Rentenrolle rückwärts

rentenrolle rückwärts

Hand in Hand gegen das Kapital: Hubertus Heil (rechts) unterstützte in dieser Woche Tekin Nasikkol, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden des Stahlkonzerns ThyssenKrupp.

Es war am 8. April 2016, mehr als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, als Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) den Rentenwahlkampf einläutete. „Wir brauchen eine große Rentenreform“, teilte er in München mit. „Riester ist gescheitert.“ Seehofer legte damals keine Vorschläge zur Reform der staatlich geförderten privaten Zusatzvorsorge vor, die den Namen des früheren SPD-Arbeitsministers Walter Riester trägt. Stattdessen zog die Union mit ihrer Forderung nach höheren Renten für Mütter vor 1992 geborener Kinder in den Wahlkampf. Und in der gemeinsamen Bundesregierung erhielt die SPD dann als Ge­gen­leistung die „Rente mit 63“ für langjährig Beschäftigte.

Der Vorgang steht sinnbildlich für einen radikalen Kurswechsel der Alterssicherungspolitik, über dessen Tragweite kaum diskutiert worden ist. Die Zielrichtung lässt sich so beschreiben: Weg mit den Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung, zurück ins alte Jahrtausend, in die Zeiten der CDU-Sozialpolitik Helmut Kohls und Norbert Blüms. Die erhöhte Mütterrente und die „Rente mit 63“ belasten die Rentenfinanzen seither mit zweistelligen Milliardenmehrausgaben im Jahr. Eine Reform oder Reparatur der Privatvorsorge und ihrer staatlichen Förderung lässt dagegen auf sich warten – obwohl Seehofers Diktum „Riester ist gescheitert“ schon 2016 von fast allen Parteien übernommen wurde.

Auch die Ampelkoalition setzt andere Prioritäten, wie ihr geplantes „Rentenpaket II“ zeigt. Dieses soll dafür sorgen, dass die gesetzliche Rente künftig schneller steigt als es das heutige Recht hergibt – und als Nebenfolge die Beitrags- und Steuerbelastung der jüngeren Generationen auch. Wie der von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im März präsentierte Gesetzentwurf ausweist, müssten die Zahler bald jährlich 30 bis 40 Milliarden Euro mehr aufbringen, um die erhöhten Ansprüche der dann im Ruhestand befindlichen Babyboomer zu bedienen.

Wirtschaftsweiser ist mit Rentenpaket unzufrieden

„Wir fallen zurück in alte Muster, die Dramatik des demographischen Wandels zu ignorieren“, sagt Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft und Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen der Universität Bochum. Mit diesem Rentenpaket könne man „überhaupt nicht zufrieden sein“. Durch den steigenden Steuerzuschuss des Bundes werde der Regierung umso stärker Geld für Zukunftsaufgaben fehlen, warnt er. „Wir geben bis zu 30 Prozent des Bundeshaushalts ab.“ Der Investitionsstau hat demnach mehr mit der Rente zu tun als mit der Schuldenbremse.

Unter denen, die heute schon ihre Rente beziehen oder kurz davor sind, kommt diese Politik durchaus gut an. Außerdem soll die Verheißung, dass schnellere Rentenerhöhungen ja auch die künftige Rentenhöhe positiv beeinflussen, die Jüngeren zum Zahlen motivieren. Deren Vertrauen, später den Lebensabend auf dieses System stützen zu können, ist aber angeknackst – wegen Zweifeln an dessen langfristiger Stabilität in einer alternden Gesellschaft, in der steigende Sozialausgaben die Spielräume für Innovation und Investitionen schrumpfen lassen.

Entschärfen lässt sich dieser Zielkonflikt, der zum Wesen der Umlagerente gehört, durch Elemente einer kapitalgedeckten Altersvorsorge. Sie folgt dem Prinzip des Ansparens und kann dank globaler Anlage auch dann erfolgreich sein, wenn es die ökonomischen Bedingungen im Inland schwieriger werden. Die Riester-Rente hätte das leisten sollen und können – spätestens nach einer gezielten Reparatur ihrer viel kritisierten Mängel.

Sozialdemokraten kehren ab von Reformen

Doch diese Reformaufgabe blieb politisch einfach liegen. Vor allem die Sozialdemokraten nutzen jene Mängel lieber als Rechtfertigung für eine Abkehr von jenen Reformen, die eigentlich die Umlagerente demographiefest machen sollten, nach dem Motto: Da die kapitalgedeckte Zusatzvorsorge nicht liefert, was sie soll, weiten wir die Leistungsversprechen des Beitragssystems wieder aus. Es war die rot-grüne Koalition, die den Nachhaltig­keitsfaktor in die Rentenformel eingefügt hat. Eine rot-grün-gelbe Koalition will ihn nun vor dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgängen abschalten.

Zwar taucht in politischen Verlautbarungen heute meist nur der Begriff „Mindestrentenniveau“ auf, tatsächlich geht es aber darum: Bisher schafft der Nachhaltigkeitsfaktor einen Lastenausgleich zwischen Generationen, wenn es mehr Rentner und weniger Zahler gibt. Mit ihm fallen die Rentenerhöhungen etwas geringer aus als der allgemeine Lohnanstieg, damit die ohnehin steigende Last der Zahler langsamer wächst. Das „Mindestrentenniveau“ verhindert genau dies.

Die SPD bemüht dafür freilich eine romantische Rhetorik: „Eine stabile Rente für fleißige Menschen ist kein Almosen, sondern eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und der Verlässlichkeit“, so formulierte es der Arbeitsminister gerade in der „Zeit“. Der Beitragsanstieg durch die Reform betrage nur einen Prozentpunkt und liege unter dem in Österreich, wo der Steuerzuschuss aber prozentual noch höher ist. Dort funktioniere es, „ohne dass das Land zusammenbricht“, sagt Heil.

Sozialminister Heil tut Kritik ab

Kritik aus dem Sachverständigenrat, von Werding oder der Ratsvorsitzenden Monika Schnitzer, wischt er damit weg, dass es ja noch den Wirtschaftsweisen Achim Tru­ger gebe, benannt von den Gewerkschaften und anderer Meinung. Wissenschaftliche Argumente sind für die SPD nur seriös, wenn sie ihre Ansichten stützen. Werding dagegen nennt die Renaissance der gesetzlichen Rente „einseitige Nostalgie“. Das österreichische System sehe aus der Ferne erfolgreicher aus, als es tatsächlich sei. „Es wird in der deutschen Wahrnehmung weit über Wert gehandelt.“

Eine Rückblende ins Jahr 2003 illus­triert, um was für eine Zeitenwende es gerade geht. Ulla Schmidt (SPD), Riesters Nachfolgerin als Rentenministerin, erklärte es im Bundestag damals so: „Um die gesetzliche Rentenversicherung als verlässliche Säule der Alterssicherung für die Menschen bewahren zu können, muss sie um zwei wichtige Faktoren ergänzt werden: erstens um den Nachhaltigkeitsfaktor und zweitens um eine verbesserte kapitalgestützte Säule.“ Nur so könne der seit mehr als 100 Jahren bewährte Grundsatz „Jung für Alt“ auch in Zukunft noch gelten.

Andrea Nahles (ebenfalls SPD), hat als Arbeitsministerin 2017 den letzten ernsthaften Versuch gestartet, Kapitaldeckung für mehr Arbeitnehmer in einer ergänzenden Altersvorsorge nutzbar zu machen. Ihr Betriebsrentenstärkungsgesetz erhielt damals viel Lob, das dort vorgesehene „Sozialpartnermodell“ gilt manchen Fachleuten sogar als Goldstandard für eine stärkere Alterssicherung. Aber bis heute ist die Chemieindustrie die einzige größere Branche, in der die Sozialpartner diese Chance ergriffen haben. Die IG Metall, die größte Gewerkschaft, vollzog sogar eine radikale Kehrtwende. Auf dem jüngsten Gewerkschaftstag setzten die Gegner kapitalgedeckter Vorsorge einen Beschluss durch, der den IG-Metall-Tarifpolitikern weitere Verhandlungen mit Arbeitgebern über ein Sozialpartnermodell verbietet.

IG Metall will neues Modell zur Betriebsrente nicht

„Das war stark emotional getrieben“, sagte der Europa-Betriebsratsvorsitzende von Liebherr, Rolf Ebe, der mit der IG Metall im Bezirk Südwest ein Modell ausgearbeitet hatte, kürzlich der F.A.Z. In drei bis fünf Minuten Redezeit auf einem Gewerkschaftstag gelinge es aber leider nicht „jemanden in der Tiefe mitzunehmen“. Er selbst habe sich in monatelanger Arbeit von den Vorzügen des Sozialpartnermodells über­zeugen und es guten Gewissens empfehlen können. „Es gibt in Deutschland eine fast irrationale Angst vor allem, was mit kapitalgedeckter Vorsorge zu tun hat“, sagt der Wirtschaftsweise Werding. In den Niederlanden könne jeder Jugendliche erklären, wie das System gegen fallende Kurse geschützt werde. „Hier fehlt ein elementares Verständnis für Absicherungsmöglichkeiten.“

Stattdessen wurde die Rolle rückwärts intensiv vorbereitet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung richtete riesterkritische Symposien aus, die Privatrente wurde wegen der florierenden Geschäfte für Finanzvertriebe zum Feindbild in Gewerkschafts- und SPD-Kreisen. „Man verwechselte aber die Kur Riester mit der Krankheit“, sagt jemand, der von Verbändeseite jahrelang über Riester verhandelt hat. „Man glaubte, wenn man die Kur bekämpfen würde, würde auch die Krankheit weggehen.“

ass sich Gewerkschafter mit einer Betriebsrente nach Nahles’ Sozialpartnermodell schwertun, findet er indes nachvollziehbar. „Hätte man den Gewerkschaften die Wahl gelassen, ob man eine Betriebsrente mit oder ohne Garantie macht, hätte man sie leichter auf die eigene Seite ziehen können“, sagt der Fachmann. Und eine Reform der privaten Säule, der Riester-Rente, sei dann systematisch verschleppt worden, da nicht mehr gewollt.

Die Balance zwischen den Säulen ging verloren

Nun sind die drei Säulen nicht mehr austariert: Die Regierung will den Nachhaltigkeitsfaktor stilllegen, und die kapitalgestützten Säulen stehen mit offenkundigem Reparaturbedarf herum. Zwar hat die Ampelkoalition noch ein „Rentenpaket III“ auf ihrem Arbeitsplan. Aber ihr Ar­beitsklima nährt Zweifel, ob daraus noch vor der nächsten Wahl ein ernstzunehmender Reformschritt wird. Vorarbeiten für eine Novelle des Betriebsrentenrechts sind angeblich schon weit gediehen.

Die FDP treibt zudem die Reform der dritten Säule, also der Riester-Säule, voran. Das läuft allerdings unter erschwerten Voraussetzungen, nicht nur, weil daneben noch ein Koalitionsstreit über das „Rentenpaket II“ zu bewältigen ist. „Wir können nicht mehr wettmachen, was in den vergangenen zehn Jahren nicht gespart wurde“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Florian Toncar, der F.A.Z.

Eine Arbeitsgruppe der Regierung zusammen mit Interessenverbänden hat dazu im vergangenen Jahr angeregt, in einer solchen Riester-Reform nicht auf einen Staatsfonds zu setzen, wie ihn etwa die Grünen fordern, sondern auf ein kostengünstiges, unkompliziert zu nutzendes Altersvorsorgedepot als individuelle Lösung.

Mindestsicherungsniveau ist teuer

Das Konzept eines Staatsfonds findet sich indes im „Rentenpakt II“ – in Gestalt des „Generationenkapitals“, mit dem die Koalition der Rentenkasse auf Drängen der FDP eine neue Finanzierungsquelle neben Beiträgen und Steuern erschließen will. Allerdings ist Heils „Mindestsicherungsniveau“ so kostspielig, dass das Generationenkapital in der derzeit geplanten Form höchstens ein Viertel der Mehrausgaben auffangen kann.

Den Gewerkschaften missfällt aber sogar diese Art der Kapitaldeckung, obwohl hier die Mittel aus der Staatskasse kommen und der Staat die Höhe der gesetzlichen Rente unabhängig vom Anlageerfolg garantiert. Umso fremder ist ihnen die Idee, mit individuellen Beiträge für eine Rente zu sparen, deren Höhe von den Finanzmärkten abhängt.

Und noch ein Hindernis kommt hinzu: Für Babyboomer, die in Gewerkschaften wie Parteien besonders stark vertreten sind, wäre es inzwischen fast zu spät, nach einer Riester-Reparatur noch mit dem Ansparen zu beginnen. Für sie ist es auch individuell vorteilhaft, wenn man die gesetzliche Rente schneller steigen lässt und die Kosten den nachfolgenden Generationen überlässt.

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