Stadtplaner Peter Terium: „Unsere Städte sind für Autos entwickelt“

stadtplaner peter terium: „unsere städte sind für autos entwickelt“

Liegender Wolkenkratzer: In der bis zu 170 Kilometer langen und 500 Meter hohen Megastadt „The Line“ wird es keine Straßen geben. Als Verkehrsmittel dienen unterirdisch fahrende Züge.

Bis 2017 war der Niederländer Peter Terium Vorstandsvorsitzender des deutschen Energiekonzerns RWE, zu dem in Frankfurt die Süwag gehört, beziehungsweise des später davon abgespaltenen Unternehmens Innogy. Nun baut Terium an Neom. Das ist eine von der Regierung Saudi-Arabiens geplante Stadt mit angeschlossenem Technologiepark im Nordwesten des Landes nahe dem Golf von Akaba und an der Küste des Roten Meeres. Das Projekt soll rund 500 Milliarden Dollar kosten. Zur Finanzierung beigetragen hat bezeichnenderweise der Börsengang der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco.

stadtplaner peter terium: „unsere städte sind für autos entwickelt“

Visionär: Der frühere RWE-Chef Peter Terium ist unter die Stadtplaner gegangen.

Für Neom ist ein gut 26.000 Quadratkilometer großes Gebiet vorgesehen. Zum Vergleich: Hessen ist gut 21.000 Quadratkilometer groß. Die neue Stadt wird im Nordwesten des Landes liegen, am Roten Meer und an der Grenze zu Ägypten und Jordanien. Ne­om besteht aus vielen Teilprojekten, wohl am bekanntesten ist „The Line“, eine 170 Kilometer lange und nur 200 Meter breite Stadt, die vom Roten Meer ins Landesinnere durch die Wüste gebaut werden soll.

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Auch der Vizekanzler Robert Habeck (Die Grünen) wittert in der Wüste Fortschritt und Wandel – und geht, wie hier am 10. Januar, mit Saudi-Arabien auf Tuchfühlung.

Dort sollen Millionen Menschen leben, in einem Turm von bis zu 500 Meter Höhe. Es gibt keine Straßen, nur Züge, die unter der Erde verkehren. Auf dem Weltwirtschafts­forum in Davos haben wir Peter Terium getroffen – und mit ihm über die Stadtplanung der Zukunft gesprochen.

Herr Terium, unsere Leser kennen Sie im Zweifel noch als Vorstandsvorsitzenden des deutschen Energiekonzerns RWE, nun bauen Sie eine Stadt in der saudi-arabischen Wüste. Wie lange machen Sie das schon?

Ich bin seit Oktober 2018 dabei, also gut fünf Jahre. Begonnen habe ich als sogenannter Sector Head für Energie und Wasser. Das Ganze sollte aus einer Hand entwickelt werden. Es gab zunächst nur eine Strategie, um Neom mit 100 Prozent erneuerbarer Energie zu versorgen. Und meine erste Aufgabe war, diese Strategie zu validieren und eine Entwicklungsperspektive dafür vor­zulegen. Das sollte unbedingt jemand machen, der das Geschäft zuvor schon mal betrieben hatte.

Und das hat Sie trotz der Entfernung zur Heimat gefesselt?

Ja, es ist eine Begeisterung für das Projekt, für das Land und die Menschen, mit denen ich arbeite. Deshalb haben wir schnell gesagt, lasst uns das nicht auf sechs Monate beschränken, sondern setzen wir es gemeinsam um. Das habe ich zugesagt, inzwischen haben wir die Laufzeit verlängert. Und ich bin immer noch da, und habe auch nicht vor, kurzfristig wieder auszusteigen. Denn das ist eigentlich fast eine lebensfüllende Aufgabe geworden.

Und was machen Sie jetzt genau?

Sobald ein Sektor eine bestimmte Reife erreicht hat, wird er aus der Holding herausgenommen und in eine eigene Gesellschaft gesetzt, die dann alles umsetzen muss. In meinem Fall ist das das Unternehmen Enowa für Energie und Wasser. Dort bin ich der CEO, und Enowa ist eine vollständige Tochtergesellschaft von Neom. Neom wiederum gehört vollständig dem staatlichen Vermögensverwalter von Saudi-Arabien. Der Minister für Umwelt und Wasser ist unser Chairman, der Minister für die Energie sitzt in unserem Verwaltungsrat. Wir haben zurzeit rund die 800 Mitarbeiter.

Wenn man sich das alles anschaut, was Sie bauen, leben wir in Europa in 50 Jahren in einem Museum . . .

Das weiß ich nicht, das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich sehe aber schon, dass gerade in Saudi-Arabien ein paar Sachen zusammenkommen. Und was zusammenkommt, ist ein hoch entwickeltes Land mit rund 45 Millionen Einwohnern, ein Land, das sehr jung ist, mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 35 Jahre, das sehr wohlhabend ist, aber das auch weiß, dass diese junge Generation in der Zukunft nicht mehr von Öl und Gas leben kann. Man ist ja nicht dumm, und man sieht, was passiert. Und jetzt hat man die einmalige Chance, um die Wirtschaft umzustellen auf eine Zukunft nach Öl und Gas. Das macht man ernsthaft und mit viel Fokus. Man hat jetzt die Möglichkeit und das Geld, was zurzeit durch Öl und Gas verdient wird, gezielt einzusetzen, um diese Zukunft zu gestalten.

Und das soll mit Ne­om gelingen?

Nicht nur damit. Die Vision Neom ist der Ka­talysator, um diese Entwicklung mitzutreiben, sodass man nicht auf Neom beschränkt bleibt. Zum Beispiel beim grünen Wasserstoff, der kann in ganz Saudi-Arabien Verwendung finden. Mein Stichwort ist Innovation. Mit Neom werden Nationalitäten, Kulturen und Religionen zusammengebracht, das führt zu diesem Schmelztiegel, der Innovation realisiert. Und das sind Ziel und Zweck von Neom.

In Saudi-Arabien . . .

Ja, ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber Neom wird sein eigenes Rechtssystem haben, es ist eine Region innerhalb Saudi-Arabiens, die allen, die sie dort ansiedeln wollen, und deren Mitarbeitern die Rechtssicherheit gibt, dass sie dort so leben, arbeiten, investieren können, wie man das im Westen gewohnt ist.

Diese Sicherheit ist so verlässlich, dass der saudische Staat das nicht von heute auf morgen wieder einkassieren kann?

Ja. Und ich bin mir sicher, dass in den nächsten sechs Monaten Konkreteres veröffentlicht wird zu diesem Rechtssystem. Daran haben wir lange gearbeitet. Wir haben uns an den besten Vorbildern orientiert, und da werden ausreichend Sicherheiten inkludiert sein, dass jemand, der tatsächlich auch Geld investiert, ein Gebäude erwirbt, Grund kauft, dass er auch seine abschließende Rechtssicherheit hat.

Warum sollte man da investieren?

Zunächst: Das Projekt ist so gigantisch, dass es nicht vernünftig wä­re, das allein aus der Staatskasse zu stemmen. Wir wollen Un­ternehmen überzeugen, die an das Projekt glauben und deswegen auch bereit sind, selbst Geld zu investieren. Und dafür finden sich längst auch Beispiele, zum Beispiel beim grünen Wasserstoff. Oder un­ter den führenden Hotelketten. Noch im Mai 2018 war unsere Haupt­frage: Ist das, was wir hier machen wollen, nicht so weit voraus, dass wir den Anschluss zur normalen saudischen Wirtschaft verlieren? Inzwischen ist unsere Frage vielmehr: Geht unsere Entwicklung schnell genug, weil die saudische Wirtschaft wirklich auf der Über­holspur ist? Und das ist eine Änderung, die von der breiten Gesellschaft getragen wird. Sie wird nicht von oben herab bestimmt, sondern von der jungen Bevölkerung eingefordert. Das ist einer der ganz großen Unterschiede zu Europa.

Nach Europa wollte ich gerade fragen . . .

Nun, ich will nicht über Deutschland reden.

Aber vielleicht über die Niederlande?

Diese Skepsis, dieses kritische Gegenüberstehen gegenüber allem Neuen, das merke ich in Saudi-Arabien überhaupt nicht.

Keine Wutbürger?

Die Menschen stehen dahinter und sagen: „Toll, das ist unser Projekt, wir wollen mit dabei sein, wir wollen es mitgestalten.“ Wir gestalten unsere eigene Zukunft. Und das ist etwas, was in der Wahrnehmung in Europa, in Deutschland, so abfällig gesehen wird.

Gestern hatte ich Schwierigkeiten, zum Kongresszentrum zu kommen, weil es ei­ne Demonstration gab: „Democracy at work“, wurde da von den Leuten gerufen . . .

Und ich bin nicht jemand, der über politische Systeme Diskussionen führen kann oder will. Und ich denke auch nicht schwarz-weiß: Das eine ist nur gut, und das andere ist nur schlecht. Ich kann nur aus dem, was ich tagtäglich erlebe, berichten. Ich bin ein Verfechter der Demokratie. Aber die Effizienz dessen, was in den letzten Jahren in Europa abgelaufen ist, das ist auch nicht überzeugend.

In jedem Fall schaffen Sie mit Neom eine spannende Konkurrenz von Standorten, für Städte wie zum Beispiel Frankfurt wird es schwierig, da mitzuhalten.

Mir geht es um etwas anderes. Mit Neom kann man erleben, was man machen kann, wenn man mit einem weißen Blatt Papier neu anfängt. Ich habe ja in Deutschland lange daran mitgewirkt, ein altes Energiesystem umzubauen zu mehr Erneuerbaren. Das ist nicht einfach, weil die Infrastruktur, die da ist, sich über Nacht nicht wegschmeißen und ersetzen lässt durch was Neues. Und hier hat man die Möglichkeit, bei null anzufangen. Das bedeutet, dass das, was wir bauen, vom Grunde her im Gesamtsystem auf die zu 100 Prozent Erneuerbare-Energie-Zukunft ausgerichtet ist. Und das ist ein Umdenken.

Darf ich trotzdem noch mal an den Vergleich mit unseren Städten in Europa erinnern?

Ja, wenn wir eine Stadt neu planen, können wir diese organisch gewachsenen Städte nicht in der Planung übernehmen. Dann bauen wir ineffiziente Städte. Unsere Großstädte sind für Autos ent­wickelt und nicht für Menschen. Und wenn Sie die Autos rausnehmen und eine Fußgängerumgebung kreieren, dann geht das nur bis zu einem bestimmten Grad. Denn warum gehen Menschen in die Großstädte? Wegen der Versorgungs­infrastruktur.

Gibt es denn überhaupt ein Vorbild?

Vielleicht in der Lebensqualität. Das ist Kopenhagen. Bei Neom bauen wir, wenn Sie so wollen, sechsmal Kopenhagen aufeinander. Dadurch können wir eine erstklassige Versorgungsinfrastruktur gewährleisten, denn wir erschließen uns über die Höhe eine neue Dimension. Wir machen das mit einer fünf- bis zehnfach höheren Qualität zu gleichen Kosten, als das in anderen Großstädten möglich ist. Viel Infrastruktur, die in den Städten un­ter der Straße liegt, ist bei uns in die Gebäude integriert. Und noch etwas: Wenn Sie so bauen wie wir, finden Sie viel schneller Zugang zur Natur. 95 Prozent von Neom wird nicht entwickelt werden, bleibt Natur. Das bedeutet, dass, wo in New York nur die „happy few“ zu Fuß im Park gehen können, bei uns im Prinzip jeder in der Lage ist, direkt raus in die Natur zu gehen – und er hat auch Blick auf diese freie Natur. Übrigens: Wenn wir das Thema Wasserversorgung in einer warmen, trockenen Umgebung für Neom lösen können, können die Lösungen auch in anderen Orten der Welt genutzt werden. Diese Vorreiterfunktion, dabei zu sein, das mitzugestalten, das glaube ich, das wird die Neom-Einwohner der Zukunft anziehen.

Und Schulen gibt es bei Ihnen auch?

Selbstverständlich, eine moderne Universität, internationale Schulen – und die gibt es schon heute.

Wie häufig sind Sie noch in Europa?

Ich komme nur vier- bis sechsmal pro Jahr zurück nach Europa. Entweder für bestimmte Feiertage, die wir mit der Familie verbringen, oder um den einen oder anderen geschäftlichen Termin wahrzunehmen. Mein Lebensmittelpunkt ist Ne­om. Es gibt von dort jetzt eine direkte Flugverbindung nach London. In Kürze werden wir regelmäßig Flüge entweder nach Istanbul, Frankfurt oder Paris hinzufügen. Wir haben Wochenendverbindungen nach Dubai, inzwischen auch nach Doha, und es gibt tägliche Flüge nach Riad.

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