Handspiel bei Werder gegen Darmstadt: "Den Erfinder dieser Regel würde ich gern kennenlernen"

Handspiel, ich? Darmstadts Tim Skarke (links) kann es nicht fassen und diskutiert mit Schiedsrichter Florian Badstübner.

Eine Szene in der Nachspielzeit erzürnt die Darmstädter und ihren Trainer Lieberknecht. Bei Werder Bremen reagieren sie gelassen, auch weil in der eigenen Familie ein neuer Sportchef gefunden wurde.

“Den Erfinder dieser Regel würde ich gern kennenlernen”

Spannend an der Fußball-Bundesliga war schon immer, dass die Trainer so schöne Kontraste zueinander darstellen. Es gibt nicht den einen Trainertyp, der an jedem Standort funktioniert, und schon gar nicht reagieren alle Trainer auf vergleichbare Situationen gleich. Eine eher überschaubare Anzahl an Gemeinsamkeiten, das hat der Samstag bewiesen, weisen definitiv Ole Werner und Torsten Lieberknecht auf. Bei Werner, dem dem stets sachlichen Trainer von Werder Bremen, muss schon eine ganze Menge zusammenkommen, damit er an die Decke geht; gerüchtehalber hat er mit seinem Kopf diese imaginäre Decke bislang nur gestreift und niemals Risse in ihr hinterlassen.

Torsten Lieberknecht, sein Kollege von Darmstadt 98, neigt da schon eher zu emotionalen Eruptionen. “Skandal!”, schimpfte Lieberknecht und stapfte wütend durch den Interviewbereich des Bremer Weserstadions: “Absoluter Skandal ist das!” Als Lieberknecht, der das Spiel wegen einer Gelbsperre auf der Tribüne anschauen musste, den Kabinentrakt erreichte, hatte die Dezibelzahl ihren Höchststand erreicht. Aus den Tiefen des Stadions knallte und polterte es, doch Werner wäre nicht Werner, wenn er nicht kurz darauf mit den Händen in den Hosentaschen und in aller Seelenruhe erklärt hätte: “Die Regel ist nicht geil. Aber die Regel ist für alle gleich.”

Das 1:1 zwischen Werder und Darmstadt bot wenig, was es in Saisonrückblicke schaffen könnte, aber die Szene des Spiels war zumindest nahe dran. Die letzte Minute der Nachspielzeit war angebrochen, als Bremens Torwart Michael Zetterer einen Rückpass empfing, den er geradewegs zu einem Mitspieler weiter passen wollte – blöderweise erreichte dieser pass den 98-Angreifer Tim Skarke, der an Zetterer vorbeizog und den Ball zum vermeintlichen 2:1 für die Hessen ins Tor schoss.

Skarke, das wurde den Darmstädtern zum Verhängnis, hatte den Ball jedoch von Zetterer an die Hand geschossen bekommen; ein Fall, der im Regelwerk als klares Vergehen hinterlegt ist, weil vor Toren jedwedes Handspiel strafbar ist – egal, ob die Hand angelegt war oder aus kurzer Distanz angeschossen wurde. Skarkes Treffer zählte also – zu Recht – nicht. Dass diese Regel zwar nicht zwingend geil, aber allgemeingültig ist, hat später auf der Pressekonferenz der inzwischen ein wenig heruntergekühlte Lieberknecht dann auch eingesehen. “Es ist die Regel”, resümierte Lieberknecht, “und den Erfinder dieser Regel würde ich gern mal kennenlernen – aber nicht heute.”

Regelkundler hatten es an diesem Tag gut mit dem SV Werder gemeint, doch die Bremer waren den Darmstädtern zuvor schon entgegengekommen. Sie lagen in allen relevanten Statistiken vorn, schossen öfter aufs Tor und hatten öfter den Ball, sie liefen mehr und gewannen mehr Nahduelle – es trafen aber lediglich zwei Darmstädter regelgerecht, nämlich Christoph Zimmermann per Eigentor (8. Minute) und Julian Justvan dann ins Tor der Bremer (33.). Bei Werder steht somit nun eine Bilanz in der Saisonchronik, über die sich der Nordrivale Hamburger SV beim Patentamt beschweren könnte: Das Remis gegen Darmstadt bedeutete den ersten Punktgewinn gegen einen Aufsteiger – zuvor hatte es eine Hinrundenpleite gegen die “Lilien” und zwei Niederlagen gegen den 1. FC Heidenheim gegeben.

Clemens Fritz wird neuer Sportchef – bleibt die “Werder-Familie” mal wieder unter sich?

Elf von zwölf möglichen Punkten hat der SV Werder somit gegen Teams liegen lassen, die in den Kalkulationen vor der Saison tendenziell eher aufs eigene Konto gerechnet worden waren. Das Gute aus Bremer Sicht ist: Mit Blick auf das Minimalziel “ruhige Saison” brauchen sie diese Punkte gar nicht so dringend, weil sie davon abgesehen eine wirklich ordentliche Spielzeit hinlegen. Das Schlechte: Eine ordentliche Saison weckt an so einem mitunter traumwandlerischen Traditionsstandort europäische Sehnsüchte – und die wären mit ein paar mehr dieser gegen Aufsteiger liegengebliebenen Pünktchen deutlich realistischer zu erreichen, als sich das die optimistischsten Saisonkalkulatoren im Sommer noch ausgemalt hätten.

Die Plätze, die zu einer Qualifikation für die Conference League berechtigen, sind für die Bremer in unmittelbarer Reichweite. Davon redet bei Werder zwar niemand; vor allem nicht der Trainer Werner, der wirklich nur von Spiel zu Spiel denkt. Innen- und insbesondere außenpolitisch könnte so ein Erfolg jedenfalls eine Argumentationsgrundlage liefern, wie man sie sich in der Bremer Geschäftsstelle nicht schöner ausdenken könnte. Während der Woche war der frühere Werder-Profi Clemens Fritz, aktuell noch Leiter Profifußball, zum Nachfolger des im Sommer abtretenden Sportchefs Frank Baumann auserkoren worden – eine Meldung, die nicht in roter Signalfarbe verschickt wurde, weil sie in etwa so überraschend kam wie der Nebelhorn-Sound nach einem Heimtreffer im Bremer Weserstadion. “Strukturierte Interviews” hätten zu dieser Entscheidung geführt, erklärte der Aufsichtsratschef Hubertus Hess-Grunewald und verwies auf eine “Shortlist mit fünf Bewerbern”, unter denen sich Fritz durchgesetzt habe.

Einige Bremer Fans sehen darin nur die Bekanntgabe einer Entscheidung, die quasi von vornherein feststand: Die sagenumwobene “Werder-Familie”, so der Vorwurf, bleibe mal wieder unter sich, obwohl ein frischer Impuls jetzt vielleicht nicht verkehrt wäre. Fritz jedoch kann für sich beanspruchen, dass er gemeinsam mit Baumann diesen Impuls aus dem laufenden Betrieb heraus organisiert hat: Vor allem in den vergangenen beiden Transferperioden haben sie die Mannschaft erneuert und verjüngt; eine Mannschaft wohlgemerkt, die vor zwei Jahren noch in der zweiten Liga spielte und die nun eine “bemerkenswerte Entwicklung” hingelegt habe, wie Trainer Werner am Samstag betonte. In aller Seelenruhe, versteht sich.

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