Jetzt steht der Bundeshaushalt endgültig auf der Kippe

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Finanzierung des Klimafonds hat immer weitreichendere Folgen. Entgegen der Ankündigung von Kanzler Scholz werden die Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 jetzt tatsächlich unterbrochen. WELT erklärt, was diese erneute Eskalation bedeutet.

jetzt steht der bundeshaushalt endgültig auf der kippe

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (v.l.) dpa/Kay Nietfeld

Das Verfassungsgerichtsurteil zum Nachtragshaushalt führt zu ersten Konsequenzen. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Urteilsverkündung vor einer Woche noch sagte, dass die Beratungen über den Bundeshaushalt 2024 wie geplant fortgesetzt werden, wurde die für Donnerstag angesetzte Schlussberatung nun verschoben.

„Das Bundesverfassungsgericht hat uns vor große Herausforderungen gestellt. Darauf wollen wir mit Sorgfalt reagieren und einen Haushalt aufstellen, der alle Urteilsargumente und gleichzeitig das Gebot des Grundgesetzes nach einem Haushaltsabschluss noch dieses Jahr berücksichtigt“, teilten die haushaltspolitischen Sprecher der Ampel-Fraktionen in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit. Das Parlament als Haushaltsgesetzgeber komme hierbei seiner Verantwortung nach.

Auch das Bundesfinanzministerium müsse jetzt in Absprache mit der Bundesregierung alle offenen Punkte schnellstmöglich, aber mit der verfassungsrechtlich gebotenen Sorgfalt klären, erklärten Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) in dem gemeinsamen Statement. Der Opposition wolle man ausreichend Zeit für die parlamentarische Beratung einräumen, bevor auch die bislang noch nicht beratenen Einzelpläne abschließend im Haushaltsausschuss erörtert werden könnten. Angaben zu einem neuen Zeitplan machten sie nicht.

Es ist fraglich, ob der Bundeshaushalt 2024 überhaupt noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann. Die eigentlich für den 1. Dezember gedachte Abstimmung im Bundestag entfällt nun – womit auch die Zustimmung des Bundesrates nicht mehr in einem geordneten Verfahren in diesem Jahr möglich sein wird.

Die Unionsfraktion im Bundestag hatte bereits in den vergangenen Tagen als Konsequenz aus dem Karlsruher Urteil eine Verschiebung der Beschlüsse zum Etat 2024 gefordert. Die Bundesregierung müsse zunächst Klarheit darüber schaffen, wie sie durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestrichene Mittel ersetzen wolle, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mathias Middelberg. Alles andere wäre „grob fahrlässig“ und könne erneut zu einem verfassungswidrigen Haushalt führen.

Der von der Union eingeladene Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube unterstütze diese Auffassung während einer Expertenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages am 21. November. Zunächst müsse der Haushalt 2023 rechtlich abgesichert werden, sagte er.

Das Verfahren für 2024 solle bis dahin zurückgestellt werden. Es sei noch überhaupt nicht entschieden, ob Ausgaben aus den Sondervermögen jetzt in den Kernhaushalt überführt werden sollten, sagte Kube. „Insgesamt muss also noch mal ein Kassensturz vorgenommen werden“, sagte Kube.

Erhebliche Auswirkungen auf den Bundeshaushalt

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung vergangene Woche 60 Milliarden Euro gestrichen, weil die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klimafonds (KTF) verfassungswidrig war. Das Geld fehlt der Regierung nun. Doch von dem Urteil ist neben dem KTF zumindest ein weiteres Sondervermögen im Bundeshaushalt betroffen: der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Daraus werden derzeit vor allem die Energiepreisbremsen bezahlt.

Müssen diese Zahlungen für das laufende Jahr beim WSF rückabgewickelt und in den Kernhaushalt übertragen werden, hätte das erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt 2023. In diesem Jahr flossen bislang 37 Milliarden Euro aus dem WSF.

Am Mittwoch dauerten die auf höchster Ebene geführten Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP noch an. Dem Vernehmen nach läuft alles darauf hinaus, dass in einem ersten Schritt für 2023 jetzt doch noch eine „außergewöhnliche Notsituation“, wie das im Grundgesetz heißt, ausgerufen und die Schuldenbremse ausgesetzt werden muss.

Die fehlenden Fondsmittel könnten auf diese Weise zunächst rechtssicher über einen Nachtragshaushalt 2023 genehmigt werden. Der Bundeshaushalt 2024 kann erst danach folgen. Zumal offen ist, wie die durch das Urteil entstandenen Haushaltslücken im nächsten und den Folgejahren geschlossen werden können.

Vorläufige Haushaltsführung

Eine Verabschiedung des Bundeshaushalts nach dem 31. Dezember eines Jahres ist so nicht gedacht. „Das ist nicht der Fall, den sich das Grundgesetz wünscht“, sagte Alexander Thiele, Professor an der Business & Law School in Berlin, während der Expertenanhörung im Bundestag. Artikel 110, Absatz 2 des Grundgesetzes sieht vor, dass der Haushaltsplan „vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz“ festgelegt wird.

Deshalb müsse es zumindest das Ziel sein, den Haushalt für 2024 noch in diesem Jahr zu beschließen, sagte Thiele. „Ich halte es trotz der Komplexität auch für machbar“, sagte er. Es gebe noch genug Zeit zur Beratung. Ohne Fristverkürzung im Bundesrat ist ein Beschluss des Haushalts 2024 nun aber nicht mehr in diesem Jahr möglich. Doch auch ein Beschluss in den ersten Wochen oder sogar Monaten des neuen Jahres ist nicht unüblich.

„Das ist ein gängiges und praktizierte Verfahren etwa nach Wahljahren“, sagte Jan Keller vom Bundesrechnungshof schon während der Anhörung. Vorläufige Haushaltsführung nennt sich dies und ist in Artikel 111 des Grundgesetzes geregelt.

Alle Ausgaben, zu denen sich der Bund bereits verpflichtet hat, werden bedient. Auch außerplanmäßige Ausgaben sind möglich, sie brauchen allerdings die Freigabe des Haushaltsausschusses. „Die Regierung ist nicht handlungsunfähig“, sagte Keller. Dinge könnten auch während einer vorläufigen Haushaltsführung auf den Weg gebracht werden.

Der erste ordentliche Bundeshaushalt der Ampel-Regierung nach der Wahl, nämlich der für 2022, wurde erst Anfang Juni 2022 beschlossen. Der erste Bundeshaushalt der letzten Merkel-Regierung für das Jahr 2018 ließ sogar bis Juli 2018 auf sich warten, ehe er von den Parlamentariern beschlossen wurde.

Zur Erinnerung: Nach der Bundestagswahl 2017 dauerte es bis März 2018, ehe überhaupt die neue Bundesregierung stand.

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