Reform der Filmförderung: Sender und Streamingdienste profitieren
Erfährt umfassend Kritik: Claudia Roth (hier aufgenommen bei den Festspielen in Bayreuth im Juli 2022).
Man stelle sich vor: Wäre Biontech ein deutscher Filmproduzent, so hätte er Kapital von dem internationalen Vertriebsunternehmen Pfizer benötigt, um den Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln. Wäre Pfizer ein Streamingdienst, so hätte dieser nur unter der Maßgabe investiert, die Rechte an den Patenten des Impfstoffs weltweit und zeitlich unbeschränkt zu erhalten. Ohne hinreichende staatliche Förderung wäre Biontech zu einem solchen Vertrag gezwungen gewesen, hätte vom weltweiten Erfolg des m-RNA-Impfstoffs nicht profitiert und könnte somit nicht ohne Weiteres in die Forschung und Entwicklung neuer Impfstoffe investieren. Und der Staat hätte steuerlich nicht von Biontechs Gewinnen profitiert, da diese ins Ausland gegangen wären.
Katharina Hiersemenzel verantwortet die Politikarbeit der Constantin Film.
Genau diesen Missstand finden wir gegenwärtig in der Filmproduktionsbranche vor. Deswegen soll die Investitionspflicht mit gesetzlich geregeltem Rechterückbehalt eingeführt werden. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass die Sender und Streamingdienste dort weiter sehr erfolgreich am Markt teilnehmen. Und dies, obwohl die seit 2021 existierende Investitionsverpflichtung deutlich höher und detailreicher ist als in Deutschland geplant. Für die französische Filmbranche hat sie sich – mit einem funktionierenden Anreizsystem – als voller Erfolg erwiesen.
Ingo Fliess ist Oscar-nominierter Filmproduzent („Das Lehrerzimmer“) und im Vorstand des Produzent*innenverbands e.V.
Drei Säulen der Filmförderung
Die Geschäftsführerin des Verbandes Privater Medien (Vaunet), Daniela Beaujean, betont in ihrem Gastbeitrag vom 10. April zutreffend, dass es bei der zurzeit diskutierten Filmförderreform um das Wohl der ganzen Branche gehen muss. Allerdings geht es der ganzen Branche nur dann gut, wenn TV-Sender und Streamingdienste ihren Teil beitragen. Schließlich sind sie die maßgeblichen wirtschaftlichen Nutznießer guter Filme und Serien, da mit höheren Zuschauer- oder Abonnentenzahlen die Einnahmen der Sender und Streamingdienste sowie die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steigen.
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, hat eine umfassende, wohldurchdachte und ausgewogene Reform der Filmförderung vorgeschlagen. Diese beruht im Wesentlichen auf drei Säulen: Die Förderung durch die Filmförderanstalt (FFA), die sich über eine Abgabe aller Verwerter (wie etwa der Kinos) finanziert, soll von einer Jury-abhängigen Vergabe weitgehend auf eine automatische Filmförderung umgestellt werden, die sich am wirtschaftlichen und künstlerischen Erfolg eines Films orientiert. Das ist nicht nur weniger bürokratisch, sondern vermeidet auch die Gefahr subjektiver Entscheidungen in den Vergabegremien. Gleichzeitig soll eine auf rein künstlerischen Kriterien beruhende Förderung des Bundes erhalten bleiben. Diese Mischung trägt der Tatsache Rechnung, dass der Kinofilm sich zwar an den Bedürfnissen des Publikums ausrichten und wirtschaftlich tragen soll, gleichzeitig aber abseits von rein kommerziellen Kriterien eine stetig weiterzuentwickelnde Kunstform ist.
Es soll, dem französischen Vorbild folgend, eine Investitionspflicht für Streamingdienste und On-Demand-Angebote der Sender eingeführt werden, die sich an den Umsätzen in Deutschland orientiert und zugleich im Wege eines Rechterückbehalts vorgibt, dass auch die Produzenten eines Films oder einer Serie von den von ihnen hergestellten Werken im Erfolgsfall profitieren. Denn anders als im Kino ist das bei der Produktion von Filmen und Serien für Sender und Streamer bislang kaum der Fall. Die derzeitigen Bundesförderungen (DFFF und GMPF) sollen in ein (steuerliches) Anreizmodell umgewandelt werden, um planbare Anreize für die Produktion in Deutschland zu schaffen, die auch im internationalen Standortwettbewerb wettbewerbsfähig sind.
Eine Investitionspflicht ist nötig
Diese drei Säulen gehören zwingend zusammen: Eine automatische FFA-Förderung ohne ein wettbewerbsfähiges Anreizmodell könnte die gestiegenen Produktionskosten in Deutschland alleine nicht stemmen. Die Filmbranche ist sich in der Tat einig, dass es ein effektives Anreizsystem von 30 Prozent der Produktionskosten braucht, um Deutschland als Filmstandort wieder international wettbewerbsfähig zu machen und zu gewährleisten, dass die Produktion ausländischer wie inländischer Filme und Serien in Deutschland wieder möglich ist und nicht – wie zurzeit – weitgehend ins Ausland verlagert wird.
Man denke an den mehrfachen Oscar-Gewinner aus Deutschland „Im Westen nichts Neues“, der im Wesentlichen in Tschechien gedreht wurde. Auch konnte die Constantin Film „Hagen“, der die Nibelungensage neu interpretiert und sowohl als Kinofilm als auch als Serienformat hergestellt wurde, weitgehend nicht in Deutschland drehen, sondern musste die Dreharbeiten ebenfalls in Tschechien durchführen. Dies ist aufgrund der kulturhistorisch für Deutschland bedeutenden Stoffe nicht nur misslich, sondern hat dazu geführt, dass Arbeitsplätze nicht in Deutschland geschaffen wurden, sondern in Tschechien, und somit Steuern und Sozialausgaben im Ausland gezahlt wurden.
Allerdings kann man die deutsche Filmwirtschaft nur mit der gleichzeitigen Einführung einer Investitionspflicht nachhaltig stärken. Denn ohne diese würden zwar Produktionen in Deutschland erleichtert, die gesamte Branche würde aber nicht gestärkt. Nur eine Investitionspflicht gewährleistet, dass die Sender und Streamer einen Teil ihrer Umsätze in neue deutschsprachige Filme und Serien investieren.
Darüber hinaus würden die Produzenten durch den in der Investitionspflicht verankerten Rechterückbehalt – also die Möglichkeit, die bei ihnen verbleibenden Rechte auszuwerten – von den (weltweiten) Erfolgen ihrer Produktionen profitieren und als starke Partner innovative Filme und Serien entwickeln. Ohne Investitionspflicht läge es weiterhin allein in den Händen der Sender und Streamingdienste, ob sie deutschsprachige Produktionen von unabhängigen Produzenten beauftragen. Die Leidtragenden eines solchen Systems wären nicht nur die Produzenten, sondern die Zuschauer.
Reform im konstruktiven Dialog austarieren
Denn der in der Investitionspflicht vorgesehene Rechterückbehalt regt die Innovationskraft der Produzenten an, die auf eigenes Risiko in neue Stoffe investieren: Nur über die Möglichkeit, bei ihnen verbleibende Rechte auszuwerten, kann Neues gewagt und können Gewinne erzielt werden. Von diesen neuen Filmen und Serien profitieren wiederum Sender und Streamingdienste – und letztlich das Publikum, das sich Vielfalt und Originalität wünscht. Eine starke unabhängige Produzentenschaft ist, durch viele Studien belegt, entscheidend für eine gesunde und vielfältige Film- und Fernsehlandschaft.
Sender- und Streamingdienste bringen gegen den Rechterückbehalt vor, sie finanzierten die Produktionen vollständig, weshalb ihnen alle Rechte zustünden. Diese Argumentation ist unzutreffend: Weder finanzieren Sender und Streamingdienste die oft langjährige Entwicklung von Filmen und Serien, noch tragen sie das Herstellungs- und Überschreitungsrisiko.
Und: Nur der in der Investitionspflicht enthaltene verpflichtende Rechterückbehalt zugunsten der Produzenten gewährleistet, dass in Deutschland geschaffenes geistiges Eigentum zumindest zu einem Teil auch bei den hiesigen Produzenten verbleibt. Aufgrund der oligopolartigen Stellung der Streamingdienste ist zurzeit das Gegenteil der Fall: Produktionsaufträge werden in der Regel nur als sogenannte „Total-Buy-Outs“ vergeben. Dies hat zur Folge, dass der gesamte Wert einer Produktion an den Sender oder Streamingdienst abfließt und, zumindest bei den Streamingdiensten, im Inland nicht versteuert wird. Da kaum ein Produzent in der Lage ist, andere Konditionen zu verhandeln, liegt ein klares Marktversagen vor, das einen gesetzgeberischen Eingriff dringend erforderlich macht.
Natürlich müssen einzelne Teile der Reform noch in einem offenen, konstruktiven Dialog austariert werden. So sollten beispielsweise die deutschen Fernsehsender zu den gleichen Konditionen von einem Anreizmodell profitieren können wie die (amerikanischen) Streamingdienste. Dem Grundkonzept ist aber uneingeschränkt zuzustimmen. So stehen – in einem einmaligen, geradezu historischen Schulterschluss – sämtliche Produzenten, Dokumentar-, Spielfilm-, Serien- oder Animationshersteller sowie die Deutsche Filmakademie geschlossen hinter den Vorschlägen der Staatsministerin. Das Verfassungsrecht steht den geplanten Regelungen nicht entgegen. Die Politik hat nun die Chance, mutig eine wirkliche Wende hin zu einer wirtschaftlich nachhaltigen und kreativ noch erfolgversprechenderen Film- und Fernsehbranche in Deutschland auf den Weg zu bringen. Sie sollte sie nicht ungenutzt lassen.
Katharina Hiersemenzel verantwortet als Chief Strategy & Public Policy Officer die Politikarbeit bei der Constantin Film.
Ingo Fliess ist Filmproduzent und im Vorstand des Produzent*innenverbands.