Russischer Giftgaseinsatz in der Ukraine? Details zur neuen Horrorwaffe „Drachen“
Abschuss einer thermobaren TOS-1-Rakete der russischen Armee
Nach Meldungen über den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen im Ukraine-Krieg durch die russische Armee haben die USA Sanktionen gegen russische ABC-Streitkräfte (atomar, biologisch, chemisch) sowie eine Reihe russischer Institute, Unternehmen und Manager verhängt.
Zuvor hatte Washington erklärt, die russische Armee setze „die chemische Waffe Chlorpikrin gegen ukrainische Streitkräfte“ ein.
Russland soll, ebenfalls unter Verstoß gegen die 1997 in Kraft getretene Chemiewaffenkonvention, auch „Aufstandsbekämpfungsmittel“ oder Tränengas eingesetzt habe. Die Behauptung bezieht sich auf Aussagen ukrainischer Truppen, sie seien in den letzten Monaten vermehrt mit Gas und anderen chemischen Reizstoffen konfrontiert worden.
Chlorpikrin gilt als lungenschädigendes Mittel, das schwere Reizungen der Haut, der Augen und der Atemwege verursachen kann. Die Chemikalie wurde im Ersten Weltkrieg als Giftgas eingesetzt. Heute dient sie zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft sowie zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit von Gasmasken oder zu Schulungszwecken. Die Nutzung als Kampfstoff ist gemäß der Chemiewaffenkonvention untersagt.
Bereits im März hatten die ukrainischen Streitkräfte in den sozialen Medien von mehr als tausend Vorfällen berichtet, bei denen Russland „Tränengasmunition mit giftigen Chemikalien, die für die Kriegsführung verboten sind“, eingesetzt habe. 250 seien es allein im Februar gewesen. Der Einsatz der Chemikalien wird mit dem Ziel in Verbindung gebracht, die ukrainischen Streitkräfte aus befestigten Stellungen zu vertreiben und taktische Gewinne auf dem Schlachtfeld zu erzielen.
Der Kreml hat die amerikanischen Vorwürfe entschieden zurückgewiesen. Die Anschuldigungen seien „vollkommen unbegründet“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau. Russland komme seinen „völkerrechtlichen Verpflichtungen“ in diesem Bereich nach.
Schon wenige Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine Ende Februar 2022 waren Spekulationen über den möglichen Einsatz von Giftgas laut geworden. Wie die Tagesschau damals meldete, hatte das ukrainische Asow-Regiment in seinem Telegram-Kanal von einem angeblichen Giftgas-Angriff berichtet. Eine unbekannte Substanz sei mit einer Drohne über der umkämpften Stadt Mariupol abgeworfen worden. Den Asow-Angaben zufolge litten die getroffenen Personen unter Atembeschwerden und Bewegungsstörungen. Der ukrainische TV-Sender Suspilne teilte später jedoch mit, es gebe keine Bestätigung durch offizielle Stellen.
Auch russischerseits wurden Meldungen über angebliche Giftgas-Einsätze durch ukrainische Truppen laut. Am 10. des Vormonats berichteten Quellen in den russischen Sicherheitsdiensten, ukrainische Drohnen hätten Glasflaschen mit einer giftigen Substanz abgeworfen. Experten zufolge habe es sich möglicherweise um weißen Phosphor oder Adamsit gehandelt. Beide Substanzen können die Lunge schädigen und den Herzschlag verlangsamen. Schon vor den Berichten waren russische Polizisten im grenznahen Gebiet Belgorod angewiesen, chemische Abwehrmittel mitzuführen.
Manöver 2014: Einsatzvorbereitung eines TOS-1-Raketenwerfers „Buratino“
Zu den Frontberichten aus der Ukraine gehören auch Sichtungen einer geheimen Weiterentwicklung des russischen Mehrfachraketenwerfers TOS. Das Waffensystem, bekannt als „Buratino“ oder „Putins Höllensonne“, verschießt sogenannte thermobare Munition und verbreitet allein durch die psychologische Wirkung beim Gegner Angst und Schrecken. Bislang sind nur wenige Details zur neuesten Version TOS-3 „Drache“ an die Öffentlichkeit gelangt. Seit einigen Tagen kursieren jedoch Meldungen, dass erste Prototypen des „Drachen“ an der russisch-ukrainischen Front im Einsatz sind.
Der 30-flammige Raketenwerfer, ein längliches Gestell mit Brand- oder thermobaren Raketen, wird auf einem Panzerchassis montiert und überragt wie eine lange Nase das Fahrgestell. Daher auch der Name „Buratino“ – Pinocchio auf Russisch.
Thermobare Munition wirkt in zwei Stufen. Schlagen die Sprengkörper ein, setzen sie eine leicht entzündliche Chemikalie frei, die sich sofort entzündet. Der Luft wird durch die schlagartige Verbrennung der Sauerstoff entzogen. Es folgt eine Druck- und Hitzewelle; die Einschlagstelle wird im Umkreis von 200 bis 400 Metern zur Todeszone. Dabei wird der anfänglich nicht verbrannte Teil der Ladung durch den Unterdruck zurückgesaugt, dringt in alle nicht luftdicht verschlossenen Objekte ein und verbrennt sie von innen. Erstickungen und Organschäden bei Mensch und Tier sind die Folgen, selbst dann, wenn sie sich während der eigentlichen Explosion außerhalb des Zerstörungsradius befinden.
Die Zweiphasenexplosion ist besonders wirksam gegen verschanzte oder befestigte Stellungen, da die erste Druckwelle tief in Strukturen oder Tunnel eindringen kann, bevor sich die tödliche Wirkung entfaltet. Wie es heißt, ist eine TOS-Explosion in etwa doppelt so stark wie die meisten konventionellen Bombenexplosionen. Die TOS-Raketenwerfer wurden bereits vor 1990 entwickelt und in Konflikten in Afghanistan, Tschetschenien, Irak und Syrien eingesetzt. Ihre Versatilität und Zerstörungskraft machen die TOS zu den gegenwärtig stärksten konventionellen Waffen. Dabei liegt der strategische Wert in der Fähigkeit, ein konzentriertes Gebiet beispiellos zu zerstören. Das macht die TOS zu einer gefürchteten Waffe gegen Truppenverbände, Verteidigungsstellungen und leichte Fahrzeuge. Die psychologische Wirkung des Waffensystems, das mit einer einzigen Salve immense Verwüstungen anrichten kann, kann nicht unterschätzt werden.
Die jüngste Entwicklung, der TOS-3 „Drachen“, fährt auf einem Panzerfahrgestell des T-72 oder T-90. Der „Drachen“ verfügt über einen automatisierten Werfermechanismus und ein integriertes Munitionsladesystem. Das soll die Effizienz der Nachladevorgänge, ein kritischer Faktor bei anhaltenden Kampfhandlungen, erheblich steigern. Die Reichweite liegt bei angeblich 15 Kilometern – mehr als das Doppelte der Vorgängerversion.
Laut dem britischen Militärgeheimdienst wurden die russischen Luftlandetruppen, die sowohl mit Hubschraubern als auch mit Fallschirmjägern operieren, in den vergangenen Wochen mit dem TOS-System ausgestattet. Bislang waren den Briten solche TOS-Einsätze wohl nicht bekannt. London sieht darin eine stärkere Einbindung dieser Truppengattung bei geplanten Offensivaktionen. Die russischen Luftlandetruppen hatten in den ersten Kriegsmonaten 2022 unter gravierenden Verlusten zu leiden.