Wer war bitte Johannes Mario Simmel?

wer war bitte johannes mario simmel?

Pro Roman zerschliss Johannes Mario Simmel eine Schreibmaschine. Deshalb ;legte er sich einen Vorrat an. Sonntagsblick / Ullstein ; / Getty

Am 7. April dieses Jahres wäre Johannes Mario Simmel hundert Jahre alt geworden. Doch es ist still geworden um den einstigen Bestsellerautor, der mit rund 75 Millionen verkauften Büchern zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Romanciers überhaupt zählte. Nur wenige grössere Artikel sind zu seinem runden Geburtstag erschienen, und sie wirken eher pflichtschuldig als begeistert. Den heute unter Vierzigjährigen sagt sein Name kaum noch etwas. Die Originalausgaben seiner Bücher findet man am Laufmeter in den Brockenhäusern; im Antiquariatshandel sind auch signierte Erstausgaben billig zu haben.

Dass einer in so kurzer Zeit so gründlich abgeschrieben werden kann, ist erstaunlich, denn Simmels Romane galten im Gegensatz zu denjenigen seines Auflagen-Konkurrenten Heinz G. Konsalik (1921-1999) nie als blosse Trivialliteratur. Sie waren ein «Brand» und sickerten nicht einfach in den Markt ein wie die 2300 Groschenhefte von Helmut Rellergerd («John Sinclair»). Vielmehr waren sie Blockbuster: Alle zwei bis drei Jahre erschien ein dicker Band – immer pünktlich am 1. August.

In den 1960er und 1970er Jahren zierten die Schmöker buchstäblich jede Wohnwand. In farbigen, geschwungenen Lettern auf weissem Grund zogen sich die Romantitel über die Schutzumschläge. Meist bestanden sie aus ganzen Sätzen: «Es muss nicht immer Kaviar sein». «Und Jimmy ging zum Regenbogen». «Niemand ist eine Insel». «Liebe ist nur ein Wort». «Doch mit den Clowns kamen die Tränen».

Simmel wollte alle Missstände aus der Welt schaffen

Ästheten mochten das scheusslich finden, doch der Erfolg gab dem Autor wie dem Verlag recht: Simmel war nach Konsalik (85 Millionen verkaufte Bücher) der erfolgreichste deutsche Schriftsteller seiner Zeit. In seiner Verkaufsliga spielte nur noch Utta Danella (1920-2015). Die beiden Schwergewichte Günter Grass (40 Millionen) und Siegfried Lenz (30 Millionen) hätten sich schon zusammentun müssen, um in die Nähe von Simmels 75 Millionen zu kommen. Bei Hermann Hesse mit seinen weltweit 100 Millionen verkauften Büchern liegt der Fall anders. Sein ganz grosser Erfolg setzte erst postum und in den USA ein, als der künstlerisch konventionelle, aber lebensphilosophisch hochansteckende Autor zum Guru der Hippie-Ära wurde.

Im Gegensatz zum Kölner Konsalik, der eigentlich Heinz Günther hiess, aber den Namen seiner bulgarischen Mutter angenommen hatte und ein Leben lang seine Erlebnisse als Soldat an der Ostfront verbriet, war Simmel nie ein blosser Kolportageautor. Während Konsalik mit seinen 155 Soldaten-, Arzt- und Liebesromanen ein klischiertes Russlandbild zementierte und damit die Bedürfnisse jener Vertreter der Kriegs- und Nachkriegsgeneration bediente, die ihre Geschichte lieber verdrängten oder verklärten als aufarbeiteten, hatte Simmel als kritischer Moralist höhere Ziele. Der 1924 geborene Sohn eines Wiener Juden, der einen grossen Teil seiner Familie durch die Verbrechen der Nationalsozialisten verloren hatte, wandte sich nach der Ausbildung zum Chemieingenieur dem Journalismus zu und schrieb ab 1950 als hochbezahlter Reporter für die Zeitschrift «Quick».

«Mich wundert, dass ich so fröhlich bin», hiess Simmels 1949 erschienener Debütroman, dem rund dreissig weitere Bücher folgten. Simmel schrieb sie mit dem raschen, festen Zugriff des weitgereisten Starjournalisten und aus der Position des skeptischen, gegen jedes Unrecht empfindlichen Linken, der alle Missstände aus der Welt schaffen will: Krieg und Hunger, Alkoholismus und Drogensucht, Waffen-, Kinder- und Organhandel, Terrorismus, Umweltzerstörung und Ausländerhass. Den Kampf des Guten gegen das Böse (und der Guten gegen die Bösen) kleidete er in süffige Plots, in denen das Leben der Schickeria ausgeleuchtet und mit Liebesgeschichten angereichert wurde. Sein Frauenbild wirkt heute verschmockt, doch insgesamt war er ein Mann mit Haltung.

Ein gewissenhafter Handwerker

Als Erzähler legte er grossen Wert auf exakte Recherche: Bei Simmel stimmten die Fahrpläne und die Kochrezepte. Schludereien erlaubte er sich nicht. Dass die Literaturkritik ihn dennoch lange nicht gelten liess, verbitterte ihn und vergällte ihm bisweilen die Freude an den Millionen, die er mit seinen Büchern sowie deren Verfilmungen verdiente. Und als das deutsche Grossfeuilleton ihn in den 1990er Jahren doch noch rehabilitierte (Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser lobten ihn plötzlich in seltsamer Eintracht), kam die Geste zu spät für ihn. Seine letzten Jahre verbrachte Simmel zurückgezogen in der Steueroase Zug.

Ist ihm Unrecht geschehen? Ja und nein. Die Häme, mit der Simmel zeitweise bedacht wurde, hat er nicht verdient. Er war ein gewissenhafter Handwerker, der sich politisch und moralisch nicht kompromittierte. Seine Mischung aus Action, Liebe und Gesellschaftskritik bot spannende Ferienlektüre und garantierte volle Kassen. Ein Erzähler von literarischem Rang aber war er nicht. Dafür fehlte ihm der eigene Strich. Andere Vielschreiber von P. G. Wodehouse bis zu Georges Simenon sind auf Anhieb an ihrem Tonfall zu erkennen, an der raschen, sicheren Exposition ihrer Geschichten, ihrem Rhythmus, ihrem Sinn fürs sprechende Detail. Das macht – unabhängig vom jeweiligen Sujet – ihren Charme aus.

Charme aber war etwas, woran es Simmel als Autor gebrach. Er wollte zu hoch hinaus und überlud deshalb seine Romane mit einem Zuviel an Handlung, an Details, an Gesinnung. Es gab in dieser Prosa keine Schattierungen, nichts Leichtes oder Schwebendes. Dass Prägnanz und Stimmigkeit auch durch Weglassen entstehen können, ist ihm verborgen geblieben. Deshalb wird der Sozialist im legendären golden lackierten Cadillac wohl eher in der Medien- und Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland als in der Weltliteratur seinen Platz finden.

Daran wird auch die zum hundertsten Geburtstag des Autors erschienene Biografie der Werbefachfrau Claudia Graf-Grossmann kaum viel ändern. Ihre Darstellung ist erstaunlicherweise die erste eigentliche Lebensbeschreibung Simmels überhaupt. Die Quellenlage ist freilich schwierig: Der Nachlass liegt in Boston und ist bis 2079 gesperrt. Man tut Graf-Grossmanns Buch wohl nicht unrecht, wenn man es als wohlwollend und etwas brav charakterisiert. Was das Privatleben des Autors betrifft – sowohl seine frühen Jahre als auch die Zeit des Ruhms, der Heiraten und Scheidungen, des Luxuslebens in Monaco, des Rückzugs in die Schweiz, der Freundschaft mit Iris Berben –, so ist es informativ. Schwächen hat es dagegen überall dort, wo es um die Literatur selbst geht, die Stilanalyse, das kritische Einordnen.

Gegen Simmels Romane gab es schon immer einiges einzuwenden. Heute fällt das leichter denn je. Aber wenn wir uns die aktuellen Bestsellerlisten des deutschsprachigen Buchhandels mit Namen wie Martin Suter, Charlotte Link und Sebastian Fitzek anschauen, haben wir keinerlei Anlass, uns über die Generation, die Simmels Bücher verschlang, erhaben zu fühlen.

Am Sonntag, 28. April, finden im Kino Seehof in Zug die Buchpremiere der Biografie, eine Podiumsdiskussion und eine Filmvorführung von «Es muss nicht immer Kaviar sein» statt: kinozug.ch.

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