Harte Schläge gegen den Drogenanbau: Die Taliban lassen Mohnfelder in der afghanischen Provinz Kunar mit Stöcken zerstören.
Seit die Taliban den Anbau von Schlafmohn verboten haben, wird im Bezirk Chaparhar im Osten Afghanistans weniger geheiratet. „Die Leute haben kein Geld mehr für die Hochzeitsfeier und den Brautpreis“, sagt der Bauer Haji Qadir am Telefon. Im vergangenen Jahr hätten die Bauern in seinem Dorf ihr Opium noch ein letztes Mal verkaufen dürfen, obwohl die Taliban das Verbot schon am Ende der Erntesaison im April 2022 verhängt hatten.
Danach sei es aber strikt durchgesetzt worden. Wer dagegen verstieß, sei zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet knapp tausend Euro verurteilt worden, sagt Haji Qadir. Manche hätten zusätzlich 50 Peitschenhiebe bekommen. So sei es über die Lautsprecher der Moscheen verkündet worden. Die Dorfältesten seien einbestellt und dazu verpflichtet worden, etwaige Mohnpflanzungen zu zerstören. Qadir sagt, er baue jetzt Weizen an und verdiene nur noch einen Bruchteil seines bisherigen Einkommens. Sein Dorf liegt in der Provinz Nangarhar, die bisher zu den wichtigeren Anbaugebieten für Opium in Afghanistan gehörte. Damit ist es vorerst vorbei.
Sondereinheiten der Taliban gehen gegen den Mohnanbau vor
Laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) brach die Produktion von Opium in Afghanistan 2023 um 95 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Gerade ist die Saatzeit für die Frühjahrsernte 2024 zu Ende gegangen. Vieles deutet darauf hin, dass die Taliban das Verbot auch in diesem Jahr durchsetzen wollen. Das könnte erhebliche Auswirkungen auf den Rauschgiftmarkt in Europa haben – nicht nur positive.
Bis zu sieben Jahre Haft
Der britische Afghanistan-Forscher David Mansfield hebt hervor, dass die Taliban nicht mehr nur gegen den Anbau, sondern inzwischen auch gegen den Handel mit Opium vorgingen. Im vergangenen Oktober verkündete das Oberste Gericht einen Strafenkatalog, der für den Handel bis zu sieben Jahre Haft vorsieht. Der Inhalt des neuen Gesetzes sei über Moscheen und Ältestenversammlungen im ganzen Land verbreitet worden, schreibt Mansfield, der als Berater für internationale Organisationen arbeitet, in einer aktuellen Analyse. Erste Händler seien bereits festgenommen worden. Zudem gehe das Regime gegen den Einsatz von Katapulten vor, mit denen Ein-Kilo-Kugeln aus Rohopium über die Grenze nach Iran geschossen wurden.
Ein Zeichen dafür, dass das Gesetz Wirkung entfalte, seien gestiegene Kosten für den Grenzschmuggel und die Verlagerung von Schmuggelrouten. Nur die Händler in der Provinz Helmand, die zum Stammklientel der Taliban gehören, können nach Mansfields Einschätzung noch relativ ungestört agieren.
Verbot erzeugt existenzbedrohende Einbußen
Bisher hatten Händler und wohlhabende Bauern dank ihrer Lagerbestände sogar von dem Anbauverbot profitiert, denn der Preis für Trockenopium stieg um das Fünffache auf den höchsten Stand seit zwanzig Jahren. Zugleich waren im Februar die Exportsteuern für Opium abgeschafft worden, offenbar um einen raschen Abverkauf der Lagerbestände zu bewirken.
Für Millionen afghanischer Kleinbauern bedeutete das Verbot dagegen existenzbedrohende Einbußen. Schätzungen zufolge verdienten im vergangenen Jahr noch rund 6,9 Millionen Afghanen am Opiumgeschäft mit. Die meisten früheren Mohnbauern bauen inzwischen Weizen an, weil er einen ähnlichen Anbauzyklus hat und höherwertige Produkte wie Obst oder Pistazien hohe Anschubinvestitionen erfordern. Erschwerend kommt hinzu, dass Afghanistan derzeit kaum Zugang zu internationalen Märkten hat. Der Weizen brachte den Bauern laut UNODC pro Hektar aber nur ein Neuntel des Geldes ein, das sie 2022 mit Opium erwirtschaften konnten.
Deshalb erwarten Beobachter, dass der Widerstand gegen das Mohnanbauverbot wachsen könnte. Das UNODC hat Geberländer aufgefordert, in Projekte für alternative Einnahmequellen zu investieren, um einen Rückfall zu verhindern. Haji Qadir, der Bauer aus Nangarhar, berichtet von Hilfsorganisationen, die verbessertes Saatgut und Gewächshäuser versprochen hätten. Die Regierung habe Tagelohn für die Ausbesserung von Bewässerungskanälen bereitgestellt. Doch auf die Dauer sei das zu wenig.
Die Taliban begründen das Anbauverbot mit islamischen Geboten. Vor ihrer Machtergreifung im August 2021 finanzierten sie allerdings ihren Guerillakrieg in erheblichem Maße aus der Besteuerung des Opiumhandels in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Der Bauer Qadir sieht darin keinen Widerspruch. „Damals waren die Taliban noch nicht an der Macht. Es war ihre Haupteinnahmequelle. Jetzt haben sie Zolleinnahmen und den Bergbau.“ Der Bauer, dessen Name zu seinem Schutz geändert wurde, ist sich nicht sicher, ob das Verbot dauerhaft Bestand haben wird. „Es geht das Gerücht um, dass die Taliban das Opium als Druckmittel einsetzen werden, wenn die Welt sie diplomatisch nicht anerkennt“, sagt er am Telefon.
Die Islamisten haben innerhalb kurzer Zeit erreicht, was der Regierung und potenten Geberländern in den zwanzig Jahren davor trotz Milliardeninvestitionen in die Rauschgiftbekämpfung nicht gelang. Das reiben die international geächteten Taliban-Minister ausländischen Diplomaten jetzt in jedem Gespräch unter die Nase. Sie fordern internationale Gelder für große Landwirtschafts- und Bewässerungsprogramme. Offenbar gibt es dazu durchaus Bereitschaft. „Die Amerikaner sind bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen“, sagt ein Diplomat. Auch europäische Länder haben Unterstützung signalisiert.
Synthetische Opioide sind gefährlicher als Heroin
Noch hat das Anbauverbot in Afghanistan kaum Auswirkungen auf den Heroinmarkt in Europa. Doch das ist nur eine Frage der Zeit. „Zwischen der Ernte und der Auslieferung der Drogen auf den Straßen Europas liegen eineinhalb Jahre”, sagt Andrew Cunningham von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon. Zudem gebe es entlang der Drogenrouten noch Lagerbestände, die nun abverkauft würden. Es gebe aber viele Anzeichen dafür, dass eine Verknappung des Heroinangebots bevorstehe. Es sei zu erwarten, dass dann der Konsum synthetischer Drogen zunehmen werde.
So war es auch 2001, als die Taliban in Afghanistan schon einmal ein Anbauverbot für Schlafmohn verhängt hatten. „In Estland und Finnland brach der Heroinmarkt damals völlig zusammen und hat sich nie mehr erholt“, sagt Cunningham. Stattdessen griffen Süchtige zu Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden, die aus Russland in die EU kamen. Sie sind potenter als Heroin. Die Folge war damals eine Zunahme an Überdosispatienten und Drogentoten.
In einigen Städten Irlands, Großbritanniens und Frankreichs registrierte die Beobachtungsstelle in den vergangenen Wochen schon eine sprunghafte Zunahme solcher Fälle. Es sind erste Anzeichen, dass sich die Entwicklung wiederholen könnte. „Es scheint fast, als ob die Rauschgifthändler einen Heroinmangel antizipieren und den Markt für neue Drogen testen.“ Die Mitgliedstaaten müssten sich dringend auf einen wachsenden Behandlungsbedarf vorbereiten. „Wenn der Heroinnachschub ausbleibt, werden die Leute etwas brauchen, um die Lücke zu füllen. Das sollten Medikamente sein und nicht illegale synthetische Opioide.“
Zu befürchten sei außerdem, dass es zu gewaltsamen Revierkämpfen kommen könnte, wenn sich die Märkte und Routen in Europa veränderten. Denkbar ist auch, dass der Heroinmarktes künftig von einem anderen Land beliefert wird: Myanmar. Das Land hat Afghanistan in diesem Jahr als größter Opiumproduzent der Welt abgelöst. Nach UNODC-Angaben stieg die Produktion dort um geschätzt 36 Prozent.
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