Von Politikern wird immer wieder die Angst vorgebracht, dass vermögende Bürger wegen zu hoher Steuerbelastung das Land verlassen. Die Gefahr scheint laut einer aktuellen Studie zumindest für Großbritannien unbegründet. Es zeigt sich, wie sehr die Elite an den Vorzügen ihrer Heimat hängt.
Den Koffer packen und aus London für immer auf die Bahamas ziehen? Für die meisten wohlhabenden Briten keine Option Getty Images/Image Source/Ben Pipe Photography
Leannes Urteil ist eindeutig. „Ich würde nicht in eine Steueroase ziehen“, sagte die gut situierte Beraterin, um die 60 Jahre alt. Sie könne sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen als eine Steueroase: „So ein winziger Ort voller Menschen mit Yachten und Bediensteten. […] Ich will in einem dynamischen wirtschaftlichen Umfeld leben, wo Raum ist für Innovation.“
Mit der Meinung, dass auch höhere Steuern sie nicht dazu bewegen würden, aus Großbritannien wegzuziehen, ist sie nicht allein. „Meine Kunden, die auf die Bahamas gezogen sind, haben sich zu Tode gelangweilt“, sagte Luke, erfolgreicher Anwalt zwischen 50 und 60 Jahre alt. „Sonne, See und Sand. Okay, das ist großartig für ein paar Wochen, um die Batterien aufzuladen, aber nach einer Weile sagst du dir ‚also jetzt würde ich gerne in die Oper gehen’. Aber das kannst du vergessen – auf den Bahamas gibt es kein Theater.“
Von Politikern und Politikberatern wird immer wieder die Sorge vorgebracht, ein höheres Steuerniveau auf Einkommen und Vermögen würde unweigerlich dazu führen, dass zahlreiche vermögende Bürger ihre Koffer packen und das Land verlassen würden. Unter dem Strich könnte das sogar dazu führen, dass die gesamten Steuereinnahmen sinken, da besonders hohe Einkommen nicht mehr im Land versteuert würden.
Doch zumindest in Großbritannien scheint diese Sorge unbegründet, belegt eine aktuelle Untersuchung des International Inequality Institute an der London School of Economics (LSE). Mit einer kleinen Gruppe von Personen, die zu den ein Prozent wohlhabendsten im Land gehören, haben die Wissenschaftler ausführliche Interviews geführt und dabei darauf geachtet, ein Spektrum unterschiedlicher politischer Meinungen abzudecken.
Namen und Berufsgruppe der Befragten wurden so anonymisiert, dass Rückschlüsse auf die tatsächlichen Personen nicht möglich sind, um diese zu schützen. Bei den Gesprächen ging es zunächst um die Wertschätzung unterschiedlicher Faktoren, steuerliche Fragen wurden erst am Ende der Unterhaltung angeschnitten oder wenn die Befragten sie aufbrachten.
Das Fazit: Keiner der Befragten plant aktuell, das Land aus steuerlichen Gründen zu verlassen und kann sich diesen Schritt auch in Zukunft nicht vorstellen. In der Gruppe von Personen, die ins Ausland gezogen sind, nannte keiner die Steuern als entscheidenden Auslöser.
Hohe Steuerbelastung in Großbritannien
Zur Begründung verwiesen sie auf eine Mischung aus Risiken für die berufliche Karriere, Verwaltungsaufwand, familiäre Gründe, enge Bindung an den aktuellen Wohnort und Reputationsrisiken. Gleichzeitig äußerten aber zahlreiche Befragte die Einschätzung, dass die Steuerbelastung in Großbritannien zu hoch sei und noch weiter steigen könnte.
„Wir müssen die vorherrschende Meinung infrage stellen, dass die Reichen gehen, wenn sie steuerlich belastet werden“, sagte Sam Friedman, Professor für Soziologie an der LSE und einer der Autoren der Studie. „Wohlhabende sind nicht nur stark (an ihrem Wohnort) verwurzelt, sie sind sich auch des Stigmas der Steuer-Migration sehr bewusst – als übermäßig eigennützig gesehen zu werden oder an Orte zu ziehen, die als kulturell öde und langweilig gelten.“
Viele der Befragten leben in London, die Stadt gilt ihnen als zentraler Attraktivitätsfaktor, insbesondere das kulturelle Angebot, aber auch der Zugang zu privaten Schulen und privater medizinischer Versorgung. Um weniger Steuern zu zahlen, würden sie diese Aspekte nicht aufgeben wollen.
„Kompletter Nonsens“ sei die Darstellung einer großen Abwanderung der Wohlhabenden und Hochqualifizierten, wenn die Steuern auf Vermögen erhöht würden, sagte Marianne, eine Millionärin, die im Bereich Kultur arbeitet. „Und die Antwort, warum, gebe ich Ihnen in zwei Begriffen, und das sind National Gallery oder National Theatre … das sind die Gründe, warum die Menschen London nicht verlassen werden.“
Hinzu kommen die oft sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen in zahlreichen Destinationen mit niedrigen Steuern. Auf abgeschlossene, bewachte Wohnanlagen für Ausländer in den Golfstaaten verwiesen Befragte genauso wie auf die Schwierigkeit, unkompliziert ein Glas Bier zu bekommen – sie erscheinen ihnen deutlich weniger attraktiv als die Lebensumstände in Großbritannien.
Geringschätzung für Steuerflüchtlinge
Ganz unbedeutend sei das Steuerregime eines Landes bei der Auswahl eines Standorts oder als Faktor für einen Umzug nicht, betonen Soziologen. Sie seien aber laut den Angaben der Befragten niemals allein Ausschlag gebend. „Sonst würde ja jeder nach Dubai ziehen“, sagte Bill, Steuerberater um die 50 Jahre.
Überrascht waren die Interviewer über die Geringschätzung, mit der die Befragten jene beurteilten, die tatsächlich die Steuerbelastung zum Anlass genommen hatten für einen Umzug. Als egoistisch und selbstsüchtig werden sie beschrieben.
„Man muss schon ein spezieller Charakter sein, um aus steuerlichen Gründen umzuziehen“, betonte Unternehmer Thomas. Sie kenne einige Leute, die Steuern umgangen oder hinterzogen hätten. „Sie finden das ganz lustig. Ich finde es furchtbar“, so Marianne.
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