HVO100 - Was bringt der neue Klimasprit? „Das ist höchstens was für Rentner mit Wohnwagen“

hvo100 - was bringt der neue klimasprit? „das ist höchstens was für rentner mit wohnwagen“

HVO100 ein Marketing-Ding für Leute, die es sich für das “grüne Gewissen” leisten können Getty Images

Mit Frittenfett das Klima retten? Ab dem Wochenende kann der „Klimasprit“ HVO100 auch an deutschen Tankstellen verkauft werden. Tatsächlich spart der Diesel-Ersatz jede Menge CO2 ein – zum Klimaretter taugt es trotzdem nicht, urteilen Experten. Selbst die Branche warnt vor überzogenen Erwartungen.

Lässt sich jetzt Klimaschutz ganz einfach tanken? Der neue Bio-Kraftstoff HVO100 verspricht es zumindest. Am Ostern machte der Bundesrat den Weg für den Diesel-Ersatz frei, am Mittwoch gab das Bundeskabinett seinen Segen – und jetzt kann der neue Wunder-Treibstoff an deutschen Tankstellen verkauft werden. Ab diesem Wochenende könnte es nach Angaben der Branchenverbände schon soweit sein.

Die Abkürzung HVO steht für „Hydrotreated Vegetable Oils“, zu deutsch also: Pflanzenöle, die mit Hilfe von Wasserstoff zu Kraftstoff verarbeitet werden. Meist handelt es sich dabei um alte Öle und Fette, die in der Gastronomie anfallen, Friteusen-Fett aus der Pommesbude etwa. Das ist der Grund, aus dem manchmal große Tanklaster vor dem Lieblings-Restaurant herumstehen – sie holen neues Rohmaterial für Bio-Kraftstoffe.

Was bringt der neue Klimasprit?

Aber bringen diese Kraftstoffe wirklich etwas fürs Klima? Oder ist HVO100 wieder nur ein PR-Gag? Tatsächlich ist die CO2-Einsparung beachtlich, sagen Experten. Denn die in den Ölen enthaltenen Pflanzen haben zuvor schon CO2 aus der Atmosphäre gebunden, im Gegensatz zu den Rohmaterialien fossiler Kraftstoffe. „Die CO2-Ersparnis beträgt bis zu 80 Prozent“, sagt Andreas Menne, Abteilungsleiter für „Low Carbon Technologies“ am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Elektrotechnik in Oberhausen.

Hier allerdings beginnt schon das erste Problem: Wir Deutschen erzeugen gar nicht so viele Pflanzenöle, um daraus genug Diesel-Ersatz für alle herstellen zu können. „So wahnsinnig viel ist das nicht“, sagt Menne zur Verfügbarkeit. Zwar werden Bio-Kraftstoffe stellenweise bereits in industriellem Maßstab hergestellt, wie das Bundesverkehrsministerium betont, und auch Branchenverbände weisen auf neue Produktionsstätten hin, die jetzt in ganz Europa entstehen. „Eine etwa 25-prozentige Steigerung der nachhaltigen Biokraftstoffmenge gegenüber dem Höchstwert der letzten Jahre ist möglich“, heißt es von Seiten des Bundesverbands Bioenergie (BBE).

Aber der Bestand an Altspeiseölen und sonstigen Rohstoffen ist äußerst begrenzt. Oder anders formuliert: Wir Deutschen müssten noch viel mehr Fritten essen. Bereits vor HVO100 wurden die pflanzlichen Reste nämlich beinahe vollständig in der Kraftstoff-Herstellung verwendet, nämlich als Beimischung für Dieselsorten wie B7 oder B10. Wenn diese Reste jetzt in HVO100 wandern, bliebe für die Beimischung weniger übrig. Bereits jetzt importieren Deutschland und Europa große Mengen der Reste aus dem Ausland – vor allem Asien. Das Fett im Tank stammt also meist von der Frühlingsrolle, nicht von der heimischen Fritte.

Öl für Klimasprit kommt aus China

„Also eigentlich hätte man gerne Palmöl“, erklärt Menne, weil sich das am besten zur Herstellung von Bio-Kraftstoffen eigne. „Zumindest für die Kraftstoffherstellung ist das in Europa aber nicht mehr zugelassen. Daher nimmt man gerne den Umweg, dass man sogenanntes ‘Used Cooking Oil’ nimmt, dieses kauft man auch auf dem asiatischen Markt, zum Beispiel China. Und die liefern das Öl dann in großen Schiffen zu uns.” Diese Öle enthalten zwar logischerweise auch Palmöl – das allerdings zur Lebensmittelzubereitung angebaut wurde und nicht extra für den europäischen Diesel-Hunger. “Das stellen Umweltorganisationen manchmal ein bisschen falsch dar”, sagt Menne. „Die Kraftstoffherstellung ist dann nur die Zweitverwertung.”

Welche Grundstoffe sich im verwendeten China-Öl oder der verwendeten Biomasse verbergen, lässt sich allerdings nur schwer nachvollziehen. In der Biodiesel-Branche schwelt schon seit Monaten der Verdacht, dass China in großem Stil “gefälschte” Stoffe noch Europa exportiert – die dann zum Beispiel doch originales Palmöl enthalten. „Ich muss da meinem Lieferanten ein Stück weit vertrauen“, sagt Menne. „Wenn ich Mittel und Wege suche, so ein System zu betrügen, dann werde ich Wege finden.“

Klimasprit wird zehn bis 15 Cent mehr als Diesel kosten

Ob der Anreiz vorhanden ist für eine groß angelegte Betrugsmasche, muss sich aber erst zeigen. Denn auf dem Markt dürfte es HVO100 schwer haben: Zehn bis fünfzehn Cent mehr kostet der Liter im Vergleich zum fossilen Diesel. Das Produktionsverfahren mit Wasserstoff ist kostenintensiv. Wird der Klima-Kraftstoff am Ende zum Ladenhüter?

„Ich glaube, das ist eher ein Nischen-Markt”, schätzt Menne. „Letztlich ist HVO100 ein Marketing-Ding für Leute, die es sich leisten können, damit die ein grünes Gewissen haben.“ Pendler und sonstige Vielfahrer werden lieber zur günstigeren Alternative greifen, vermutet der Experte. „Vielleicht ist das etwas für den Rentner, der einmal im Jahr mit dem Wohnmobil in den Urlaub nach Dänemark fährt, damit der sagen kann: Schaut her, ich fahre klimaneutral.”

HVO100 ein Marketing-Ding für Leute, die es sich für das „grüne Gewissen“ leisten können

Die zugrundeliegende Technologie ist also beeindruckend, aber sind Pkw wirklich der richtige Einsatzort für ein Wundermittel wie HVO100? “Aus meiner Sicht ist der Einsatz von HVO100 in Pkw Schwachsinn”, urteilt Menne. „Im Bereich Flugkraftstoffe sind solche Stoffe definitiv wichtig, denn Flugzeuge kann ich nicht mittelfristig elektrifizieren. Gleiches gilt für Schiffe, schwere Landwirtschaftsmaschinen und Baufahrzeuge. Dort sollte ein solcher Kraftstoff bevorzugt eingesetzt werden.”

Mittel- und langfristig führe im persönlichen Straßenverkehr kein Weg an der Elektromobilität vorbei, sagt der Experte. Das sieht nicht mal die Treibstoff-Branche anders. Wer sich unter Branchen- und Verbandsvertretern umhört, vernimmt durchaus Optimismus, aber immer gekoppelt mit der Mahnung vor überzogenen Erwartungen. HVO100 sei wichtig für die Übergangsphase, sagt ein Verbandsvertreter, aber welchen Anklang das bei den Kunden finden wird – das müsse man abwarten. Und fügt hinzu: “Der E-Mobilität gehört die Zukunft. Das wissen wir alle.“

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