Jörg Stratmann im Interview : Motorenlieferant fordert von der Politik „Abnahmeverpflichtung“ für Rüstungsgüter

Der CEO von Rolls-Royce Power Systems will mehr Planungssicherheit für seine Motorenlieferungen an die Rüstungsindustrie. Verbrenner werden seiner Ansicht nach noch lange gebraucht – zumindest in bestimmten Bereichen.

Jörg Stratmann fordert von der Politik mehr Planungssicherheit bei der Bestellung von Rüstungsgütern. „Wir brauchen beispielsweise eine Form der Abnahmeverpflichtung oder ein gemeinsam definiertes Volumen, um den Bedarf wirtschaftlich darzustellen“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Antriebsherstellers Rolls-Royce Power Systems im Interview mit dem Handelsblatt. „Es braucht aus unserer Sicht mehr Transparenz, um sich auf den Bedarf der Rüstungsindustrie rechtzeitig vorbereiten zu können.“

Das Unternehmen mit Sitz in Friedrichshafen fertigt Motoren unter anderem für Kriegsschiffe und Panzer. In dem Geschäftsbereich hat Rolls-Royce Power Systems seine Produktionskapazitäten erweitert, um sich auf eine erhöhte Nachfrage vorzubereiten. Das Unternehmen beliefert aber auch Yachtbauer und fertig Notstromaggregate – und setzt dabei auch weiter auf Verbrennertechnologie.

„Bei unseren leistungsintensiven Anwendungen kann der Verbrennungsmotor derzeit noch nicht durch andere Technologien ersetzt werden, anders als bereits im Straßenverkehr“, betonte Stratmann.

Das komplette Interview lesen Sie hier:

Herr Stratmann, die weltweiten Krisenherde lassen die Umsätze der Rüstungskonzerne nach oben schnellen. Ihre Motoren stecken in den meisten aller Nato-Panzer und Kriegsschiffe. Wie gut läuft das Geschäft denn?Wir befinden uns als Unternehmen insgesamt in einer guten Lage – das betrifft all unsere Märkte, die wir mit unserer Marke bedienen. Energie-, Marine- und Industriegeschäft entwickeln sich sehr positiv. Wir sind im vergangenen Jahr um 16 Prozent im Gesamtumsatz gewachsen.

Und wie geht es weiter?Wir sehen auch in diesem Jahr ein Wachstum im höheren einstelligen Bereich. Und das kann auch noch besser werden. Wir gehen davon aus, dass das Behördengeschäft – so bezeichnen wir das Geschäft mit staatlichen Auftraggebern, vor allem mit Streitkräften – in den kommenden Jahren pro Jahr um zehn Prozent wachsen wird.

Weil Sie damit rechnen, dass die geopolitischen Konflikte weiter zunehmen werden?Wenn wir uns die weltpolitische Lage anschauen, wird klar, welchen Stellenwert Sicherheitspolitik haben muss. Wir müssen unsere demokratischen Werte verteidigen. Gleichzeitig wurde in der Vergangenheit die Verteidigungsfähigkeit in vielen Ländern vernachlässigt. Um dem zukünftigen erhöhten Bedarf, den wir erwarten, gerecht werden zu können, haben wir zusätzliche Produktionskapazitäten geschaffen, Personal eingestellt und Material bestellt. Wir sind jedenfalls alle gut beraten, deutlich mehr in unsere Sicherheit zu investieren als in der Vergangenheit.

Hat die Politik das denn auch eingesehen?Die Einsicht ist auch in der Politik da. Gemessen an den Bestellungen war sie im Ausland aber schneller da als in Deutschland. Deutschland war da eher zurückhaltend, aber jetzt kommen auch hier erste Bestellungen an. Wir setzen sehr darauf, dass das so bleibt. Man muss sich jetzt nur schneller durchringen, klare Entscheidungen zu treffen.

Um welche Entscheidungen geht es dabei konkret?Motoren für die Rüstungsindustrie zu bauen, ist ein sehr komplexes Geschäft. Dafür sind intensive Dialoge mit den entsprechenden Behörden und mit dem Bundesverteidigungsministerium nötig. Es braucht aus unserer Sicht mehr Transparenz, um sich auf den Bedarf der Rüstungsindustrie rechtzeitig vorbereiten zu können. Was sind die Stückzahlen, die wir in den nächsten fünf Jahren erwarten müssen?

Darüber gibt es zu wenig Klarheit?Produkte, die heute vermehrt benötigt werden, wurden in den vergangenen Jahren nicht mehr in großer Stückzahl produziert, da die Verteidigungsbudgets extrem reduziert wurden. Wir brauchen beispielsweise eine Form der Abnahmeverpflichtung oder ein gemeinsam definiertes Volumen, um den Bedarf wirtschaftlich darzustellen. Alle relevanten Partner müssen sich dazu zusammensetzen und klären, welche Schritte nötig sind, um so Planungssicherheit zu schaffen

Unsere internationalen Wettbewerber arbeiten mehr als vier Tage in der Woche.

Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach denn nötig?Wir haben in Deutschland hervorragende Technologien – das muss elementarer Bestandteil unserer Industriepolitik sein. Dazu gehört auch, dass wir international verlässlich liefern. Dafür muss unsere Strategie, die Ausfuhren zu kontrollieren, pragmatischer und schneller werden. Wir brauchen für Genehmigungen einfach zu lange. Das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist bei unseren ausländischen Geschäftspartnern jedenfalls bekannt.

Warum?Weil die Prozesse bei uns sehr, sehr lange dauern und mehr Zeit benötigen als in anderen Länder der Welt. Es braucht in Deutschland schnellere Prozesse, und die Bundesregierung muss beim Bürokratieabbau aktiver werden. In die Infrastruktur, in Bildung und Digitalisierung muss mehr investiert werden – und wir müssen technologieoffen bleiben.

Technologieoffenheit – auch dem Verbrenner gegenüber?Ja, der Verbrennungsmotor spielt aus unserer Sicht eine sehr große Rolle für die Energiewende, insbesondere wenn nachhaltige Kraftstoffe und E-Fuels verwendet werden. Wir müssen die besten Technologien für unsere verschiedenen Anwendungen finden, um unsere Kunden auf ihrem Weg zum Net-Zero zu unterstützen – denn da wollen wir am Ende alle hin.

Elektromobilität ist keine Alternative?Die Aggregate, die wir herstellen, finden vor allem in sehr leistungsintensiven Bereichen Anwendung, die bislang noch nicht elektrifiziert werden können. Hier wird der Verbrenner auf unbestimmte Zeit weiterhin unverzichtbar sein. Darauf können unsere Kunden aktuell nicht verzichten.

Vor zwei Wochen hat Verkehrsminister Volker Wissing erklärt, dass man im Straßenverkehr nicht allein auf die E-Mobilität setzen darf, sondern auch E-Fuels eine tragende Rolle spielen könnten. Sollten diese denn nicht dem Sektor, den sie beliefern und der leistungsstärkere Motoren braucht, vorbehalten bleiben?Bei unseren leistungsintensiven Anwendungen kann der Verbrennungsmotor derzeit noch nicht durch andere Technologien ersetzt werden, anders als bereits im Straßenverkehr. Deshalb sind wir gegenwärtig auf alternative Kraftstoffe wie E-Fuels und HVO – also Biokraftstoffe – angewiesen, um die CO2-Bilanz signifikant zu verbessern und so eine zeitnahe Dekarbonisierung in diesen Bereichen zu erreichen.

Ist also nur ein entweder oder möglich – E-Fuels für den Straßenverkehr, oder aber für den leistungsintensiven Sektor?Die Zukunft wird zeigen, welche Antriebstechnologien der Markt will.

Wir haben in Deutschland hervorragende Technologien – das muss elementarer Bestandteil unserer Industriepolitik sein.

Letztlich wird also der Markt über die Zukunft des Verbrenners entscheiden, nicht die Politik?Durch Markt und Wettbewerb werden die geeigneten Technologien für die verschiedenen Branchen gefunden. Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, aber die Technologiewahl sollte man in der Tat dem Wettbewerb und dem Markt überlassen. Manche Diskussionen, die wir in Deutschland führen, sehe ich kritisch.

Sie meinen auch bei anderen Themen?Ja, zum Beispiel, dass wir über eine Viertagewoche reden. Unsere internationalen Wettbewerber arbeiten mehr als vier Tage in der Woche. Wir machen Deutschland mit diesen Diskussionen nicht wettbewerbsfähiger.

In welchen Bereichen will Rolls-Royce Power Systems in den kommenden Jahren wettbewerbsfähiger werden?Mit unserer neuen Strategie, die wir im vergangenen Jahr verabschiedet haben, haben wir fünf große Wachstumsfelder definiert. Das sind stationäre Batterien, Energieerzeugung, unser Marinegeschäft und unser Behördengeschäft, also die Belieferung der Rüstungsindustrie – und als fünfter Bereich das Servicegeschäft. Auch hier sehen wir noch weiteres Wachstumspotenzial, insbesondere in der Verbindung mit der Digitalisierung.

Dennoch wollen Sie Stellen abbauen. Warum?Mit der stärkeren Integration in den Rolls-Royce-Konzern gibt es Prozesse, die optimiert werden können, indem beispielsweise Doppelfunktionen vermieden werden. Dazu gehören zum Beispiel der Finanz- und IT-Bereich, aber auch in der Forschung und Entwicklung gibt es Synergien, die nun Ressourcen freisetzen, um effizienter arbeiten zu können.

Also müssen Sie sich zunehmend nach den Vorstellungen des Mutterkonzerns Rolls-Royce richten?Nein, wir sind Teil des Konzerns und wollen gemeinsam Synergien suchen, gleichzeitig entwickeln wir aber unser Geschäft selbstständig weiter. Im Produktionsbereich wollen wir beispielsweise wachsen, Mitarbeiter einstellen, investieren und unsere Technologien weiterentwickeln.

Nennen Sie ein konkretes Beispiel.Wir werden in den kommenden Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag in die Entwicklung einer neuen Motorenplattform investieren – zum ersten Mal seit rund 20 Jahren. Weil wir der Überzeugung sind, dass Verbrennungsmotoren mit nachhaltigen Kraftstoffen eine entscheidende Rolle spielen werden. Diese neue Generation wird leistungsfähiger und effizienter sein.

Der KI-Boom stellt Rechenzentren global vor stark steigendem Strombedarf und damit große Herausforderungen – vor allem wenn gleichzeitig die Energieinfrastruktur unsicher ist. Wie wirkt sich das auf die Nachfrage nach Notstromaggregaten bei Ihnen aus?Wir verzeichnen gegenwärtig ein anziehendes Wachstum, gerade in diesem Bereich gibt es durch den KI-Boom eine gute Auftragslage. Hier sehen wir schon jetzt zweistellige Wachstumsraten. International aufgestellt, können wir weltweit die großen Player der Big-Tech-Szene mit unseren Aggregaten versorgen, das tun wir schon jetzt – und die Nachfrage wird weiter stark ansteigen.

Herr Stratmann, vielen Dank für das Interview.

Erstpublikation: 18.04.2024, 04:00 Uhr.

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