Pro-Palästina-Proteste erreichen die ETH Zürich – Polizei trägt Demonstranten weg und zeigt über zwei Dutzend an
Polizisten bringen jene Protestierenden weg, welche die ETH nicht freiwillig verlassen. Michael Buholzer / Keystone
Die Proteste gegen Israel sind nach zahlreichen Kundgebungen an amerikanischen Universitäten und an der Universität Lausanne nun auch an der ETH Zürich sowie der Uni Genf angekommen.
Mit einer Sitzblockade forderten etwas mehr als 100 Personen am Dienstagmittag im ETH-Hauptgebäude mit dem Slogan «No Tech for Genocide» die Verurteilung des «Genozids», einen akademischen Boykott Israels sowie die Offenlegung aller Kooperationen mit israelischen Universitäten. Weitere Slogans lauteten «Israel bombardiert, ETH finanziert» oder «Blut, Blut an euren Händen».
Der Informatikstudent Francesco – seinen Nachnamen wollte er nicht nennen – sagte zur NZZ, die Gruppe wolle bleiben, bis man mit ihr rede. Das Ziel sei es, auf gewaltfreie Art auf das Leid in Gaza aufmerksam zu machen und ein Ende der akademischen Zusammenarbeit mit all jenen Organisationen zu bewirken, die den Krieg ermöglichten.
Die Gruppe distanziere sich dabei von Antisemitismus und stehe auch für die Rechte der israelischen Geiseln ein. Das Existenzrecht Israels anerkenne man. Auch der Angriff am 7. Oktober, so der Student nach mehrmaligem Nachfragen, sei ein Terrorangriff gewesen. Allerdings gehe es ihnen heute nicht darum, sondern um den «Genozid» und die Zehntausende von Toten im Gazastreifen.
Die Stimmung war zunächst ruhig. Das Polytechnikum teilte den Studierenden aber nach weniger als einer Stunde mit, dass es die Proteste nicht tolerieren werde. Die ETH sei ein «Ort, wo unterschiedliche Meinungen und Perspektiven offen geäussert werden dürfen und sollen», schreibt die Hochschule in einem Statement. «Unbewilligte Aktionen werden an der ETH Zürich aber nicht akzeptiert.»
Die Polizei war kurz darauf mit sieben Einsatzwagen vor Ort und forderte die Demonstranten zum Gehen auf. Sollten sie dem nicht Folge leisten, begingen sie Hausfriedensbruch, sagten die Einsatzkräfte. Denn gegen die verbliebenen Personen stellte die ETH-Leitung einen Strafantrag.
Pro-Palästina-Demonstranten in der Eingangshalle des ETH-Hauptgebäudes am Dienstag. Michael Buholzer / Keystone
Ein Aktivist aus der Sitzblockade wird von der Polizei weggebracht. ; Michael Buholzer / Keystone
Einige der Aktivisten skandierten daraufhin «Ganz Züri hasst die Polizei» oder «Schweizer Polizisten schützen die Faschisten». Bald waren noch an die dreissig Personen anwesend, sie blieben sitzen. Eine von ihnen ass Pasta mit Pesto. Alle anderen verliessen die Kundgebung.
Kurze Zeit später begannen Polizisten damit, die verbliebenen Demonstrierenden wegzutragen, was diese umstandslos geschehen liessen. Die ETH-Ränge füllten sich derweil mit Schaulustigen, die zeitweise klatschten und mitskandierten. Vor dem Weggetragenwerden packten die Aktivisten noch hastig ihre Flaggen ein. Und plötzlich waren mehr Journalisten als Demonstranten anwesend.
Es gab während der Aktion auch Gegendemonstranten. Einer von ihnen – ein Student der nahen Universität, der anonym bleiben wollte – sagte gegenüber der NZZ, er wolle zeigen, dass es in der Studierendenschaft auch andere Meinungen gebe. Es sei die Hamas, die dem Frieden in Gaza im Weg stehe. Er frage sich, weshalb die Protestierenden nur Israel kritisierten, nicht aber palästinensischen Terrorismus.
Ein anderer Gegendemonstrant breitete eine grosse Israel-Flagge auf dem Boden aus und kritisierte manche der skandierten Slogans als antisemitisch.
Tatsächlich wurden je länger, desto mehr umstrittene Slogans wie «From the sea to the river, Palestine will live forever» in den Innenhof der ETH geschrien. Ein Ruf nach «Global Intifada» durch einige Anwesende schien beim Rest dagegen auf wenig Resonanz zu stossen.
Die Demos weiten sich auch auf Genf aus
In Genf haben sich am Dienstag derweil laut der «Tribune de Genève» um die Mittagszeit zwischen 100 und 200 Personen in der Eingangshalle der Universität versammelt. Zwei Demonstranten sagten zur Menge: «Wir möchten die Untätigkeit der Universität angesichts der israelischen Besetzung in Palästina anprangern. Wir haben unsere Forderungen per Post an die Universität Genf geschickt. Diese unternimmt nichts, und wir werden uns nicht bewegen, solange wir nicht gehört werden.»
Bereits seit fünf Tagen besetzen Demonstranten einen Teil des Géopolis-Gebäudes der Universität Lausanne. Sie wehren sich gegen «das Schweigen und die Passivität» der Uni-Leitung betreffend Gaza-Krieg und fordern, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten zu beenden. Am Montagabend waren kurzzeitig bis zu 1000 Personen vor Ort, mittlerweile sind es wieder deutlich weniger.
Wie von den Protestierenden gefordert, veröffentlichte die Uni Lausanne am Montag die laufenden Programme mit israelischen Universitäten. Auf die Hauptforderung – den akademischen Boykott – ging das Rektorat aber nicht ein. Es hat den Demonstrierenden eine Frist bis Dienstagmorgen gesetzt, die Blockade aufzugeben, und drohte mit einer Räumung durch die Polizei. Doch die Frist verstrich, die Demonstranten verharren noch immer an Ort und Stelle.
Das Rektorat der Uni Lausanne sagt, dass es bevorzugen würde, die Polizei nicht einschalten zu müssen, solange die Proteste friedlich blieben und der akademische Betrieb nicht gestört werde. Man behalte sich aber je nach Entwicklung der Situation weitere Schritte vor.
Die Sitzblockade mit Demonstrierenden in Palästinensertüchern am Dienstagmittag. Michael Buholzer / Keystone
In Zürich war die Räumung des deutlich kleineren – und gemäss den Organisatoren vom Lausanner Vorbild inspirierten – Protestlagers nach rund einer Stunde abgeschlossen. Am Schluss schienen selbst die Protestierenden nur noch leicht gelangweilt auf den Abtransport zu warten.
Die Stadtpolizei Zürich kontrollierte laut einem Communiqué vom Dienstagnachmittag 28 Personen, die in der Sitzblockade verharrten. Sie wies diese weg und verzeigte alle von ihnen. Im Einsatz standen auch Sicherheitskräfte der Kantonspolizei Zürich.
Die Slogans wurden leiser, die Pausen dazwischen grösser, bis die Rufe schliesslich ganz verstummten.