Das Zerwürfnis zwischen YB und dem Fussballer Jean-Pierre Nsame wirft Licht auf das verborgene Transfergeschäft

das zerwürfnis zwischen yb und dem fussballer jean-pierre nsame wirft licht auf das verborgene transfergeschäft

Nach sechs YB-Jahren plötzlich in die Serie B: Jean-Pierre Nsame spielt nun für Como. Antonio Saia / ;Imago

Sie nennen ihn liebevoll «Schämpu». Für Aussenstehende ist nur schwer nachvollziehbar, was für eine Ehrerbietung das in Bern ist. «Schämpu» steht für Hans-Peter. Oder für Jean-Pierre Nsame, den 30-jährigen Fussballer aus Kamerun, der früh nach Frankreich übersiedelte und sich als Sohn einer zersplitterten Migrantenfamilie auf dem Fussballrasen behauptete. Die YB-Gemeinde hat «Schämpu» ins Herz geschlossen.

Er schoss in 242 Spielen für YB 140 Tore, wurde 3-mal Torschützenkönig, 5-mal Meister, 2-mal Cup-Sieger und blieb dem Klub seit 2017 treu – mit Ausnahme eines missglückten halbjährigen Abstechers nach Venedig. «Schämpu» Nsame hat in Bern schieren Legendenstatus.

Doch jetzt ist er plötzlich nicht mehr da.

In Como regnet und hagelt es an diesem Februar-Wochenende, es ist kalt, unfreundlich, der Wind bläst seitwärts, der See ist aufgewiegelt. Der FC Como empfängt in der Serie B, Italiens zweithöchster Liga, den Tabellenführer aus Parma.

Das Stadion in Como ist ein Relikt aus einer anderen Zeit

Das baufällige Stadion grenzt an Wohnblöcke und liegt am Comersee. Es scheint wie aus der Zeit gefallen. Einige Tribünen sind aus Sicherheitsgründen gesperrt, andere mit Stahlrohren nur provisorisch erstellt. Ein Relikt. Eine Bastelei. Der grosse Fussball wäre weit weg, stünde da nicht der Spanier Cesc Fabregas an der Seitenlinie. Er ist der Como-Assistenztrainer – und mehr als das. Der Spanier spielte für Arsenal, Barcelona und Chelsea und räumte mit Spanien zwischen 2008 und 2012 alles ab. Seit 2022 kann ihn Como bejubeln.

7000 Personen sind im intensiven, von Fehlern und viel Hurra durchsetzten Spiel gegen Parma zugegen und schaffen trotz Hudelwetter Atmosphäre. 1:1. Ein kleiner Schritt für Como auf dem ersehnten Weg nach oben. Nsame spielt keine Minute. Er erhält keinen Teileinsatz wie in den Spielen zuvor. Ihm bleibt im Moment jene Rolle, die er auch in Bern zunehmend annehmen musste: diejenige des Ersatzspielers.

Fabregas hat Nsame Como schmackhaft gemacht. Der FC Como, dessen Führung mit Thierry Henry ein anderer klangvoller Fussballername (mit-)ziert, will in die Serie A. Auf einer Hauswand prangt ein riesiges Plakat. «Lotta per il sogno», steht da, «kämpfe für den Traum.» Was für Kontraste. Fabregas und Henry hier, ein Stadion im Zerfall da.

Der Fall Nsame ist ein Novum im Schweizer Fussball

Noch nie ist in der Schweiz ein serieller Torschütze so schnell ausser Rang und Traktanden gefallen wie Nsame in Bern. Kein Transfer in eine grössere Liga, keine Millionenbeträge, kein Happy End. Sondern: das Ende einer schönen, aber am Ende tragischen Liebesgeschichte, voll bepackt mit Missverständnissen, Enttäuschungen und Vorwürfen. Eine Scheidung, die Einblick in die Fussballwelt gibt, die einfach gestrickt scheint, aber manchmal kompliziert werden kann.

Eine Person aus dem Umfeld Nsames sagt: «Es ist, als müsste man seine Partnerin verlassen, die man liebt. Das ist hart.» Das Treffen mit Nsame findet in der Lobby eines Hotels in Como statt. Draussen der Regen, drinnen Unverständnis, verbunden mit der Hoffnung auf eine frische Liebe ganz im Norden Italiens, ein paar Meter von der Schweiz entfernt.

Nsame versteht die für ihn untergegangene YB-Welt nicht. Er sagt: «Im heutigen Fussball dominiert Geld. Wenn Geld im Spiel ist, ist weniger Herz, sind weniger Werte dabei. Ich habe das Glück, dass Geld weder meinen Weg noch meinen Charakter lenkt.» Mit diesem Satz skizziert der Stürmer einen der Gründe für die Zerrüttung.

Frühere YB-Copains von Nsame wie Sékou Sanogo, Christopher Martins oder Nicolas Ngamaleu wechselten entweder nach Saudiarabien oder nach Russland. Egal, was dort ist. Transfergeld für YB, mehr Lohn für die Spieler, ein Abgang, bevor es zur Abnutzung kommt, ein frei gewordener Platz bei YB. Das Dominospiel im Fussball. Darauf sind Schweizer Klubs angewiesen. Nsame will weder nach Saudiarabien noch nach Russland. «Jamais», sagt er.

Wie Nsame zum Problem geworden ist

Im Transfergeschäft wird antizipiert. Der Klub rechnet mit dem Abgang Nsames – und holt prophylaktisch Ersatz. Cedric Itten 2022, Silvere Gonvoula 2023. Aber Nsame bleibt. Das wird anforderungsreich, für den Trainer, den Spieler, die Mitspieler und die Klubführung, die danach trachtet, noch etwas herauszuholen. Oft bleibt für die Öffentlichkeit verborgen, warum ein Spieler einem anderen vorgezogen wird. Es kann sanften Druck auf den Trainer geben, je nachdem, ob ein Transfer angestrebt wird. Oder eben nicht.

Nsame sagt: «Ich bin in der Rotation der Stürmer zum Problem geworden, obschon der Status und die Statistik für mich sprechen.»

Von aussen ist schwer nachvollziehbar, warum YB mit Nsame schleichend gebrochen hat. Paradox daran ist, dass Nsame bis zum bitteren Ende am meisten YB-Tore geschossen hat, selbst als degradierter Stürmer. Die meisten Tore letzte Saison: Nsame, vor Itten. Den Cup-Final 2023 entschieden: Nsame mit zwei Toren. In der laufenden Saison noch immer am meisten YB-Tore: Nsame, vor Itten.

Keine YB-Karriere endete so wie diejenige Nsames

Die Statistik brachte die trennungswillige YB-Führung in Erklärungsnot. In guten Zeiten hebt man im Klub hervor, dass Nsame nach jedem Tor im Jubel auf den Passgeber zeigt. In schlechteren Zeiten wird auf seine Unzufriedenheit und Lethargie hingewiesen – und darauf, dass er sich auf dem Rasen zu wenig aufgelehnt habe, zu wenig gelaufen sei und sich mit Konkurrenz schwertue.

Mit anderen schaffte YB am Ende die Kurve. Mit Marco Wölfli, mit Miralem Sulejmani, mit Steve von Bergen und selbst mit Guillaume Hoarau, zumindest halbwegs, mit Verzug und nach heftigen Emotionen. Christoph Spycher, bei YB der Spiritus Rector im sportlichen Bereich, sagt: «Wenn sich das Ende der Karriere nähert und es womöglich um den letzten grossen Vertrag geht, wird’s immer emotional. Bei Nsame passten verschiedene Dinge nicht. Wir wollten das Kapitel gut beenden, damit er seinen Status halten kann. Das gelang uns nicht.»

Wenn ein Stürmer über Jahre viele Tore erzielt, ist der nächste Sprung nur eine Frage der Zeit. Denkt man. Nebst den hohen Ansprüchen an mögliche Destinationen fuhren Nsame 2020 das Corona-Transfer-Loch und 2021 der Riss einer Achillessehne in die Transfer-Parade.

Die Scheidung war ab März 2023 nicht mehr abzuwenden. Damals legte Chicago Fire aus der amerikanischen Fussballliga ein Angebot für Nsame vor. Der Spieler sagt, dass ihn der Klub dazu gedrängt habe, in die USA zu wechseln. Spycher entgegnet, dass Nsame erklärt habe, mit Chicago reden zu wollen. Aus seinem Kreis verlautet, dass das Angebot top gewesen sei. Der gordische Knoten löste sich nicht, weil Nsame ein Familiendrama von früher einholte.

Nsame begleitet ein Familiendrama bis heute

2015 kam es in Frankreich zu einem Zwischenfall, als der junge Vater seine noch nicht halbjährige Tochter erstmals allein umsorgte. Das heute beeinträchtigte Kind musste hospitalisiert werden. Nsame soll es geschüttelt haben. Die französischen Behörden verordneten zunächst eine Kontaktsperre zu Frau und Kind, später wurde Nsame auf Bewährung verurteilt.

Die Öffentlichkeit des Vorfalls führte dazu, dass Nsame 2016 «die Intelligenz hatte und den Rat befolgte, die Ligue 1 zu verlassen», wie einer seiner Förderer 2019 gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagte. Er kam nach Genf zum Servette FC, schoss in der Challenge League 23 Tore und erzwang 2017 den Wechsel zu YB, nachdem er seine grosse Liebe auf Servette geschworen hatte.

Nach dem Studium des Gerichtsurteils sah Chicago Fire keinen Weg, wie Nsame in den USA die Arbeitsbewilligung erhalten könnte. Nicht nur Saudiarabien und Russland, jetzt auch: bye-bye, USA.

YB legt gegen den Wechsel nach Genf das Veto ein

Als Nsame in Bern immer unzufriedener wurde, wollte ihn unlängst der Servette FC zurückholen. Doch YB weigerte sich, den Topskorer an einen Konkurrenten abzugeben. Das führte zu Verwerfungen, deren Wahrnehmungen divergieren. Nsame ist tief getroffen, obschon er das Berner Veto inzwischen besser nachvollziehen kann. Doch er sagt: «Wäre ich die Nummer 1 gewesen und hätte ich den Vertrag nicht verlängern und zu Servette wechseln wollen, würde ich YB begreifen. Aber so war es nicht.»

Der Spieler und seine Berater behaupten, dass YB keine Vertragsverlängerung unterbreitet habe. Ihnen sei vom Klub angetönt worden, dass dieser dem Spieler «aus Respekt» kein Angebot mit weniger Lohn vorlegen wolle. Nsame lässt verlauten, dass eine Salärreduktion von 50 Prozent im Raum gestanden sei. Für einen 30-jährigen Torschützenkönig? Spycher geht auf keine Zahlen ein, lässt aber durchblicken, dass die Nsame-Berater Zahlen im Kopf hatten, «die für uns unrealistisch waren».

Spycher spricht von Werten, die auch nach fünf oder sechs Jahren noch Gültigkeit hätten. «Es kann nicht sein, dass jemand das Gefühl hat, er sei irgendwo – und der Rest der Gruppe an einem anderen Ort», sagt derjenige, ohne den bei YB nach wie vor kein Transfer vonstattengeht. Der Fall Nsame war Chefsache. Als YB 2023 gegen Maccabi Haifa um die Qualifikation für die Champions League spielte, blieb dem Torschützenkönig die Statistenrolle. Wo hat es das schon gegeben? YB stiess dennoch in die Königsklasse vor.

Am Ende beklagt sich «Schämpu» über sich zersetzendes Vertrauen. Spycher hält dem entgegen, dass YB Nsame immer wieder geholfen und ihm auch viel gegeben habe. Unterschiedliche Wahrnehmungen in Hülle und Fülle. Entfremdung, Züge einer Kampfscheidung. Rätselhaftes.

Spycher wehrt sich gegen die Vorwürfe

Anfang 2020, kurz vor Corona und kurz vor Transferschluss, meldete sich West Ham United aus der Premier League. Nsame sagt, dass er nicht darauf eingegangen sei, «obschon dies in meiner Situation 90 Prozent der Spieler getan hätten». Spycher sagt, dass an jenem Tag drei Berater angerufen hätten und bloss ein Leihtransfer mit Kaufoption im Raum gestanden sei, von einem schriftlichen Angebot keine Spur. «Trifft ein Angebot ein, informieren wir stets umgehend den Spieler. Aber von West Ham erhielten wir keines. Eine Ausleihe kam zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht infrage», sagt Spycher.

Andere Erinnerungen und Gefühle. Treue, die nicht belohnt wird. Verletzungen, die nach einer Trennung vorhanden sind, aber im Blick zurück auch zurechtgezimmert werden.

Warum nicht Bundesliga? Auch das ist eine Frage, zumal viel Personal (Zakaria, Sow, Siebatcheu, Kanga, die Trainer Seoane und Hütter) YB in Richtung Deutschland verlassen hat. Kenner der Szene weisen auf das «Tempo-Manko» Nsames hin, das ihn offenbar nur für das untere Bundesliga-Drittel interessant macht.

Wenn zum Beispiel Darmstadt, Mainz, Köln oder Bochum um einen Spieler buhlen, ist dessen Salär netto nicht viel höher als bei YB, auch deshalb nicht, weil bei einem Abstieg aus der Bundesliga eine Lohnreduktion von bis zu 40 Prozent folgt. Nsame dürfte bei YB brutto fix 500 000 Schweizerfranken im Jahr verdient haben, dazu kommen im Erfolg Prämien von 250 000 bis 300 000. Von den 750 000 bis 800 000 blieb ihm wohl netto eine halbe Million. In Darmstadt gäbe es brutto mehr, aber es werden wegen Steuern und Sozialabgaben 50 Prozent abgezogen.

Im Zusammenhang mit dem Servette FC fragt sich, wie viel die Genfer Nsame zu zahlen bereit gewesen wären. Ihre Rechnung war wohl: Wir sparen ein halbes Jahr vor YB-Vertragsschluss Transferausgaben, geben dafür einem Tor-Garanten ein ordentliches Handgeld und einen guten Lohn.

Como ist keine schlechte Adresse: der See, die Hügel, die Nähe zu Mailand und der Schweiz, Italianità. Nicht ausgeschlossen ist, dass Nsame in Como netto auf 600 000 Euro jährlich kommt. Vielleicht sind’s bei einem Aufstieg in die Serie A deren 200 000 mehr. Und das in einem Klub mit einem kleinen Fussballstadion aus einer anderen Zeit. Die Geldquellen des Fussballs – eine unendliche Geschichte.

Während Nsame in Como gegen Liebeskummer kämpft und die Serie B starkredet, denkt man im Wankdorfstadion gleichzeitig an Nsame, wenn YB das Tor verfehlt hat. Eine komplexe Scheidung. Aber trotz allem eine mit Ansage. Und eine mit wenig Gewinnern, zu denen höchstens ein paar YB-Stürmer gehören.

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