Zwei Patriot-Startgeräte während eines Ausbildungskurses ukrainischer Soldaten. Foto: dpadata-portal-copyright=
Der Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland steuert auf einen Kipppunkt zu: Kiew droht zu verlieren, wenn nicht sofort ein Ruck durch die Reihen der Verbündeten geht. Zumindest Deutschland scheint das verstanden zu haben.
Das tut jetzt richtig weh. Sobald die Bundeswehr ihre dritte Patriot-Einheit an die Ukraine geliefert hat, fehlen ihr nunmehr 25 Prozent ihrer wichtigsten Flugabwehr-Fähigkeiten. Man müsse sich ins eigene Fleisch schneiden, heißt es bei der Truppe. Aber die Lage in der Ukraine sei zu ernst, um nichts zu tun.
Die Bundesregierung spricht von einer „sehr schwierigen Phase“. Die Ukraine wird auch das Hauptthema bei einem Treffen der G7-Außenminister am Mittwochabend. Während die Augen der Welt auf die drohende Eskalation in Nahost gerichtet sind, ist die Ukraine in die wohl kritischste Phase seit Beginn des Kriegs geraten. Sie steht am Rande einer beginnenden Niederlage.
Russland überzieht Städte wie Charkiw und Odessa seit Wochen konstant und massenhaft mit Gleitbomben-Angriffen. Kaum erreichbar für die ukrainische Luftabwehr werfen russische Jets rund 500 dieser Sprengköpfe pro Woche ab. Dahinter stecken einfachste Waffen sowjetischer Bauart, die mithilfe von Flügeln, Steuereinheiten und Navigationssystemen aus China, Thailand und wohl auch der Türkei zu tödlichen Geschossen aufgerüstet werden. Drop and Forget.
Die ukrainische Luftabwehr auf der anderen Seite ist im dritten Kriegsjahr ausgedünnt, abgenutzt, überfordert. Es fällt Kiew immer schwerer, zwischen der Verteidigung ziviler Energie-Infrastrukturen auf der einen und militärischer Stellungen auf der anderen Seite zu entscheiden. Von einer „dramatischen Zuspitzung dieses Dilemmas“ sprechen Regierungskreise. Geht die Front verloren, geht der Krieg verloren. Geht die Energie verloren, droht schon bald ein Chaos-Winter.
Die einzige Möglichkeit, auf den Bombenteppich aus der Ferne zu reagieren: Die ukrainische Flugabwehr muss die anfliegenden Flugzeuge selbst abschießen.
Helfen könnten dabei eigene Kampfjets. Aber die F16-Koalition – Niederlande, Belgien, Dänemark und Großbritannien – kann die nötigen Flugzeuge bisher noch nicht organisieren. Weder steht die Bewaffnung fest, hört man. Noch die nötige Architektur, um den Kampfbomber vor feindlichem Beschuss und Radar an der Front zu schützen. Abflugtermin also unklar, wohl frühestens im Sommer.
Auch das Patriot-System kann helfen. Auf dem Papier hat es eine Reichweite von 68 Kilometern, mit der richtigen Ausbildung und ein wenig Fingerspitzengefühl können ukrainische Soldaten noch mehr herausholen – und so ihre Angreifer in der Luft treffen. Deshalb ist es richtig und überfällig, dass die Bundesregierung nun an die Grenzen des Vertretbaren geht. Weitere Länder sollten und müssen folgen.
Denn die Ukraine besitzt selbst noch immer zu wenige Feuereinheiten. „Gebt uns die verdammten Patriots!“, hatte Kuleba kürzlich in einem US-Interview gefleht. Seit Monaten waren da schon die Finanzmittel und Militärhilfen vom wichtigsten Partner, den USA, blockiert.
Zwar kommt im US-Repräsentantenhaus gerade Bewegung in die Sache, Sprecher Mike Johnson hat die Abstimmung über ein Hilfspaket für diese Woche angesetzt. Aber Klarheit gibt es noch immer keine. Und die quälend lange dauernde Support-Lücke der Amerikaner hat längst ihre Spuren hinterlassen. Die Ukraine verliert an Boden, wohin man nur schaut.
Berlin geht wohl auch deshalb jetzt in die diplomatische und militärische Offensive. Es gibt eilige Vorbereitungen, noch intensiver und ausdauernder um mögliche Partner zu werben. Das geht hoch bis auf die Chefebene. Auch in Bezug auf Patriot macht die Bundesregierung dem Vernehmen nach international ordentlich Druck.
Zumindest hier scheint jene Führungsrolle aufzublitzen, die sich Nato-Partner lange von Deutschland gewünscht haben. Mehr davon! Denn nur wenn „As long as it takes“ als Motto für wirklich alle gilt, hat die regelbasierte internationale Ordnung noch eine Chance. Eine Ordnung, welche die Ukraine gerade mit zahllosen Opfern auch für Europa verteidigt. Man möchte dieser Tage mal wieder daran erinnern.
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