RAF-Terroristin Daniela Klette: Darum konnte sie in Berlin so lange untertauchen

raf-terroristin daniela klette: darum konnte sie in berlin so lange untertauchen

Nach mehr als 30 Jahren gefasst: Ein Polizist bewacht den Hauseingang von Daniela Klette.

Nach der Festnahme der RAF-Terroristin Daniela Klette bleiben Fragen: Warum konnte die inzwischen 65-Jährige, die für Sprengstoffanschläge und Überfälle auf Geldtransporter verantwortlich sein soll, mehr als 30 Jahre untertauchen? Warum ausgerechnet in Berlin-Kreuzberg? Einer der Gründe ist die Anonymität: Dort, wo sie seit etwa 20 Jahren wohnte und sich bewegte, fiel sie nicht auf. In dem sechsgeschossigen Wohnblock in der Sebastianstraße nahe dem Moritzplatz kennen sich die meisten Nachbarn nicht.

Die beiden Häuserzeilen an der Sebastianstraße markieren eine Grenze zwischen den unterschiedlichen Milieus. Der Wohnblock, in dem Daniela Klette lebte, ist ein grauer Betonklotz. Die Gebäude auf der anderen Straßenseite wirken dagegen modern. Die Fassaden sind bunt gestrichen, die Balkone bepflanzt und bisweilen mit Regenbogenflaggen versehen. Frauen mit Kopftuch schieben Kinderwagen auf der einen Gehwegseite vor sich her. Eine Frau auf dem Lastenfahrrad steuert die andere an. So unterschiedlich die Lebenswelten erscheinen, so unterschiedlich fallen auch die Reaktionen auf die Verhaftung von Daniela Klette aus.

Ein älterer Passant bestätigt, dass die Anwohner von beiden Seiten der Sebastianstraße in verschiedenen Welten lebten. Mit den Nachbarn auf der anderen Straßenseite, seinem Eindruck nach vor allem Menschen mit türkischen Wurzeln, gebe es kaum Interaktion, erklärt er. Daniela Klette, die unter dem Alias-Namen „Claudia“ lebte, sei ihm nie aufgefallen. Der Kreuzberger mit, laut eigener Darstellung, ostdeutschen Wurzeln trägt einen grünen Palästinenserschal. Er hat eine eindeutige Meinung zur Verhaftung von Daniela Klette. Er findet das Vorgehen der Behörden „schäbig“.

Die RAF habe schließlich eine Vorgeschichte und die habe mit einer ungenügenden Entnazifizierung der Bundesrepublik zu tun. Der Mann erwähnt die Klette vorgeworfenen Vergehen oder die Verbrechen der RAF mit keinem Wort.

Auf der anderen Gehwegseite, auf der nicht nur Daniela Klette, sondern viele Menschen mit Migrationshintergrund wohnen, scheint dagegen das Gefühl von Sicherheit erschüttert zu sein. Eine Mutter schildert, dass sie Angst um ihre Kinder habe. Sie wohne hinter dem Gebäude an der Sebastianstraße und wundere sich, warum die Polizei Klettes Wohnhaus immer noch mit einem Absperrband versiegele.

Daniela Klettes Leidenschaft galt dem Capoeira, einem brasilianischen Kampftanz. Bis vor einigen Jahren war sie in einer Capoeira-Schule in Charlottenburg aktiv. Auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte sie Termine und Programme für den „Monat des Schwarzen Bewusstseins“, für ein Afrobrasilianisches Kulturfestival, das „Fest der Kulturen“ in Reinickendorf und weitere Capoeira-Veranstaltungen. Der Move Global e.V., ein Dachverband für 31 Berliner Migrantenorganisationen, veröffentlichte Fotos eines Infotreffens des Vereins Iealembrasil e.V. vom Juni 2018, wo auch Daniela Klette zu sehen ist.

Auf Twitter macht ein Bild die Runde, das zeigt, wie sie am Karneval der Kulturen teilnimmt. Etliche Fotos zeigen sie im gelben Poloshirt ausgelassen beim Feiern. Sie hinterließ im Netz zahlreiche digitale Spuren – im Gegensatz zu ihren Komplizen, die auf Spurenvermeidung achteten.

Das alles deutet darauf hin, dass sie sich sicher fühlte. Sie machte sich wohl keine Gedanken darum, dass jemand mit KI-Tools die Fotos, die sie im Internet, etwa ein Gruppenbild auf Facebook, zeigen, mit dem Fahndungsbild der Polizei vergleichen konnte. Das taten Rechercheure des RBB-Podcasts „Legion“, die Klettes digitalen Spuren folgten und sich im Dezember der RAF-Frau versuchten zu nähern.

Im November wurde das LKA Niedersachsen hellhörig, nachdem es einen entsprechenden „Hinweis aus der Bevölkerung“ bekam, wie am Dienstag auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben wurde.

Was nicht bekannt gegeben wurde, war der Umstand, dass die Berliner Polizei nach Angaben von Ermittlern sauer ist. Die Zielfahnder aus Hannover hatten sich wohl nicht bei der Hauptstadtpolizei angemeldet. Sie klingelten mit einem Bild der Gesuchten bei den Nachbarwohnungen und schließlich bei Klette. Zur Unterstützung hatten sie einen Funkwagen des Abschnitts 53. Spezialkräfte wurden nicht hinzugezogen, obwohl auch eine 65-jährige Frau einen Abzug betätigen kann, zumal in der Wohnung Munition gefunden wurde.

In der Capoeira-Schule in Charlottenburg will man Daniela Klette, alias „Claudia“ nicht kennen. „Die Polizei soll lieber Nazis als alte Leute jagen, die vor 30 Jahren mal was gemacht haben“, sagt eine Mitarbeiterin. Die Festnahme hat Solidaritätsbekundungen hervorgerufen. In Kreuzberg hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Viel Kraft an Daniela Klette“ und darunter steht eine Matratze, auf der „Und viel Glück an Volker und Burkhard!“ zu lesen ist. Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg sind zwei weitere mutmaßliche RAF-Terroristen, nach denen das Bundeskriminalamt öffentlich fahndet.

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe, einer linksextremistischen Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, veröffentlichte zur Festnahme von Klette eine Stellungnahme. „Die heutige Festnahme von Daniela Klette ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis gegen ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppen“, erklärt eine Sprecherin des Bundesvorstands.

Daniela Klette stieg wohl auch deshalb in Kreuzberg ab, weil sie dort Strukturen fand, die sie unterstützten und tolerierten. Die Gewerkschaft der Polizei erklärte dazu: „Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und globale agierende linksextreme Szene ist.“

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