Sinnvoller Schritt oder Grenzüberschreitung?: Was sich durch das Demokratiefördergesetz ändern soll

Die Kritik der Opposition an dem Ampel-Projekt ist heftig und geht bis „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. Ist die Förderung von Projekten gegen Extremismus wirklich neu und links?

sinnvoller schritt oder grenzüberschreitung?: was sich durch das demokratiefördergesetz ändern soll

Im Internet kommt es zu einer zunehmenden Enthemmung. HateAid will dagegen vorgehen.

Die Bundesregierung ist „maßlos enttäuscht“. Eine Regierungspartei weigert sich, das geplante Demokratiefördergesetz zu beschließen. Mit „destruktivem Handeln“ werde die Arbeit der Koalition beschädigt, poltert ausgerechnet Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), im April 2021, Adressat: die eigene Unionsfraktion. Damals weigerten sich die Abgeordnete, das gemeinsame schwarz-rote Projekt zu beschließen.

Jetzt, knapp drei Jahre später, startet die Ampel-Regierung einen weiteren Versuch mit dem Gesetz. Diesmal kündigen Teil der FDP an: Das wird es mit uns niemals geben. Was steckt hinter dem Gesetz mit dem ominösen Namen? Und warum reicht die Kritik bis zur „Einschränkung der Meinungsfreiheit“? Die wichtigsten Antworten:

Wofür will die Ampel ein Demokratiefördergesetz?

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) können sich auf den Koalitionsvertrag berufen. Darin ist das Demokratiefördergesetz als Projekt verabredet. Die Idee: Es soll ein gesetzlicher Auftrag geschaffen werden, um zivilgesellschaftliches Engagement für die Demokratie und gegen Extremismus dauerhaft fördern zu können.

Dafür gibt es weder Anlass noch Bedarf.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) über die Bedenken des Mittelmissbrauchs.

Dem Familienministerium zufolge geht es auch um das politische Signal an zukünftige Haushaltsgesetzgeber, dieses Anliegen im Staatsbudget abzusichern. Der Bund soll selbst tätig werden oder Fördergeld verteilen können.

„Zu einer wehrhaften Demokratie gehört, sie lebendig zu machen, sie zu stärken, sie zu fördern“, sagte Paus, als der Gesetzentwurf im Frühjahr 2023 in erster Lesung in den Bundestag eingebracht wurde. „Attacken gegen Migrantinnen und Migranten, Jüdinnen und Juden, gegen Muslime, Queere, Behinderte und Frauen sind Angriffe auf unsere ganze Gesellschaft.“ Explizit genannt wird im Gesetz auch der Kampf gegen Hassrede im Internet.

Was würde sich durch das Gesetz ändern?

Bisher geschieht die Förderung im zivilgesellschaftlichen Bereich nahezu ausschließlich projektorientiert. Vereine schlagen demnach Projekte vor und kriegen dafür für eine bestimmte Zeit Geld. Ist das Projekt vorbei, hören auch die Zuwendungen auf. Die Vereine müssen so selbst bei erfolgreichen Projekten spätestens alle zwei Jahre um Geld kämpfen. Eine langfristige Planung ist so kaum möglich. Künftig sollen mehr Projekte eine sogenannte institutionelle Förderung bekommen, die fest im Haushalt hinterlegt ist.

Schon heute gibt es auch längerfristige Förderung, zum Beispiel über das Programm „Demokratie Leben“. Dieses richtet sich aber explizit nur an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Mit dem neuen Gesetz wäre es auch möglich, Projekte für Erwachsene zu finanzieren.

Seit wann wird darüber gestritten?

Der Entwurf für das Gesetz wurde schon im Dezember 2022 vom Bundeskabinett beschlossen, im Frühjahr 2023 in erster Lesung in den Bundestag eingebracht – aber seitdem geht es nicht voran. Einen ersten Anlauf für ein solches Gesetz hatte schon die Koalition aus CDU und SPD.

2018 hatte es die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) nach rechtsextremistischen Ausschreitungen in Chemnitz vorgeschlagen. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer unterstützte das Projekt – bis es Unionsfraktion im Wahlkampf 2021 stoppte.

Warum ist das Gesetz so umstritten?

Für Konflikte sorgt vor allem, was im Entwurf nicht drinsteht: nämlich eine sogenannte Extremismusklausel. An diesem Streit scheiterte das Projekt schon unter der Ägide von Horst Seehofer. Diese soll laut FDP und Union bewirken, dass alle, die finanzielle Förderung bekommen, sich aktiv und schriftlich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen müssen. Erfunden hat sie 2010 die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Schon der „Anschein“ von Extremismus müsse vermieden werden.

SPD und Grüne waren schon damals dagegen – und sind es noch heute: „Dafür gibt es weder Anlass noch Bedarf“, sagt Ministerin Lisa Paus im März 2023 im Bundestag. Zum Beispiel habe es beim bestehenden Bundesprogramm „Demokratie leben!“ in mehreren Tausend Einzelprojekten keinen Mittelmissbrauch gegeben. Es sei absurd, „jenen Menschen grundsätzlich zu misstrauen, die sich für unsere Demokratie einsetzen und dafür ein komplexes Antragsverfahren durchlaufen“.

Eine weitere grundsätzliche Kritik von Liberalen und Konservativen besteht darin, dass laut ihnen vorrangig „linke Organisationen“ durch das Gesetz gefördert würden. Genannt werden häufig die Amadeu-Antonio-Stiftung oder das Projekt „Hate Aid“, das Betroffene gegen Hass im Internet unterstützt. Das Demokratiefördergesetz diene demnach lediglich als Vehikel, um diese Organisationen langfristig mit Staatsgeld auszustatten.

Ebenso umstritten ist, ob die Bekämpfung von nicht-strafrechtlich relevanter Hassrede überhaupt eine Staatsaufgabe sein soll. So warnte etwa der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries vor einem „staatlich finanzierten Pranger“. Dieser Konflikt wurde zum Beispiel schon rund um die sogenannte Meldestelle für Antifeminismus der Amadeu-Antonio-Stiftung ausgefochten. Diese bemühte sich später, klarzustellen, dass keine Einzelpersonen an den Pranger gestellt würden.

Ist die Förderung von Projekten gegen Extremismus neu?

Nein. Die Bundesregierung fördert seit 1992 Maßnahmen, die bei jungen Menschen der Entwicklung rechtsextremistischer Orientierungen vorbeugen sollen und demokratisches Denken fördern sollen. Startpunkt war das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) von 1992 bis 1996. Allerdings wächst der finanzielle Aufwand seitdem deutlich an. Seit 2001 fördert das Bundesfamilienministerium ebenfalls Programme gegen politischen Extremismus – nicht nur gegen Rechts-, sondern auch gegen Linksextremismus, Islamismus oder Antisemitismus.

Seit der Aufdeckung der rechtsextremistischen Mordserie durch den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) wurde die Förderung deutlich erhöht. Vor allem Opferberatung und Prävention werden seither stärker unterstützt. Seit 2015 gibt es das Programm „Demokratie Leben!“, das rund 700 Projekte pro Jahr fördert. 2020 standen dafür rund 100 Millionen Euro zur Verfügung, die Summe verdoppelte sich zuletzt nahezu auf 183 Millionen Euro im Jahr 2023.

Vereine fordern sogar bis zu 500 Millionen Euro. Seit etwa fünf Jahren wird von der Bundesregierung auch verstärkt Geld gegen sogenannte Hass-Rede investiert. Dies ist umstritten.

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