Ohrfeige für Rishi Sunak: Den Tories laufen bei den englischen Lokalwahlen die Wähler davon
Der britische Premierminister Rishi Sunak erlebt mit seiner Partei dramatische Verluste bei den Kommunalwahlen. Toby Melville / Reuters
Jahrzehntelang sorgte Hartlepool in Grossbritannien für keine nationalen Schlagzeilen. Die verschlafene Industrie- und Hafenstadt an der englischen Ostküste war Teil der sogenannten Red Wall im Norden Englands – sie war fest im Griff der Labour-Partei. Umso symbolträchtiger war der Triumph, den die Konservative Partei unter Boris Johnson im Mai 2021 einfuhr: Bei einer Ersatzwahl ins Unterhaus in Hartlepool und bei den Lokal- und Gemeindewahlen in ganz England errangen die Tories einen Erdrutschsieg. Am Hafenbecken stellten Aktivisten eine übergrosse aufblasbare Puppe Boris Johnsons auf, der sich auf dem Zenit seiner Macht befand.
Exakt drei Jahre später hat sich die politische Grosswetterlage landesweit radikal verändert. An der Downing Street Nummer 10 residiert der glücklose Rishi Sunak, der im Herbst 2022 auf Johnson und die gescheiterte Liz Truss folgte. Und bei der Lokalwahl in Hartlepool vom Donnerstag gewann die Labour-Partei neun der zwölf zur Wahl stehenden Gemeinderatssitze zurück. Die Tories brachen regelrecht ein und mussten sich mit einem einzigen Mandat begnügen. Statt Partystimmung herrscht am Hafenbecken konservativer Katzenjammer.
Auch Reform UK legt zu
Hartlepool ist kein Einzelfall: Je mehr Resultate der Kommunal- und Bürgermeisterwahlen aus über hundert Städten und Gemeinden in ganz England am Freitag verkündet wurden, desto düsterer wurde das Bild für die Konservative Partei. Die Tories verloren etwa die Hälfte der Gemeinderatssitze, die sie zu verteidigen versucht hatten. Der Wahlforscher John Curtice von der University of Strathclyde in Glasgow sprach von einer der schwächsten Leistungen der Konservativen Partei bei Kommunalwahlen in den letzten vierzig Jahren.
Die Aussichten für Sunak und seine Partei bei den im Verlauf des Jahres stattfindenden Unterhauswahlen gelten als miserabel. Darauf deutete auch die Ersatzwahl für einen Unterhausabgeordneten in der Stadt Blackpool an der englischen Westküste vom Donnerstag.
Hier hatten die Konservativen bei den letzten Wahlen im Jahr 2019 noch einen Sieg errungen. Nun distanzierte der Labour-Kandidat mit fast 11 000 Stimmen seinen konservativen Konkurrenten, der mit gut 3200 Stimmen nur um Haaresbreite vor dem Bewerber von Reform UK auf dem zweiten Platz landete. Die Gefahr ist gross, dass die von Nigel Farage gegründete Rechtspartei den Konservativen auch bei der kommenden Gesamterneuerungswahl des Unterhauses von rechts das Wasser abgräbt. Dies könnte aufgrund des Mehrheitswahlrechts den Tories Sitzverluste beifügen und Labour zu Sitzgewinnen verhelfen.
Insgesamt dürften die Lokalwahlen, deren Endresultate erst am Samstag vorliegen werden, etwa den Trend der nationalen Meinungsumfragen bestätigen. Labour führt rund 20 Prozentpunkte vor den Konservativen, Reform UK liegt mit 10 bis 15 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz. Der Labour-Chef Keir Starmer erklärte am Freitag, die Ergebnisse seien eine klare Botschaft an Premierminister Sunak. Er forderte ihn auf, sogleich Neuwahlen auszurufen und den Weg für einen Regierungswechsel frei zu machen.
Einige wenige Lichtblicke für Sunak
Allerdings fiel der Wahltag auch für Labour nicht nur erfolgreich aus. In der Gemeinde Oldham in der Region Manchester mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil verlor die Partei ihre Mehrheit im Gemeinderat an unabhängige Konkurrenten. Das Resultat ist ein Warnzeichen; die israelfreundliche Positionierung der Labour-Führung um Starmer im Gaza-Krieg könnte der Partei auch bei der Unterhauswahl wichtige Stimmen betont linker und muslimischer Wähler kosten.
Der britische Oppositionsführer Keir Starmer feiert die Erfolge seiner Partei bei den englischen Lokalwahlen. Phil Noble / Reuters
Zudem ist Labour der erhoffte Coup bei der Bürgermeisterwahl in der Region Tees Valley im Norden Englands missglückt. Der konservative Amtsinhaber Ben Houchen konnte seinen Posten mit 53,6 Prozent der Stimmen verteidigen, während sein Labour-Konkurrent auf 41,3 Prozent kam. Damit hat sich der Wähleranteil Houchens gegenüber 2021 zwar erheblich reduziert. Doch ist der Erfolg des Bürgermeisters ein wichtiger politischer Lichtblick für Sunak.
Der Premierminister hofft, dass der Sieg Houchens das Bild des Wahltags genügend aufbessern wird, um eine mögliche Rebellion des rechten Parteiflügels abzuwenden. In den letzten Wochen kursierten in Westminster Gerüchte über Umsturzpläne gegen Sunak, die zu seiner Absetzung oder zur überstürzten Ausrufung von Neuwahlen führen könnten. Genährt wurden sie von einer kleinen Minderheit von Abgeordneten, die Sunak als zu wenig konservativ erachten und ihm angesichts des Rückstands in den Meinungsumfragen nicht mehr zutrauen, eine Kanterniederlage bei der Unterhauswahl abzuwenden.
Allerdings gab es am Freitag zunächst kaum Anzeichen dafür, dass sich eine genügende Zahl von Tory-Abgeordneten zu einem solchen Manöver hinreissen liesse. Die Konservativen haben seit 2019 bereits vier Premierminister verbraucht, weshalb fraglich ist, ob die Bevölkerung einen nochmaligen Führungswechsel goutieren würde. Daher dürfte die Mehrheit der Partei nun eher darauf hoffen, dass Sunak dank besseren Wirtschaftsdaten und der Umsetzung des Plans zur Ausschaffung von Migranten nach Rwanda noch Boden in der Wählergunst gutmacht.