Rassismusvorwurf in der Berliner U-Bahn: Was wurde eigentlich aus dem BVG-Fahrer?
Auf dieser Linie ereignete sich der Vorfall: auf der U9 – hier der U-Bahnhof Zoologischer Garten.
Der U-Bahn-Fahrer, dem eine rassistische Durchsage auf der Linie U9 vorgeworfen worden war, wird bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) nicht mehr eingesetzt. Das teilte das Landesunternehmen der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. „Die BVG ist ein weltoffenes und vielfältiges Unternehmen, das Diskriminierung und Rassismus nicht toleriert. Wir haben den Vorfall intensiv geprüft und aufgearbeitet. Der Mitarbeiter ist nicht mehr für die BVG im Einsatz“, berichtete eine Sprecherin. Damit konnte diese Angelegenheit offenbar zunächst abgeschlossen werden. War sie ein Einzelfall?
Zu Einzelheiten äußerte sich die BVG nicht. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir dazu keine Details nennen können“, hieß es. Dem Vernehmen nach wurde der U-Bahn-Fahrer gleich nach dem Vorfall freigestellt und hat seitdem keine Arbeit mehr geleistet. Er soll das Unternehmen verlassen – ob freiwillig oder nach einer Kündigung, blieb offen.
Der Vorfall in der U9 war bekannt geworden, nachdem der Menschenrechtsaktivist Mouatasem Alrifai am 10. April ein Video auf der Plattform X ins Netz gestellt hatte. Er sei am Abend zuvor mit zwei Freunden in Richtung Osloer Straße unterwegs gewesen, berichtete Alrifai in dem Tweet. Kurz bevor an einem U-Bahnhof die Türen geschlossen wurden, habe der U-Bahnfahrer eine „rassistische Durchsage gemacht“, so seine Schilderung. Die Durchsage habe gelautet: „Können die kriminellen Migranten da hinten von der Tür weggehen, damit wir weiterfahren können?“
An der nächsten Station seien er und seine Freunde ausgestiegen, so Alrifai in dem Tweet. „Ich habe mit einer Gruppe mit Migrationsbezug den U-Bahnfahrer konfrontiert.“ Im U-Bahnhof Osloer Straße hätten ihn seine Begleiter, die in dem Tweet Melli und Batu genannt werden, erneut konfrontiert und das Video aufgenommen, das bei X veröffentlicht wurde. „Der U-Bahnfahrer behauptete, dass seine rassistische Durchsage ‚nicht strafbar‘ und ‚eine normale Meinungsäußerung‘ sei, und fügte hinzu: ‚Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen‘“, berichtete Mouatasem Alrifai.
Das ist rassistisch, inakzeptabel und unerträglich, lautet seine Einschätzung bei X. „Ich habe mich noch nie so unsicher in Berlin gefühlt. Jetzt frage ich mich, ob Migrant:innen und Geflüchtete hier sicher sind“, stellte Alrifai fest. Der Vorfall im April schlug Wellen. Alrifais Tweet vom 10. April bekam bereits mehr als tausend Kommentare. Der Fahrer müsse „gefeuert werden“, lautete eine Forderung. Der BVG-Mann habe nichts Falsches getan, so eine Entgegnung. Immer wieder fielen Züge wegen kaputter Türen aus, „weil das vom Fahrer erwähnte Klientel sie aufreißt, während sie schon zugehen“.
Auch die Berliner Zeitung berichtete. Sie konfrontierte den neuen BVG-Vorstandsvorsitzenden Henrik Falk mit dem Thema. „Wir gucken uns das an und gehen dem nach“, sagte Falk bei einem Pressetermin. „Wenn sich das erhärtet, werden wir Maßnahmen ergreifen.“ Später twitterte die BVG: „Wir nehmen den Vorfall sehr ernst. Rassismus und Diskriminierung haben bei uns keinen Platz. Aktuell arbeiten wir intensiv daran, den Fall aufzuarbeiten und weitere Schritte und Maßnahmen zu prüfen.“ Das war Mitte April. Inzwischen konnte diese Prüfung offensichtlich beendet werden.
In ihrer Außendarstellung versucht die BVG seit Jahren, sich als modernes, tolerantes Unternehmen darzustellen. In den 240 Berufen seien mehr als 80 Nationen sowie unterschiedliche sexuelle Orientierungen vertreten, heißt es stolz. „Die BVG ist ein bunter Haufen“, so das Regenbogen-Netzwerk, das sich seit 2010 aktiv für Vielfalt und einen offenen, toleranten Umgang mit queeren Menschen bei der BVG einsetzt. Am Christopher Street Day nimmt die BVG regelmäßig mit einem Bus teil. Das neue Sitzpolster-„Muster der Vielfalt“ zeigt viele verschiedenfarbige Menschen.
Stationsnamen einmal anders: Mit solchen Transparenten beteiligten sich BVG-Beschäftigte 2021 am Christopher Street Day in Berlin.
Doch immer wieder gibt es Zweifel, ob die modernen Auffassungen tatsächlich von den meisten Beschäftigten des Landesunternehmens geteilt werden. Als Eva Kreienkamp den BVG-Vorstandsposten vor knapp einem Jahr verlassen musste, weil der Aufsichtsrat den Vertrag nicht verlängert hätte, kochte die Diskussion hoch. Die lesbische Managerin bemängelte, dass die „begonnene, überfällige Modernisierung der Unternehmens- und Führungskultur sowie der Aufbau eines authentischen Diversity-Managements nicht abgeschlossen“ seien. „Da ist noch allerhand zu tun. Öffentliche frauen- und queerfeindliche Diffamierungen dürfen nicht folgenlos bleiben.“ Sie erntete auch Kritik. So habe sie die angebliche Queerfeindlichkeit „übertrieben dargestellt“, hieß es.
Die alten Wimmelwürmer sind tabu, auf dem 2022 vorgestellten „Muster der Vielfalt“ wimmeln Menschen. Nach und nach führt die BVG das neue Design ein. Entworfen wurde es von Susann Oecknick.
Es ist ein Thema, das auch viele BVG-Beschäftigte der unteren Ränge bewegt. Ein Mitarbeiter aus dem Fahrpersonal sagte der Berliner Zeitung, dass er das Unternehmen verlassen wolle, weil er sich immer wieder über Bemerkungen seiner Kollegen ärgern müsse. „Ich bin erschrocken, wenn einige von ihnen den Mund aufmachen“, sagte er.
Er könne verstehen, wenn Fahrer sauer sind. Schließlich komme es in fast jedem Dienst zu Konflikten mit einzelnen Fahrgästen, bei denen sich die Mitarbeiter oft alleingelassen fühlen, berichtete der BVGer. „Auch ich habe so etwas erlebt. Fahrgäste aus dem arabischen oder türkischen Raum beschimpfen einen als Nazi.“ Doch das sei kein Grund, Witze zu erzählen, die sich gegen einzelne Gruppen richten. „Ich möchte nicht wissen, wie viele BVGer AfD wählen“ – vor allem im Osten Berlins, so der Mitarbeiter.
Von dem beschworenen „Team Gelb“ könne nicht die Rede sein, lautete sein Fazit. „Die Belegschaft zerfällt in viele Teile.“ Das Gefälle zwischen Angestellten auf der einen sowie dem Fahr- und Werkstattpersonal auf der anderen Seite sei besonders groß.
„Die BVG ist wie andere Unternehmen auch ein Spiegelbild der Gesellschaft“, fasste Jeremy Arndt, der zuständige Sekretär der Gewerkschaft Verdi, zusammen. Inklusive Azubis sind mehr als 16.000 Menschen für den größten kommunalen Nahverkehrsbetrieb Deutschlands tätig. Es sei klar, dass es auch bei der BVG Mitarbeiter gebe, die AfD wählen, gab der Gewerkschafter zu bedenken. Wichtig sei, dass sich die Belegschaft nicht spalten lasse. „Wir dürfen nicht zulassen, dass gezündelt wird“, sagte Arndt.