Kabarettist und Komiker Tom Pauls ist nicht nur in Sachsen ein Star – seine Paraderolle ist die der sächsischen Oma Ilse Bähnert.
Wenn ich in der Vergangenheit als Reporter für den KURIER im Einsatz war und mich mit Menschen traf, deren Geschichte ich erzählen wollte, hörte ich eine Frage immer wieder: „Sachsen oder Thüringen?“ Die Frage drehte sich um meine Herkunft, die man – ich gebe es zu – manchmal hören kann, wenn man gut lauscht. Dann rutscht mir ein kleines „Nu!“ raus, wenn ich etwas bestätige. Oder, wenn’s mit noch mehr Nachdruck sein soll, ein „Nu glor!“ Denn ich komme aus Sachsen – und auch wenn ich schon 15 Jahre in Berlin lebe, bekomme ich den Dialekt nicht weg. Nur: Warum ist Sächsisch eigentlich so verhasst – und warum taugt es nur für Comedy?
Erst in der vergangenen Woche berichteten wir über Tina Goldschmidt, eine junge Frau aus Sachsen, die auf Tiktok mit spaßigen Videos Dialektpflege betreibt. Sie spielt etwa eine Flugbegleiterin, die die Sicherheitshinweise erklärt. „Wasn los? Nomma offs Klou?“, fragt sie einen Fluggast, der noch einmal zur Toilette möchte. „Abor strullorn Se hurtisch, mir machen glei lous!“ In einem anderen Video ist sie mit einer anderen Frau zu sehen, beide spielen Mütter auf dem Spielplatz. „Oor, Mürgo“, ermahnt eine der Damen ihren Sohn, „du sollst nisch bobeln! Und mach hier nisch so’n Rabatz!“
Wie finden Sie den sächsischen Dialekt? Die meisten mögen ihn nicht besonders. Sächsisch wird als hässlich bezeichnet, als unsexy. Goldschmidt hat dramatische Beispiele parat: Immer wieder melden sich bei ihr Menschen, die berichten, dass sie versuchen, den Dialekt zu verstecken. Weil sie nicht zum Gespött werden wollen – oder weil sie Angst davor haben, dumm zu klingen.
Auch mir wurde in einer westdeutschen Redaktion mal diagnostiziert, ich sei „ostig“. Vielleicht aufgrund des Dialekts, vielleicht aber auch aufgrund der Tatsache, dass ich die Kollegen oft mit Selbstgebackenem überraschte. Denn wir Sachsen lieben nun mal „ä Schdiggl Eierschägge zum Schälchen Heeßn“! Ich selbst habe aber nie so breites Sächsisch gesprochen wie andere in meiner Heimat. Nur ab und zu rutscht es mir raus – und dann bin ich nicht peinlich berührt, sondern stolz drauf. Ich hatte schon Kollegen, die mein „Nu!“ nachäfften, doch das kann mir nichts anhaben. Soll ich meine Herkunft, Sachsen, den Osten verstecken? Isch gloobe, es haggd!
Auch im Comedy-Bereich wird Sächsisch immer wieder aufgegriffen. Martina Hill veräppelt die Sachsen mit ihrer Kunstfigur Mandy Hausten. Bei der Show „Fröhliche Weihnachten mit Wolfgang und Anneliese“ kringelte sich TV-Deutschland über Reporterin „Inga Ballasge“, gespielt von Anke Engelke. Sie besuchte den Schnitzer Werner Brömseklöten (Bastian Pastewka) im Erzgebirge, ließ sich von ihm die „Härschdellung hondgemochder Weihnachdsbieramieden“ zeigen.
Ist all das unsexy, lächerlich, furchtbar? Nein! Ich liebe es, wie mit dem Dialekt umgegangen wird. Vielleicht glauben manche, dass sie die Sachsen verletzen, wenn sie sie veräppeln. Wir trugen aber immer mehr Selbstironie in unseren Herzen als andere. Da ist etwa der Kabarettist Tom Pauls, der als sächsische Oma Ilse Bähnert heute noch überzeugt – er ist nicht nur in meiner Heimatregion ein Star. Oder der unvergessene Eberhard Cohrs, dessen Witze mir noch in den Ohren klingen – er war „der Kleene mit der großen Gusche“.
Ich kann mich erinnern, dass in meiner Familie auf Feiern früher Quizze veranstaltet wurden, bei denen man sächsische Begriffe erraten musste, „Nachellagg“ und „Bieschor“, „Rahdscho“ und „Bladdnschbielor“. Bei der Auflösung – Nagellack, Bücher, Radio und Plattenspieler – saßen etliche Sachsen am Tisch und konnten nicht mehr, so orischinell wor dos! Manche Begriffe finde ich heute noch genial – und würde mir wünschen, dass sie den Weg in den Sprachgebrauch finden. „Forhohnebiebeln“ etwa, das veräppeln anderer. Oder „Huddelei“, ein Begriff, den man am ehesten mit Ärger übersetzen können. Wor heide frieh wieder eene Huddelei middm Forgähr! Wenn das Licht gemütlich ist, nennt man das „Muschebubuh“. Und eines der schönsten Wörter ist „Eiforbibbsch“, ein Ausruf der Verblüffung. Herrlich!
Nur eines kann ich überhaupt nicht leiden: Wenn man uns Sachsen falsch nachäfft. Denn eines muss man dem Dialekt lassen: Nicht jeder kann ihn. Mancher Versuch, für einen Witz einfach nur das „u“ durch ein „ü“ zu ersetzen, prallt an uns ab wie ä Räschndrobbn offn Audolagg. Wer also das Sächsische veräppeln will, der sollte es richtig machen – so wie Tina Goldschmidt auf Tiktok. Und an alle anderen: S’ gladschd glei!
Florian Thalmann schreibt eigentlich jeden Mittwoch im KURIER über Tiere – aber manchmal auch über den Osten. Kontakt in die Redaktion: [email protected]
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