Grünen-Klausur in Sachsen: „Das ist ein Standortnachteil, wenn die Unternehmen nicht weitermachen können“

grünen-klausur in sachsen: „das ist ein standortnachteil, wenn die unternehmen nicht weitermachen können“

Britta Haßelmann (l, alle Die Grünen) und Katharina Dröge (r), die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, stehen mit Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, für ein Pressestatement zum Auftakt der Klausurtagung der Bundestagsabgeordneten der Grünen in einem Hotel. Auf dem dreitägigen Treffen berät die Bundestagsfraktion der Partei unter dem Motto «Zusammen für unsere Demokratie», wie die Demokratie zu stärken, der gesellschaftliche Zusammenhalt zu bewahren und die digitale und ökologische Transformation der Wirtschaft zu gestalten ist. Foto: dpa Picture-Alliance data-portal-copyright=

Die grüne Bundestagsfraktion tagt in Leipzig. Die Abgeordneten suchen Eindrücke vor Ort – und im Kleinen scheint der Austausch zwischen Ökopartei und Wirtschaft zu funktionieren.

Als Fraktionschefin Katharina Dröge und eine Handvoll Grünen-Abgeordnete in der Linie 15 der Leipziger Straßenbahn sitzen, ist die Anspannung erstmal abgeschüttelt. Ihre Bundestagsfraktion mit 118 Abgeordneten absolviert in Leipzig gerade das, was alle dort vertretenen Parteien tun: Sie versammeln sich einmal im Jahr, um Schwerpunkte festzulegen, Aufgaben zu verteilen und um auf Tuchfühlung mit der Welt jenseits des Parlaments zu gehen.

Nun also schwärmen sie aus an diesem Mittwoch, in ein Braunkohledorf, zur Leipziger Strombörse oder zu den Stadtwerken. Um von den Ideen und Problemen derjenigen zu erfahren, die das Land am Laufen halten oder die als Unternehmerinnen und Unternehmer Neues umsetzen. In diesem Fall per Straßenbahn zum Straßenbahnhersteller Heiterblick am Leipziger Stadtrand.

Solche Begegnungen sind allerdings schwierig geworden, seitdem Grüne nicht nur mit Argumenten kritisiert, sondern bedroht, beschimpft und körperlich bedrängt werden. In den vergangenen Wochen sahen sich unter anderen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Agrarminister Cem Özdemir und Parteichefin Ricarda Lang gewaltbereiten Demonstranten gegenüber, die zum Teil auch Veranstaltungen sprengten.

Habeck hatte am Vortag in jenem abgeschotteten Hotel in Leipzig bereits gesagt: „Sicherheit hat einen Preis.“ Was er da auf die Ausgaben zur Unterstützung der Ukraine und auf staatliche Unterstützung der heimischen Solarbranche gemünzt hatte, lässt sich auch auf die Grünen selbst drehen. Die Vertreter der Ökopartei benötigen Polizeiwagen rund ums komplett gemietete Hotel herum, ein Dutzend Securityleute im Haus, es gibt Tür- und Taschenkontrollen für alle. Der Ort gleicht einer Wagenburg – für die Partei, die einmal besonders alternativ und zugänglich sein wollte.

Aber Trambahnfahren in der Großstadt funktioniert auch für eine Fraktionschefin und für eine Parlamentarische Staatssekretärin wie Franziska Brantner. Sie bleiben inkognito. Der Unternehmensbesuch beim Anlagenbauer Heiterblick, dem Ziel der Bahnfahrt, ist öffentlich nicht angekündigt.

Schiene in die Zukunft

Es ist ein Unternehmen nach dem Geschmack derer, die die Wirtschaft umbauen wollen. Ein junger mittelständischer Unternehmer, Samuel Kermelk, baut mit 200 Leuten Straßenbahnwagen. Sie tüfteln an einer wasserstoffgetriebenen Bahn und an Waggons, die ohne Klimaanlage auskommen. Alles Produkte also, die die ökologische Transformation der Wirtschaft im wahrsten Sinne befördern. Ingenieur Kermelk freut sich, sein Unternehmen mit fast hundertprozentiger Fertigung in Deutschland vorzustellen, „wo sonst eigentlich in Deutschland immer die Automobilisten im Vordergrund stehen“.

Heiterblick, die GmbH, die in den 2000er Jahren aus den Leipziger Verkehrsbetrieben ausgegründet wurde, um passende Fahrzeuge fürs städtische Netz zu entwickeln, hat sich mittlerweile Aufträge in etlichen deutschen Städten erschlossen. Es ist nicht die Firma mit dem niedrigsten Preis, aber eine, die passgenaue und im Betrieb sparsame Lösungen anbietet. Sie wachsen hier, sie bilden aus – und engagieren sich seit neuestem zudem als Sponsor beim lokalen Courage Festival gegen Extremismus.

Kermelk hat hier auf dem Firmengelände auch Anmerkungen und Kritik an der Bundesregierung. Bei anderen Formaten – auf großer Bühne und mit Ankündigung – scheint das nicht nur für die Grünen immer schwerer zu werden, weil militante Demonstrierende präsent sind.

Die Zuwanderungspolitik sei für ihn nicht nachvollziehbar, sagt Kermelk zum Beispiel. Ingenieure und andere Akademiker sind in Leipzig noch recht gut zu finden. Doch Fachkräfte sind rar, Schweißer, Lackierer und Außendienstler sogar sehr rar.

Heiterblick wollte einen Iraker als Elektriker einstellen, der sehr gut ins Team passte. Der Asylantrag lief, die Behörde verwehrte den Arbeitsvertrag, weil der Mann unter seiner Qualifikation hätte arbeiten sollen. Im Irak hatte er Elektrotechnik studiert. „Das gilt dann als Lohndumping“, berichtet der Firmenchef. Der Mann wurde ausgewiesen. „Der Apparat verhindert aktiv, was beide Seiten wollten.“ Das sei nicht zu verstehen. Er könne eigentlich bis zu 20 Zuwanderer anlernen oder qualifizieren, die dann in der Produktion arbeiten könnten, beklagt Kermelk.

Und dann sagt der Chef dieser wachsenden, prosperierenden Firma mit vollen Auftragsbüchern für drei bis vier Jahre und Kommunen als soliden, zahlungsfähigen Kunden noch etwas anderes: Er müsse nun wohl eine Bundesbürgschaft beantragen, weil die Banken ihm keine weitere Bürgschaft geben wollten. Die braucht er, weil er sich nur durch die Anzahlungen seiner Kunden für die Straßenbahnen finanziert. Er hat schon wegen steigender Materialkosten und Energiepreise bessere Konditionen mit der Kundschaft nachverhandelt. Aber deshalb steige eben auch insgesamt der finanzielle Rahmen. Ohne den Staat als Bürgen gehe es nun wohl nicht mehr, die Kreditinstitute bewegten sich nicht. „Die Banken sind in den letzten sechs Monaten deutlich risikoaverser geworden.“

Aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist zu hören, dass es nicht nur diesem gesunden Unternehmen so geht. Einzelne Banken scheuten derzeit das Engagement und würden es lieber bei der Allgemeinheit. Die Sozialisation des Risikos.

Katharina Dröge, die Fraktionschefin und Wirtschaftspolitikerin, schlägt sich da auf der Seite des Unternehmers Kermelk: „Das ist ein Standortnachteil, wenn diese Unternehmen nicht weitermachen können“, sagt sie und verspricht, das Thema mitzunehmen. Hier im Kleinen scheint der Austausch zwischen der Ökopartei und den Wirtschaftsleuten zumindest weiter zu funktionieren – trotz teils unterschiedlicher Sichtweisen.

Nach zweieinhalb Stunden endet die Exkursion von der Wagenburg in die Wirtschaft so wie sie begonnen hat: mit einer Trambahnfahrt – allerdings nicht mit einem Wagen von Heiterblick, sondern dem der Konkurrenz Bombardier.

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