Pistorius will sie, nun auch die CDU : Wie ist der Stand bei der Wehrpflicht?
Die Rückkehr zu einer wie auch immer gearteten Wehrpflicht wird immer heißer debattiert. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr in Nürnberg
Die Debatte über ein Dienst- oder Gesellschaftsjahr läuft schon einige Jahre. Angestoßen unter anderem von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Dabei ging es aber sehr stark auch um die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, nun steht stärker die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Vordergrund.
Am Dienstag haben die Christdemokraten auf ihrem Parteitag daher die schnelle Einführung einer sogenannten „Kontingentwehrpflicht“ gefordert. Was hat es damit auf sich? Und wie passt das zu den Plänen, die Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) noch im Mai vorstellen will? Und wie hoch ist die Chande, dass die Aussetzung der Wehrpflich tatsächlich rückgängig gemacht wird?
Am 28. April 2011 beschloss der Bundestag, die bis dato für alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr geltende Wehrpflicht auszusetzen. Diese konnte bekanntlich alternativ auch als Zivildienst abgeleistet werden. Damals schien Deutschland nur von Freunden umgeben zu sein, die Bündnis- und Landesverteidigung war in den Hintergrund gerückt.
Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und seine Militärs hatten zudem die Erfahrung gemacht, dass anspruchsvolle Auslandseinsätze wie im Kosovo und speziell in Afghanistan mit einer kleineren, aber dafür deutlich spezialisierteren Berufsarmee bewältigt werden müssten.
Weil es als nahezu unvorstellbar galt, ist in der Öffentlichkeit bis heute kaum bekannt, dass die Wehrpflicht für den Verteidigungsfall weiter existiert. Weil auch die Bundeswehr selbst nicht wirklich mit einem solchen Szenario rechnete, wurde die notwendige Infrastruktur dafür vernachlässigt. Es gibt also keine Kreiswehrersatzämter für Musterungen mehr, es fehlen sogar die Datensätze, wen die Truppe im Ernstfall kontaktieren müsste.
Wie der Verteidigungsstaatssekretär Nils Hilmer kürzlich dem Tagesspiegel bestätigt hat, ist es Teil der zuletzt angekündigten Bundeswehrreform, dass bereits damit begonnen worden ist, diese Strukturen wieder aufzubauen.
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine steht die Landes- und Bündnisverteidigung wieder im Vordergrund der Planungen. Die anfangs eher allgemeine Sorge, dass Kremlchef Wladimir Putin eines Tages auch ein Nato-Land angreifen könnte, hat sich mittlerweile konkretisiert.
Zum einen hat sich die militärische Lage der Ukraine verschlechtert, zum anderen haben westliche Geheimdienste Anhaltspunkte dafür gefunden: So produziert Russlands Rüstungsindustrie derzeit weit mehr Waffen, als seine Armee in der Ukraine benötigt – und füllt mit dem Überschuss seine Arsenale auf. Seither spricht Pistorius von „fünf bis acht Jahren“, in denen man sich für die Möglichkeit eines Angriffs wappnen müsse.
Stand jetzt ist die Bundeswehr dafür jedoch mit gut 180.000 Soldatinnen und Soldaten deutlich zu klein. Als Zielgröße, die eine volle Verteidigungsbereitschaft herstellt, hat die Nato die Zahl von mindestens 201.000 errechnet.
Der Beschluss der Oppositionspartei CDU vom Dienstag zeigt ganz gut, worum es jetzt geht. Man will die Aussetzung der Wehrpflicht, die man damals selbst beschlossen hat, schrittweise zurücknehmen und „in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen“. Das können also auch Tätigkeiten des früheren Zivildienstes im Sozial- oder Umweltbereich sein. Pistorius hat ebenfalls bereits davon gesprochen, dass eine neue Pflichtzeit auch für Frauen gelten würde.
Weil eine solche allgemeine Dienstpflicht aber viel Vorlauf braucht und bestenfalls ein mittelfristiges Vorhaben ist, schweben dem Minister und auch der CDU schneller umsetzbare Zwischenlösungen vor. „Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht.“
Das ist nichts Anderes als das sogenannte schwedische Modell, für das auch Pistorius ein „Faible“ hat, wie er schon mehrfach sagte. Dort definiert die Armee seit Kurzem ein Kontingent, also eine bestimmte Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die sie zusätzlich braucht. Sie schreibt dann einen kompletten Jahrgang an, der auch zur Antwort verpflichtet ist und angibt, ob er eventuell nach einer Musterung freiwillig Militärdienst leisten würde. Aktuell ist das schwedische Kontingent noch relativ klein, weshalb bisher nur Freiwillige eingezogen wurde – das ändert sich aber dann, wenn die Zahl erhöht wird.
Im Ministerium hat man sich auch das finnische Modell angeschaut. Dort wird ein sehr großer Teil eines Jahgangs zu einem allerdings vergleichsweise kurzen Wehrdienst verpflichtet. Die Idee dahinter ist, dass die auf diese Weise ausgebildeten Rekruten Grundkenntnisse erlernen und im Ernstfall Teil der Reserve sind.
Es gibt prinzipielle Erwägungen gegen einen staatlichen „Zwangsdienst“, wie beispielsweise die FDP sie vorträgt. „Alles, was junge Menschen zwingt, eine längere Zeit ihres Lebens bei der Bundeswehr zu verbringen, ist für die FDP ein No-Go“, erklärte Alexander Müller, der verteidigungspolitische Sprecher ihrer Bundestagsfraktion schon vor mehreren Wochen.
Ein anderes Argument, das zuletzt immer wieder zu hören war, ist die Corona-Zeit. Weil gerade junge Menschen nach allgemeinem Verständnis besonders in ihrem persönlichen Fortkommen eingeschränkt waren, sollten dieser Generation nun nicht erneut Steine in den Weg gelegt werden, heißt es teilweise auch in den Fraktionen von SPD und Grünen.
Das ist schwer zu beantworten. Verteidigungsminister Pistorius dringt auf einen Grundsatzbeschluss noch in dieser Wahlperiode – wie er aus den oben genannten Gründen auch auf deutlich mehr Geld dringt. Die Widerstände in der Regierungskoalition sind ebenfalls groß, weshalb das Prinzip der Freiwilligkeit beziehungsweise allein die Pflicht, mit der Bundeswehr in Kontakt zu treten, sehr stark betont werden dürfte, um irgendwie die FDP zu überzeugen.
Auf der anderen Seite wird die Bedrohungslage so hoch eingeschätzt, dass dies auch für den politischen Handlungsdruck gilt. Der CDU-Beschluss könnte zudem die politische Gemengelage beispielsweise bei den Liberalen verändern.