In Davos rumort es zwischen der Tourismusbranche und jüdischen Gästen. ; Annick Ramp / NZZ
«Ich habe in Davos eine sehr starke antijüdische Stimmung erlebt»: Das sagte vor einigen Monaten der orthodoxe Jude Simon Bollag im Interview mit der NZZ. Die Aussage bezog sich auf frühere Ferienaufenthalte, doch viel hat sich offenbar nicht geändert in der Alpenstadt. Am Wochenende wurde ein neuer Vorfall bekannt, der die Frage aufwirft, ob Davos ein Antisemitismus-Problem hat.
Der Zürcher FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman postete auf Twitter das Bild eines Aushangs bei der Bergbahn Pischa. Nichtjüdische Kunden werden den Zettel nicht gross beachtet haben, zumal der Text in Hebräisch verfasst ist. Doch für Jüdinnen und Juden stellt er einen Affront dar. Denn da steht laut Spielman: «Aufgrund verschiedener sehr ärgerlicher Vorfälle, darunter der Diebstahl eines Schlittens, vermieten wir keine Sportgeräte mehr an unsere jüdischen Brüder. Dies betrifft alle Sportgeräte wie Schlitten, Airboards, Ski und Schneeschuhe. Vielen Dank für Ihr Verständnis.»
Nachdem es bereits zahlreiche empörte Kommentare gegeben hatte, rechtfertigten sich die Betreiber des Bergrestaurants mit einer längeren Stellungnahme. Probleme mit jüdischen Kundinnen und Kunden seien absolut kein Einzelfall, sondern tagtägliche Erfahrungen, schreiben sie. «Wir haben jüdische Gäste, die in Strassenschuhen Schlitten mieten wollen, diese dann einfach auf der Piste stehen lassen und den Rettungsdienst anfordern, obwohl sie nicht verletzt sind. Wir müssen dann die Schlitten wieder einsammeln, sofern sie noch zu finden sind.»
Schwangere, die schlitteln wollen
Es gebe hochschwangere jüdische Kundinnen, die nicht einsehen wollten, warum man ihnen keine Geräte vermieten wolle. Zudem würden Schlitten und Airboards teilweise nicht zurückgegeben oder nur defekt – und niemand wolle dafür geradestehen. Geräte von anderen Gästen seien während des Mittagessens entwendet und für Testfahrten hinter dem Gasthaus benutzt wurden.
Es geht aber offenbar nicht nur um den Verleih von Schneesportgeräten. «Die besten Plätze auf der Terrasse oder im Restaurant werden mit ‹Picknickern› bevölkert, obwohl jeder weiss, dass man in einem Schweizer Restaurant auch konsumieren muss. Wo bleibt da der Anstand uns und unseren zahlenden Gästen gegenüber?», schreiben die Betreiber des Restaurants. «Gewisse Touristengruppen» – es ist klar, wer damit gemeint ist – wollten sich nicht an die minimalsten Anstandsregeln «im Gastland» halten.
Die Betreiber halten fest, sie wollten das Risiko nicht mehr tragen, dass irgendwann einer dieser Gäste in einen schweren Unfall verwickelt werde und sie dafür zur Rechenschaft ziehe. «Wir wollen den täglichen Ärger nicht mehr und entscheiden uns darum, dass wir von unserem Recht Gebrauch machen, zu entscheiden, wer unser Eigentum mieten kann und wer nicht.» Das habe gar nichts mit Glauben, Hautfarbe oder persönlichen Neigungen zu tun.
Manche der Streitpunkte sind altbekannt in den Tourismus-Hotspots wie Davos oder Arosa, die bei orthodoxen Juden aus dem In- und Ausland beliebt sind. Etwa dass sie nichts oder nur wenig konsumierten in den Beizen. «Weil wir koscher essen, können wir nun mal nichts in einem ‹normalen› Restaurant konsumieren, nicht einmal eine Kartoffel», erklärte dies Simon Bollag. Er habe es aber stets aufs Schärfste verurteilt, wenn gewisse orthodoxe Feriengäste im Bergrestaurant aufs WC gegangen seien und nichts konsumiert hätten. «Wir bestellen jeweils in den Bergen eine grosse Flasche Apfelsaft, Problem gelöst.»
Neue Eskalation, alter Konflikt
Dass eine Bergbahn aber alle Juden in Sippenhaftung nimmt und sich weigert, ihnen Schneesportgeräte zu verleihen, ist eine neue Eskalationsstufe. Im letzten Sommer hatte der Umstand für Schlagzeilen gesorgt, dass der Davoser Tourismusdirektor Reto Branschi einseitig ein Vermittlungsprojekt des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) gestoppt hatte.
«Eine Gruppe von Gästen hat keinen Respekt vor unseren Gepflogenheiten im öffentlichen Raum und reagiert ablehnend auf alle Versuche, ihnen das zu erklären», erklärte Branschi damals. Er warf jüdischen Touristen unter anderem vor, dass sie auf den Trottoirs nicht ausweichen würden. Und dass sie es nicht akzeptierten, dass im Restaurant andere, die vorher da gewesen seien, zuerst bedient würden.
Vom Aushang in der Bergstation distanziert sich Branschi nun aber. Dieser sei «unglücklich formuliert», sagte er gegenüber «20 Minuten». Das Schreiben lasse die Interpretation zu, dass wegen des Verhaltens Einzelner eine ganze Gruppe von Gästen von einer Dienstleistung ausgeschlossen werde. «Der Aushang kann die Gefühle der jüdischen Gästegruppe insgesamt verletzen, und das soll so nicht sein. Er steht nicht für die Haltung der Destination und der touristischen Anbieter unseres Ortes. Davos/Klosters und seine Dienstleistungen stehen allen Gästen offen.»
Dass sich jüdische Gäste, vor allem jene aus dem Ausland, ab und zu falsch verhielten, bestreite niemand, sagte der SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner im Sommer. Er könne nachvollziehen, dass sich andere Touristen darüber nervten. «Trotzdem darf man das nicht verallgemeinern und auf die gesamte Gruppe der Tausende von Gästen beziehen. Das entspricht nicht der Realität.»
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