Wohnungsmarkt in der Türkei: Nach dem Boom kommt der Zusammenbruch

wohnungsmarkt in der türkei: nach dem boom kommt der zusammenbruch

Gesucht: In Istanbul fehlen günstige Wohnungen.

Murat Kurum hat viel vor, falls er am 31. März zum neuen Bürgermeister von Istanbul gewählt werden sollte. Dafür muss er den seit 2019 regierenden Amtsinhaber Ekrem İmamoğlu von der CHP ablösen. Damit das passiert, verspricht der 47 Jahre alte Politiker aus der AK-Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den Wählern eine lange Liste von Verbesserungen in allen Lebensbereichen. Selbst die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ nennt das eine „kühne Vision“. Kurum verspricht mehr U-Bahnen und weniger Staus auf den notorisch verstopften Straßen, neue Kliniken, größere Grünflächen, ein besseres Recycling, kostenlose Mahlzeiten für Alte und Schwache, Zuschüsse für Rentner und Studenten. Vor allem will Kandidat Kurum die Wohnsituation in der 17-Millionen-Einwohner-Metropole verbessern.

Die ist ein wunder Punkt. Frisch sind noch die Erinnerungen an das Erdbeben vom Februar vergangenen Jahres, dem 53.000 Menschen in der Türkei zum Opfer fielen. Dessen Ausläufer verschonten diesmal die Bosporus-Region. Doch die Angst vor einem großen Beben an der nordanatolischen Verwerfung ist groß, wo die arabische an die eurasische Erdplatte stößt. 600.000 Wohnungen und Häuser gelten den Behörden allein in Istanbul als nicht erdbebensicher.

Kurum verspricht, was vor ihm schon andere angekündigt haben: den Abriss aller unsicheren Gebäude und den Neubau von 650.000 Wohneinheiten. Dabei könnte er auf ein Programm der Regierung in Ankara zurückgreifen. Die Hälfte der Umbaukosten soll daraus finanziert werden. Auf fünf Jahre ist das Programm angelegt, das nach Schätzungen der Bauwirtschaft 50 Milliarden Dollar kosten würde. Geld, das vor allem der Staat aufbringen müsste, denn die Privatinvestoren halten sich zurück.

Verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik

Erdbebenrisiken sind nur ein Schwachpunkt des türkischen Immobilienmarktes, dessen stürmischer Boom der vergangenen Jahre jäh zu einem Ende gekommen ist. Das hat strukturelle und konjunkturelle Gründe: Es werden zu wenige Wohnungen gebaut, doch die Preise und Mieten für den Bestand sind wegen der galoppierenden Inflation und großer Nachfrage in die Höhe geschossen. Für manche ist es zum Verzweifeln. Ein bisschen erinnert die Lage an Deutschland.

Selbst die Notenbankpräsidentin Hafize Gaye Erkan gab an, keine passende Wohnung zu finden, und zog mit 44 Jahren und kleinem Kind wieder bei ihren Eltern ein. „Wir haben keine Unterkunft in Istanbul gefunden. Es ist furchtbar teuer“, sagte sie im Dezember der Zeitung „Hürriyet“. Inzwischen hat sie den Posten wieder aufgegeben.

Die Zinsen, die unter Erkans achtmonatiger Amtszeit an der Notenbankspitze rasant von 8,5 auf 45 Prozent angehoben wurden, sind ein Grund für die Misere am Bau, aber nicht dessen eigentliche Ursache. Die ist die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die lange Zeit die Inflation hat laufen lassen. Aktuell liegt sie nach amtlichen Daten bei 65 Prozent, die Notenbank erwartete ein weiteres Anziehen im Frühjahr. Der Index der Baukosten legte im Dezember im Jahresvergleich um 66 Prozent zu, derjenige für Arbeitskosten um 111 Prozent. Zwar stieg die Zahl der Baugenehmigungen, doch die für Wohnraum genehmigte Fläche sank um zweistellige Prozentsätze.

Hohe Hürde für die Erlangung türkischer Staatsbürgerschaft

Parallel dazu brach der Verkauf von Wohnungen und Häusern ein. Laut dem statistischen Amt wurden 2023 noch 1,23 Millionen Verkäufe abgewickelt. Das war ein Sechstel weniger als im Vorjahr und der schlechteste Wert seit neun Jahren. Die Preise für neue Wohnungen lagen nach dem Index der Notenbank im Dezember um 80 Prozent über denen des Vorjahres. Mit 44.293 Lira (1300 Euro) je Quadratmeter war der Preis für Wohneigentum in Istanbul mit Abstand am höchsten.

Auch die Preise für Baugrundstücke haben sich dem allgemeinen Trend nach oben angepasst. „Hohe Immobilienpreise und hohe Zinsen sind die Hauptgründe für den Rückgang beim Wohneigentum“, sagt der Präsident des Verbands der Wohnbauträger, Ramadan Kumova. Makbule Yönel Maya, Geschäftsführerin des Immobilienunternehmens TSKB, verweist auf die andere Seite der Zins-Medaille: Die gestiegenen Einlagenzinsen machten Finanzanlagen zu einer Alternative für investitionsgetriebene Immobilienkäufe.

Ob das der Grund dafür war, dass auch Ausländer, die zuletzt eine Stütze des Immobilienbooms waren, im vergangenen Jahr vielfach abstinent blieben, ist unklar. Andere sagen, die von 250.000 auf 400.000 Dollar heraufgesetzte Mindesthöhe für Investitionen zum Erlangen der türkischen Staatsbürgerschaft habe sich als eine zu hohe Hürde erwiesen.

Viele Rechtsstreitigkeiten durch Mietpreisdeckel

Die Immobilienfachleute von Cushman & Wakefield jedenfalls heben in ihrem Jahresbericht über türkische Immobilien 2023 hervor: „Wohnungsverkäufe an Ausländer halbiert“. Sie machen den Preisanstieg und hohe Zinsen dafür verantwortlich, dass die Wohnungsverkäufe an Ausländer landesweit um 48 Prozent auf 35.268 Einheiten einbrachen. Trotz des Rückgangs um 42 Prozent wurden mit 12.702 Verkäufen die meisten Geschäfte in der Urlaubsregion Antalya abgewickelt. Istanbul fiel mit nur noch 11.229 Verkäufen, das waren 55 Prozent weniger als im Vorjahr, auf den zweiten Platz zurück. Russen, die seit dem Überfall auf die Ukraine die Statistik der Käufernationen anführen, behaupteten ihre Führungsrolle trotz des Rückgangs um ein Drittel vor den klassischen Ländern Iran, Irak, Ukraine und Kasachstan. 1363 Käufer mit deutschem Pass wurden gezählt, sie kamen auf Platz sechs.

Immobilien gelten als Wertanlage, aber Türken leben auch traditionell in ihren eigenen vier Wänden. Voriges Jahr waren das 56,2 Prozent, wie das türkische Statistikamt unlängst bekannt gab. Weitere 15 Prozent leben zwar nicht im Eigentum, aber mietfrei – mutmaßlich bei Verwandten. Die Zahl klassischer Mieter lag bei 27,8 Prozent – ein Wert, der seit Jahren steigt, wie die Mieten selbst. Die Regierung versucht Letzteres einzugrenzen.

So hat sie 2022 einen Mietpreisdeckel von 25 Prozent für Bestandsmieter eingeführt. Eine Folge allerdings ist, dass Vermieter ihren alten Mietern kündigen, um die Wohnung an neue Interessenten zu einem höheren Preis zu vermieten. Das hat zu vielen Rechtsstreitigkeiten geführt.

„Mittelfristig wird das Wohnungsangebot erhöht“

Parallel dazu versucht Ankara das Vermieten von Wohnungen über Plattformen wie Airbnb zu unterbinden. Das ist vor allem in Touristenzentren wie Istanbul und Antalya ein Thema. Seit Jahresbeginn sind Kurzzeitvermietungen auf 100 Tage beschränkt. Vermieter müssen überdies Genehmigungen bei der Tourismusbehörde einholen und das per Plakette am Hauseingang nachweisen. Falls das unterbleibt, drohen hohe Geldstrafen.

Die türkische Regierung will aber auch den öffentlichen Wohnungsbau ankurbeln, der bisher ein Schattendasein führt. Finanzminister Mehmet Şimşek versprach im Februar, man werde neue soziale Wohnungsbauprojekte entwickeln, um die durch das Erdbeben verursachten Verluste auszugleichen und den Zugang für einkommensschwache Bürger zu verbessern. „Mittelfristig wird das Wohnungsangebot erhöht, um die Inflation zu bekämpfen und den Anstieg der Mietpreise abzufedern.“

So lange will Bürgermeisterkandidat Kurum, der früher Minister in Erdoğans Kabinett war, nicht warten: Er verspricht den Bau von 100.000 Sozialwohnungen in Istanbul binnen 18 Monaten.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World