Sadiq Khan: Londons Bürgermeister will für Spannung sorgen
Nachfolger von Boris Johnson als Bürgermeister: Sadiq Khan auf einer Wahlkampfveranstaltung in London
Londons Bürgermeister Sadiq Khan zeigt größeren Respekt vor den Erfolgsaussichten seiner konservativen Konkurrentin Susan Hall, als es deren Umfragewerte und Wahlkampfauftritte bisher rechtfertigten. Es werde „ein knappes Rennen“, prophezeite Khan unlängst. Er regiert seit acht Jahren die britische Hauptstadt – und stellt sich am Donnerstag wie zahlreiche weitere Bürgermeister in England der Wiederwahl.
Bürgermeister Sadiq Khan zum Ende des Ramadans auf dem Trafalgar Square in London
Khan, dessen Eltern aus Pakistan stammen, holte 2015 den Londoner Spitzenjob für die Labour Party zurück. Zuvor hatte der spätere Premierminister Boris Johnson den Posten zwei Wahlperioden lang für die Konservativen inne. Khans Erfolg wurde damals als Beispiel für die weltoffene, kulturell vielfältige Metropole gewertet, die er fortan repräsentieren wollte. Doch zuletzt zeigte sich der Bürgermeister eher griesgrämig und kurz angebunden. Seine Stadt drücken im Zuge der Inflations- und Wirtschaftskrise vor allem soziale Sorgen, und der Brexit hat die Einwanderung von außerhalb Europas noch verstärkt.
Susan Hall im April in London
Händler mit Lieferwagen laufen Sturm
Scharf ist vor allem der Streit um umweltbedingte Verkehrseinschränkungen geworden. Seit einem halben Jahr müssen alle Autofahrer, deren Fahrzeuge nicht den aktuellen (europäischen) Abgasnormen entsprechen, eine Tagesgebühr von umgerechnet elf Euro entrichten, wenn sie auf Londoner Straßen und damit in der Umweltzone ULEZ unterwegs sind.
Überall am Stadtrand erfassen Kameras die Kennzeichen; eine zentrale Datenauswertung ordnet die Nummernschilder den Fahrzeugen und deren Schadstoffdaten zu. Die Bußgelder, die vor allem uninformierte Ausländer zahlen müssen, deren Autos nicht in der ULEZ-Datenbank erfasst sind, liegen bei rund 200 Euro täglich – bis Ende Februar wurden mehr als 600.000 solcher Strafen verhängt, die von einer privaten Inkassogesellschaft auch im Ausland eingetrieben werden.
Die ULEZ-Erweiterung hat eine Frontlinie zwischen den innerstädtischen Bezirken und den äußeren Vorstädten und Wohnvierteln gezogen. Während Khan in den Innenstadtbezirken mit seiner Begründung Beifall erntete, nur auf diese Weise würden Kranke und Kinder wirksam vor Luftschadstoffen geschützt, wandten sich im äußeren Stadtgürtel viele kleine Händler und Gewerbetreibende, deren Lieferwagen die strengen Schadstoffnormen nicht erfüllen, gegen ihn.
Auf dem Höhepunkt der Debatte im vergangenen Sommer gewannen die Konservativen entgegen allen Erwartungen eine Nachwahl zum Unterhaus im Londoner Vorort Uxbridge – es ging um das von Boris Johnson niedergelegte Mandat. Der Sitz war einer der wenigen, die zuletzt bei Nachwahlen nicht an die linke und liberale Opposition fiel.
Khan steckt in der Gaza-Klemme
Die Lehre, welche die konservative Bürgermeisterkandidatin Hall, die aus dem benachbarten Harrow stammt, daraus gezogen hat, lautet knapp: „Ich schaffe ULEZ am ersten Tag wieder ab.“ Doch Hall erzeugt in Verkehrsfragen selbst Zweifel an ihrer Kompetenz. Neulich hatte sie in einer Debatte den Preis einer Londoner Busfahrkarte von umgerechnet knapp zwei Euro nicht parat, ein anderes Mal war ihr entfallen, in wessen Zuständigkeit die Reparatur der Hammersmith Bridge fällt – einer wichtigen Verbindung über die Themse, die wegen Baufälligkeit seit Jahren geschlossen ist.
Die konservative Kandidatin hat auch mit rasch verbreiteten, später bereuten Kurznachrichten auf sich aufmerksam gemacht, etwa mit der Bemerkung, Khan sei „der Bürgermeister von Londonistan“. Solche Anspielungen auf die Herkunft des Amtsinhabers illustrieren den Gegensatz zwischen der Lebenswelt der bürgerlichen Vororte und der von ethnischen Minderheiten geprägten inneren Stadtviertel.
Der Gazakrieg hat diesen Kontrast nochmals verschärft. Während die Konservativen vor den propalästinensischen Protestzügen warnen, die samstags durch London ziehen, sieht sich die Labour Party eher an der Seite der palästinensischen Sache – ohne in ihrer Unterstützung so bedingungslos sein zu wollen, wie viele muslimische Aktivisten es von ihr verlangen.
Auch Sadiq Khan steckt in dieser Klemme. Er hat einerseits mit Forderungen an Israel nach sofortigem Waffenstillstand für die Palästinenser Partei ergriffen, was nicht nur jüdische Wähler in London irritiert, ist andererseits aber nach Ansicht vieler muslimischer Minderheiteninitiativen nicht deutlich genug gewesen.
Khan blickt schon auf die Parlamentswahl
Der konservative britische Innenminister James Cleverly warf Khan jüngst vor, er kümmere sich „mehr um Gaza als um die schwarzen Kids, die im Südosten Londons an Messerstechereien sterben“. Der Sprecher des Bürgermeisters verwahrte sich gegen solche „niederträchtigen Kommentare über den Tod von Kindern, die keine Antwort wert sind“. Tatsächlich ist die Zahl der tödlichen Messerangriffe in London seit vielen Jahren nicht gesunken, sondern weiter gestiegen. Immer wieder kommt es zu bestürzenden Vorfällen, in denen Jugendliche Altersgenossen auf der Straße attackieren, oft mit tödlichen Folgen.
Khan benennt bislang meist andere Gründe für diese Entwicklung. Die Zahl der Jugendclubs und die Intensität der sozialen Dienste sei gesunken, weil die konservative Zentralregierung den Kommunen immer weniger Zuschüsse zahle, argumentiert der Bürgermeister. Und leitet daraus eine Wahlwerbung ab: Den Londonern biete sich jetzt eine „maximale Gelegenheit“, ihn, den Labour-Bürgermeister, im Amt zu bestätigen und bei den demnächst fälligen Unterhauswahlen einen Labour-Premierminister ins Amt zu wählen. Denn dann würden endlich alle an einem Strang ziehen, um Fortschritte für London zu erreichen.
Tatsächlich hängt die Position des direkt gewählten Bürgermeisters ein wenig schief im britischen Verfassungsgefüge, in dem die Zentralregierung viele Kompetenzen hat und lokale Angelegenheiten meist von Gemeinderäten erledigt werden, in denen der jeweilige Mehrheitsführer dann auch als exekutiver Chef fungiert. Trotzdem hat die Londoner Bürgermeisterposition, die es in dieser Form erst seit dem Jahr 2000 gibt, für Großbritannien einen Vorbildcharakter gehabt.
Seit 2015 hat auch der Großraum Manchester einen „Mayor“, ein halbes Dutzend weiterer Ballungsräume vor allem im Norden Englands folgten. Zwei dieser Bürgermeister stellen gegenwärtig die Konservativen (in Tees Valley und den West Midlands), beide stehen am Donnerstag gleichfalls zur Wiederwahl. Sollte einer von ihnen oder gar beide ihre Ämter verteidigen können, wäre das für Sunaks Konservative ein ermutigendes Zeichen für die Unterhauswahl.