Russland vor der Offensive: In welche Richtung stoßen Moskaus Truppen vor?
Ukrainer bauen Schützengräben und mehrere Verteidigungslinien in ihrem Krieg gegen Russland aus.
Die kürzlich beschlossenen amerikanischen Waffenhilfen werden in der Ukraine dringend erwartet – bis dahin wird Russland jedoch versuchen, so viel Territorium wie möglich zu besetzen und Fakten im Donbass zu schaffen. Über eine Großoffensive auf die Millionenstadt Charkiw, nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt, wird derzeit hitzig spekuliert.
Doch bevor die Russen wieder versuchen werden, für mehr Bewegung im Stellungs- und Zermürbungskrieg im Osten und Süden der Ukraine zu sorgen, stehen Wladimir Putins Streitkräften mehrere Optionen bevor.
Wie das Institute for the Study of War, eine Militärdenkfabrik aus Washington, schreibt, soll das Erreichen der Verwaltungsgrenzen der Region Donezk weiterhin höchste Priorität unter russischen Militärs genießen – in diesem Fall würden sich die russischen Truppen auf einen Vormarsch gen Pokrowsk, eine mittelgroße Industrie- und Bergbaustadt im westlichen Donezk-Gebiet, konzentrieren. Pokrowsk gilt unter Beobachtern der Lage in den Frontgebieten als realistischstes Ziel der russischen Verbände.
Karte: Lilian Wilson/Berliner Zeitung
Vergangene Schlachten rund um den Ort Awdijiwka zeigen jedoch, dass russische Truppen in der Regel mehrere Monate brauchen, um selbst kleinere Siedlungen und Dörfer in ihrem Krieg gegen die Ukraine einzunehmen – schließlich haben die ukrainischen Streitkräfte in den vergangenen Monaten ihre Verteidigungslinien im Osten des Landes massiv ausgebaut. Auch deshalb sind sich russische Militärblogger uneins, in welche Richtung Moskaus Truppen in den kommenden Tagen vorrücken werden.
Eine Intensivierung der Kämpfe rund um die bedeutende Anhöhe in Tschassiw Jar, etwa 80 Kilometer nördlich von Donezk, stellt demnach eine weitere Option für die russische Militärführung dar. Von Tschassiw Jar aus sind es dann nur noch weniger als 25 Kilometer Luftlinie bis zu den großen – unter Kiews Kontrolle stehenden – Städten wie Kramatorsk oder Slowjansk. Diese sind als Umschlagort sowie für die Logistik der ukrainischen Armee eminent wichtig.
Währenddessen verzeichnete Russland, laut übereinstimmenden Berichten von ukrainischen und russischen Militärbloggern, einzelne wenige militär-taktische Gewinne im Kriegsgebiet. Es habe ein leichtes Vorrücken der russischen Truppen gegeben, zu einem Durchbruch wie in der Siedlung Otscheretyne in der vergangenen Woche kam es jedoch nicht. Dort sorgte ein kommunikatives Missverständnis für Aufsehen, da ukrainische Truppen ohne große Gegenwehr ihre Stellungen an Russland verloren. Die Berliner Zeitung berichtete.
Während das politische Kiew unter Präsident Wolodymyr Selenskyj weiterhin nach Verantwortlichen sucht, äußerte sich der Kompaniechef der Brigade, Mykola Melnyk, auf Facebook. Er schrieb, ukrainische Einheiten seien von ihren Stellungen geflohen und hätten „Mist gebaut“. Kremlnahe Militärblogger berichten derweil, dass russische Truppen das nächste Dorf nach der Einnahme von Otscheretyne anvisieren: nämlich das nordwestlich gelegene Nowooleksandriwka.
Außerdem gab das russische Verteidigungsministerium bekannt, dass russische Truppen die Siedlung Semeniwka, westlich von Awdijiwka, eingenommen hätten. Zuvor erklärte der Oberbefehlshaber der Ukraine, Oleksandr Syrskyj, seine Soldaten würden sich aus dem Dorf zurückziehen.