Opel kämpft in Deutschland mit enormen Kosten – und baut den neuen elektrischen Grandland dennoch in Eisenach
Fertigung des Opel Grandland: In Eisenach werden künftig alle Varianten vom aktuellen und vom neuen elektrischen Grandland produziert. Martin Schutt / DPA
Das thüringische Eisenach mit seinen gut 42 000 Einwohnern ist vor allem für drei Dinge bekannt: Martin Luther übersetzte auf der Wartburg anno 1521 das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche, 1685 wurde dort der Komponist Johann Sebastian Bach geboren, und seit fast 130 Jahren ist die Stadt ein Zentrum des Automobilbaus. Gleich nach der Wiedervereinigung errichtete Opel eine Fabrik am westlichen Ortsausgang von Eisenach, direkt am Fluss Hörsel gelegen, der wenig später in die Werra fliesst. Von Anfang an war das Werk wegen seiner Effizienz und Modernität Opels ganzer Stolz.
Huettls schneller Aufstieg an die Opel-Spitze
Derzeit ist man auf den Standort besonders stolz, denn in Eisenach läuft die Vorproduktion des neuen Opel Grandland, eines sportlichen Geländewagens (sport utility vehicle, SUV), der ab Herbst erstmals auch vollelektrisch angeboten wird. Für die zweite Grandland-Generation musste Opel das Werk umrüsten, etwa in den Bereichen Rohbau sowie Fertig- und Endmontage. Dafür investierte die Firma 130 Millionen Euro. «Sehr viel Geld ging in die Fördersysteme», sagt der Werksleiter Jörg Escher bei einer Besichtigung der umgebauten Fertigungsstrassen, «denn das neue Fahrzeug ist grösser und damit natürlich auch schwerer als die bisher hier produzierten Autos.»
Ab diesem Jahr bietet Opel alle seine sieben noch verbliebenen Personenwagen-Modelle sowie die gesamte Nutzfahrzeug-Palette auch vollelektrisch an. Und ab 2028 will Opel in Europa schliesslich nur noch Elektroautos verkaufen. «Wir haben schon vor Jahren eine konsequente Strategie der Elektrifizierung eingeschlagen», erklärt der Opel-Chef Florian Huettl im Gespräch mit der NZZ. «Es ist der einzige Weg, im Autosektor in der Breite die CO2-Neutralität zumindest lokal zu erreichen.»
Huettl ist seit Juni 2022 Geschäftsführer der Opel Automobile GmbH. Er ist fast noch ein Neuling im Unternehmen, denn der Vertriebs- und Marketingspezialist war erst fünfzehn Monate zuvor von Renault zum Opel-Mutterkonzern Stellantis gewechselt. Sein Vorgänger wurde nach nur neun Monaten befördert, was den Weg für Huettl an die Spitze der einzigen deutschen Marke im Stellantis-Reich frei machte.
«Wir stehen hinter dem Verbrennerverbot in der EU ab dem Jahr 2035», sagt der 47-Jährige. Das sehen nicht alle so. Die kritischen Stimmen häufen sich, und inzwischen soll das Verbot für Verbrennungsmotoren in der EU für das Jahr 2026 nochmals überprüft werden. «Die Branche benötigt stabile Rahmenbedingungen, deswegen sollten wir am Ausstiegsszenario nichts mehr ändern», meint Huettl. In Deutschland harzt es derzeit aber mit dem Verkauf von Elektroautos, da die Bundesregierung kurz vor dem Jahreswechsel aus Geldnot quasi über Nacht die Subventionen gestrichen hat. «Das hat für Verunsicherung gesorgt», so Huettl. «Wir beobachten leider eine gewisse Kaufzurückhaltung.»
Grosse Preisunterschiede zwischen E-Auto und Verbrenner
Damit die Elektromobilität in Deutschland an Fahrt gewinne, müssten verschiedene Faktoren zusammenspielen, meint er. Zuerst brauche es ein attraktives Fahrzeugangebot. Das entwickle sich inzwischen und laufe bei Opel sehr gut. Zudem benötige das Land eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur. «Die erste Frage, die wir von unseren Kunden in den Autohäusern bekommen, betrifft das Laden», verrät der Manager.
Zwar sei die Ladeinfrastruktur inzwischen gut, doch in den Innenstädten, bei Mehrfamilienhäusern sowie typischen Kurzzeitparkiermöglichkeiten beim Einkaufen oder vor dem Fitnessstudio mangele es oft noch an den dort ebenfalls dringend nötigen Ladesäulen. Zudem brauche die Automobilbranche stabile gesetzliche Rahmenbedingungen. Wenn diese drei Bedingungen zusammenkämen, werde auch der Markt für E-Autos in Deutschland wieder an Dynamik gewinnen, prognostiziert der Manager.
Eine weitere grosse Bremse für den Erfolg der Elektroautos sind laut Beobachtern auch die hohen Preise. So berechnete der Automobil-Professor Ferdinand Dudenhöffer jüngst, dass ein von der Ausstattung her vergleichbarer vollelektrischer Opel Corsa gemessen am Listenpreis abzüglich Rabatt fast 14 000 Euro teurer ist als ein Corsa mit Verbrennungsmotor. Beim Opel Mokka beträgt der Unterschied nach der Analyse immerhin gut 11 000 Euro.
Mitarbeiter montieren Batterien für den elektrischen Opel Grandland ;in den modernisierten Werkshallen des Unternehmens in Thüringen. Martin Schutt / DPA
«Es ist klar, dass ein Elektroauto heute noch deutlich teurer ist als ein vergleichbares Fahrzeug mit Verbrennungsmotor», sagt Huettl. Das liege vor allem daran, dass die Batterie weiterhin sehr teuer sei. Hier müsse in Zukunft etwas passieren. Opel arbeite intensiv daran, beispielsweise mit dem Joint Venture ACC zur Batterieproduktion in Kaiserslautern. Mittelfristig will Opel ein Elektrofahrzeug für 25 000 Euro anbieten. Doch das ist Zukunftsmusik – und Huettl will derzeit noch nicht verraten, wann genau dieses Ziel erreicht sein wird.
Aus Konzernsicht sorgen die hohen Preise immerhin dafür, dass Opel nach Aussagen von Huettl mit seinen E-Autos Geld verdient. Die Margen sind aber bei weitem nicht die gleichen wie im Geschäft mit Verbrennungsmotoren. «Das Erreichen der Margenparität ist für uns ein dringendes Thema», sagt der Opel-Chef, «denn auch der Weg in die E-Mobilität muss für Opel profitabel sein.» Er will sich aber nicht in die Karten schauen lassen bei der Frage, wann die Parität erreicht sein könnte. Andere Hersteller rechnen damit gegen Ende des Jahrzehnts.
Operative Wende unter französischer Führung
Die Entwicklung des Unternehmens in den vergangenen Jahren kann sich insgesamt sehenlassen. Die Marke Opel hatte 2018 nach einer ewig währenden Krise unter dem früheren Mutterkonzern General Motors (GM) erstmals seit 1999 wieder einen operativen Gewinn erzielt. Das war aber nicht mehr das Verdienst der Amerikaner, denn 2017 hatte der französische Konzern Groupe PSA (Peugeot, Citroën, DS) die Marke mit dem Blitz im Kühlergrill von GM erworben. Seitdem geht es am südhessischen Stammsitz Rüsselsheim mit Opel sowie auch der britischen Schwestermarke Vauxhall wieder bergauf.
Die Franzosen nutzten Synergien im Einkauf, in der Produktion sowie der Forschung und Entwicklung, reduzierten das Personal, verringerten die Antriebsfamilien und die Motor-Getriebe-Kombinationen, verfolgten eine Gleichteilestrategie und senkten die Komplexität. Zugleich gelang es Opel, die Erlöse pro Fahrzeug zu erhöhen.
Im Januar 2021 fusionierte PSA schliesslich mit der italienisch-amerikanischen Fiat Chrysler Automobiles (FCA) zu Stellantis NV mit Sitz in den Niederlanden. Seitdem ist Opel nur noch eine von 14 Marken in dem europäisch-amerikanischen Megakonzern. Der Stellantis-Chef Carlos Tavares schafft es, die Grösse des Konzerns in Kostenvorteile umzumünzen. 2023 erzielte Stellantis bei einem Nettogewinn von 18,6 Milliarden Euro eine Marge von über 12 Prozent.
Opel trug erfolgreich dazu bei. Im vergangenen Jahr verkaufte die inzwischen 125 Jahre alte Automarke rund 670 000 Fahrzeuge, was mit einem Anstieg um 15 Prozent das grösste Wachstum seit zwanzig Jahren war. Der Anteil reiner Elektroautos betrug mit 90 000 Einheiten 13 Prozent. Der Marktanteil von Opel beträgt in Deutschland zwar nur noch gut 5 Prozent, das ist die Hälfte im Vergleich zum Jahr 2000. Doch die Marke hat sich immerhin über lange Zeit gesundgeschrumpft.
Auch der Absatz ausserhalb Europas legte zu. Opel ist zwar weder in China noch in den USA vertreten, setzte aber dennoch ausserhalb des Heimatkontinents mehr als 100 000 Fahrzeuge ab, was einem Anteil von 15 Prozent entsprach. Dabei war der wichtigste Markt die Türkei.
Stellantis-Chef Tavares achtet auf Effizienz und Kosten
Dass Stellantis den neuen Grandland in Eisenach baut, ist ein Erfolg für Opel, denn Carlos Tavares hat Stellantis auf Effizienz und Kostendisziplin getrimmt. Dazu gehört auch die strikte Überwachung und Kontrolle der einzelnen Werke. Wenn es in einer Fabrik klemme, rufe Tavares auch schon einmal persönlich beim Werksleiter an, heisst es.
Doch das Problem in Deutschland sind nicht die Betriebsabläufe, sondern die Kosten. «Die Lohn- und Energiekosten liegen weit über dem Niveau vieler anderer Länder», sagt Huettl. Diesen Nachteil müsse Opel durch flexible Produktion, hohe Qualität und vieles mehr kompensieren. «In Eisenach ist uns das wieder gelungen. Doch das Erhalten der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb und ausserhalb des Konzerns ist in Deutschland eine grosse Herausforderung.»