiumstalk zum Thema „Desinformation und Fake News – wie gehen wir damit um?“ am 22. Oktober 2022 auf der Frankfurter Buchmesse. Schraven diskutierte mit der stellvertretenden Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. In der Antwort der Bundesregierung werden drei weitere öffentliche Panels genannt, an denen Schraven seit 2019 teilgenommen hat. Themen waren Desinformation, Fake News und digitale Kommunikation.

Die Berliner Zeitung fragte auch das Bundespresseamt um detaillierte Informationen an: Wo traf sich Schraven mit Ex-Regierungssprecher Seibert, liegen genauere Informationen zu den Gesprächsinhalten vor? Das Bundespresseamt sah sich außerstande, die Anfrage bis Redaktionsschluss zu beantworten. Eine Anfrage der Berliner Zeitung zu den Details seiner Treffen mit Seibert und Görgen ließ Correctiv-Gründer David Schraven ebenfalls unbeantwortet.

Ende Januar hatte er gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, bei derartigen Treffen handle es sich um „unverbindliche Gespräche“. Man führe über diese zudem „kein Buch“. Der Correctiv-Geschäftsführer weiter: „Es kann sein, dass es weitere Gespräche gab, warum auch nicht.“ Es komme „grundsätzlich immer mal wieder vor“, dass sich Mitarbeiter von Correctiv mit Ministeriumsmitarbeitern unterhalten oder zu einer Gesprächsrunde eingeladen würden.

Der AfD-Politiker Leif-Erik Holm sieht sich dagegen in seiner Skepsis gegenüber Correctiv bestärkt: Die Frage, „wie unabhängig Correctiv wirklich ist und agiert“, stellt sich ihm zufolge nach den Recherchen der Berliner Zeitung und der jüngsten Antwort der Bundesregierung „immer lauter“.

Zuvor hatte auch der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) gegenüber der Berliner Zeitung kritisiert, angesichts des Treffens von Correctiv und Regierungsvertretern im Bundesinnenministerium am 2. Juni 2020 entstünde der Eindruck, „dass Transparenzmaßstäbe an Dritte, insbesondere Politiker, angelegt und mit Vehemenz eingefordert werden, die Correctiv nicht selber erfüllt“. Später ergänzte er in einem Post auf Facebook, Correctiv hätte selbst zur Aufklärung beitragen können, „auch um die Frage zu klären, wie im Juni 2020 zum Beispiel der Begriff der ‚Desinformation‘ nach Ansicht der Teilnehmer definiert wurde“.

Holm geht in seinen Vorwürfen jedoch noch weiter. Natürlich könne man sich „hinter verschlossenen Türen mit Regierungsvertretern und hochrangigen Ministerialbeamten treffen“, sagte er der Berliner Zeitung. Man wirke jedoch „eher wie eine Agentur, die der Regierung ihre Propagandadienste verkauft“, wenn man auf gemeinsamen Veranstaltungen „öffentlich ins gleiche Horn“ wie die Sprecher der Regierung blase und „gleichzeitig Staatsgelder in Millionenhöhe“ abgreife, schäumt der AfD-Bundestagsabgeordnete. Für ihn sehe das nach „kritischem, unbequemen und vor allem unabhängigen“ Journalismus „ganz und gar nicht aus“.

Zuletzt hatte sich Holm in der ARD-Talkshow „hart aber fair“ zuversichtlich gegeben, dass ein AfD-Parteiverbot „nach hinten losgehen“ werde. Die AfD stehe „fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, betonte der Politiker. Dem Verfassungsschutz unterstellte er, dieser sei zum „Regierungsschutz“ mutiert.

Die Debatte um ein mögliches Verbot der AfD hatte eine Correctiv-Recherche maßgeblich angeheizt; demnach hätten mehrere Politiker von AfD, CDU und Werteunion gemeinsam mit Rechtsextremen Ende November vergangenen Jahres über die „Remigration“ von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund konferiert.

Correctiv übersetzt das Remigrationskonzept des Rechtsextremen Martin Sellner mit „millionenfacher Vertreibung“. Die AfD bestreitet bis heute eine ideologische Nähe zu Sellner und anderen rechtsextremen Teilnehmern des „Geheimtreffens“ in Potsdam – obwohl Parteichefin Alice Weidel seither zwei ihrer Mitarbeiter entlassen hat, die bei dem Treffen waren.

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