Nicaragua unterliegt in Den Haag: „Aus völkerrechtlicher Sicht ist es ein positives Signal“
Das Gericht in Den Haag sieht keine Anhaltspunkte für eine deutsche Beteiligung an einem Völkermord. Wie Experten das Verfahren einordnen – und welche Bedeutung es für Israel hat.
Entscheidungsverkündung vor dem Internationalen Gerichtshof am 30. April 2024.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat am Dienstag mehrere Anträge Nicaraguas abgewiesen. Per Eilverfahren wollte das zentralamerikanische Land unter anderem einen Stopp der Waffenlieferungen Deutschlands an Israel erreichen − ohne Erfolg.
Nicaragua wirft Deutschland Beihilfe zum Völkermord an den Palästinensern vor. Dies erfolge durch die politische, finanzielle und militärische Unterstützung Israels. Deutschland kommt der Klage zufolge außerdem nicht seiner Verpflichtung nach, alles zu tun, um die Begehung von Völkermord zu verhindern.
Matthias Goldmann sieht das anders. „Der Gerichtshof hat in dem Eilverfahren keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Deutschland seine Pflichten aus der Genozidkonvention und dem humanitären Völkerrecht in einer Weise verletzt, die ein sofortiges Einschreiten gebietet“, sagt der Professor für Internationales Recht an der EBS-Universität Wiesbaden, dem Tagesspiegel.
Der Völkerrechtler Christian Marxsen kommt zu einem ähnlichen Schluss und kritisiert zudem die Klagebegründung des mittelamerikanischen Lands. Der Antrag Nicaraguas sei sowohl auf Ebene der Fakten als auch auf der Ebene der rechtlichen Einordnung schwach, sagt Marxsen von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Entscheidung nur mit einer Gegenstimme
Vom Ausgang des Verfahrens ist er deshalb nicht überrascht. „Das war auch in der Anhörung vor dem IGH bereits deutlich geworden, in der Nicaragua einen pauschalen Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord erhob, dem seitens der Bundesrepublik sehr nuancierte Tatsachen und rechtliche Einordnungen entgegengehalten wurden.“
Nicaragua hatte Anfang März eine umfassende Klage gegen Deutschland in Den Haag eingereicht. Die Entscheidung dazu wird voraussichtlich erst in einigen Jahren fallen. Verbunden war die Klage allerdings mit einem Eilantrag, also einem Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen, den der IGH mit seiner Entscheidung am Dienstag aber vollständig abwies.
Der Internationale Gerichtshof lehnte den Eilantrag mit einer Mehrheit von 15:1 Stimmen ab. Nur der von Nicaragua benannte Richter stimmte dagegen. „Aus völkerrechtlicher Sicht ist es ein positives Signal, dass das Gericht eine so große Einigkeit demonstriert hat“, sagt der Völkerrechtler Christian Marxsen.
Neben dem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen hatte Nicaragua zudem gefordert, dass Deutschland die Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) wieder aufnehmen soll. Nach dem 7. Oktober waren Vorwürfe laut geworden, Mitarbeiter der UN-Organisation seien an dem Überfall der Hamas auf Israel beteiligt gewesen.
Antrag Deutschlands wird ebenfalls abgelehnt
Als Reaktion hatte Deutschland gemeinsam mit anderen Geberstaaten wie den USA die Zahlungen ausgesetzt. Eine unabhängige Kommission kam vergangene Woche aber zu dem Ergebnis, dass Israel für einen Teil seiner schweren Vorwürfe gegen das UN-Hilfswerk und seine Angestellten Beweise schuldig blieb. Deutschland hat sich daraufhin entschlossen, die Zahlungen an UNRWA wieder vollständig aufzunehmen.
Eine Niederlage gab es für Berlin am Dienstag dennoch: Das Gericht folgte dem deutschen Antrag, das Verfahren ganz einzustellen, nicht. Dass der Gerichtshof den Fall nicht gänzlich zu den Akten lege, sei vielleicht der entscheidende Aspekt der Entscheidung, findet Matthias Goldmann.
Dafür hätte das Gericht seine „offensichtliche Unzuständigkeit“ feststellen müssen, erklärt Goldmann. Deutschland hatte argumentiert, dass Nicaragua nicht klagen könnte, ohne auch Israel vor Gericht zu ziehen. Goldmann glaubt, dass die Richter in Den Haag sich damit „wichtige Türen offen“ hielten, um auch künftig in Fällen, die von unbeteiligte Staaten initiiert werden, eine friedensstiftende Rolle zu spielen.