News des Tages: Ukraine-Krieg, Boeing, Hass auf Politiker, Kaulitz und McDonalds
Wie Politiker ihre kulinarischen Vorlieben inszenieren. Was der russische Angriff bei Charkiw bedeutet. Und wie Boeing offenbar einen Whistleblower schikanierte. Das ist die Lage am Freitagabend.
News des Tages: Ukraine-Krieg, Boeing, Hass auf Politiker, Kaulitz und McDonalds
1. Kämpfe nahe Charkiw
Russische Truppen und Panzerfahrzeuge haben einen großen Angriff auf die Grenzstadt Wowtschansk begonnen, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. Wowtschansk liegt etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw im Osten des Landes; die Region ist umkämpft. Kurz nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 war Charkiw unter russische Kontrolle geraten. Die ukrainischen Truppen konnten die Stadt aber befreien.
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Ist das jetzt der Beginn der großen russischen Offensive, über die seit Wochen spekuliert wird? Ukraines Präsident Selenskyj hatte gewarnt, sie drohe im Mai oder Juni. Und es gibt Berichte, wonach die Russen mehrere Zehntausend Mann dort zusammengezogen haben.
»Momentan ist die Lage unübersichtlich, wir hören von vier Dörfern, die eingenommen wurden«, sagt meine Kollegin Christina Hebel, unsere Korrespondentin in Moskau. »Es sieht so aus, als ob die russischen Truppen im Gebiet Charkiw austesten, wie weit sie kommen.« Machthaber Wladimir Putin hatte Mitte März davon gesprochen, dass seine Armee eine Pufferzone auf ukrainischem Gebiet schaffen könnte. Damit will sie Kiews Truppen die Attacken mit Drohnen, Raketen und Artillerie auf russisches Grenzgebiet erschweren. Die ukrainische Armee greift seit Monaten Orte im russischen Grenzgebiet an, darunter auch die Gebietshauptstadt Belgorod.
Laut Selenskyj waren die Verteidiger auf die Angriffe vorbereitet, doch noch immer sei ein »heftiger Kampf im Gange«.
2. If it’s Boeing – are you going?
In Istanbul landet eine Boeing-Maschine auf dem Rumpf. In Dakar kommt eine 737 von der Startbahn ab und fängt Feuer. In Florida verzögert sich der Start der ersten bemannten Mission der Starliner-Raumkapsel von Boeing wegen technischer Probleme. Schlagzeilen aus nur einer Woche – aber schon zuvor war klar: Der amerikanische Flugzeugbauer, einst ein Prestige-Konzern, steckt in der Krise.
Jetzt hatte mein Kollege Gerald Traufetter Kontakt zu einem Boeing-Ingenieur. Der Mann heißt Martin Bickeböller und deckte als Whistleblower Mängel beim Großflugzeug Dreamliner auf. Er sei ein Mitarbeiter, »wie man ihn sich als Flugzeugbauer eigentlich nur wünschen kann: korrekt, geradlinig und sicherheitsbewusst«, sagt Gerald. »Es ist tragisch, dass es genau diese Eigenschaften sind, wegen derer er bei Boeing ganz offensichtlich schikaniert wurde«, sagt Gerald. Boeing bestreitet das: »Keine Vergeltung wurde gegen den Angestellten ausgeübt.«
Der Komiker John Oliver drehte neulich einen satirischen Boeing-Imagefilm. Eine begeisterte Managerinnendarstellerin sagt darin den schönen Satz: »Der Aktienkurs muss steigen. Und oben bleiben. So wie unsere Flugzeuge – fast immer.«
3. Nahrungsergänzung
Viele Deutsche googeln offenbar vermehrt nach den Kaulitz-Brüdern, denn McDonald’s wirbt jetzt mit den beiden: Es gibt ein Tom- und ein Bill-Kaulitz-Menü, beide mit pflanzlichen Fleischersatz-Burgern. Vielleicht ist’s interessant, deshalb haben wir kurz in unserer Redaktionskonferenz darüber gesprochen.
Doch schnell wird klar: Als Werbeform ist das nicht neu. Schon die US-Sängerin Maria Carey und die südkoreanische Boygroup BTS ließen die Fastfoodkette Frittiertes unter ihrem Namen servieren. Vielleicht lässt sich die Werbekampagne als kulturelles Phänomen weiterspinnen: Welcher Promi könnte welches Signature-Gericht bei welcher Fastfoodkette bekommen? (Wenn Sie Ideen haben, schreiben Sie gern an [email protected] – die besten würde ich kommenden Mittwoch hier präsentieren.)
Zwei Wortmeldungen und anderthalb Assoziationen später reden wir dann, wir sind schließlich beim SPIEGEL, über Politiker, die sich und ihre kulinarischen Vorlieben offensiv inszenieren. Schröders Currywurst, Steinmeiers Döner – vor allem aber Söders Schlachtplatten. Der bayerische Ministerpräsident führt den Kampf gegen den vermeintlich um sich greifenden Veganismus bei Instagram: Unter dem Hashtag #soederisst fotografiert er die Mahlzeiten vor sich ab, wie meine Kollegin Anna Clauß schon letzten Sommer schrieb: McRib und Pommes (»Mir schmeckt es sehr«), Schweinshaxe (»Zugegeben: danach braucht man eine längere Pause«), Sushi-Platte (»PS: Portion natürlich nicht nur für eine Person«). Im Winter wollte er dann gesünder leben, wie er sagte, Deftiges reduzieren – das Essen, nicht das Reden.
Von Kaulitz zu Söder, vielleicht doch etwas weit der Sprung. Also selbst googeln: Politiker und Lebensmittel. Die ersten Ergebnisse drehen sich um die Angriffe in Essen. Was zweierlei bedeuten könnte: Erstens steht die Machtübernahme der Maschinen offenbar nicht kurz bevor, wenn der Algorithmus das für den besten Treffer hält. Zweitens gibt es deutlich Wichtigeres als Fastfood und Promis – die zunehmende politische Gewalt etwa. Experten beobachten eine wachsende rechte Jugendkultur-Szene und fordern mehr Schutz, vor allem für Amtsträger in den Kommunen. Natürlich haben wir in unseren Konferenzen darüber deutlich ausführlicher gesprochen als übers Essen.
Was heute sonst noch wichtig ist
Klimafonds droht Milliardenlücke: Die Ausgaben des Klimafonds dürften deutlich stärker steigen als geplant, befürchtet die Bundesregierung. Es droht ein Fehlbetrag in zweistelliger Milliardenhöhe. Der Grund: gesunkene Strompreise.
Wehrbeauftragte kritisiert Frauenmangel bei der Bundeswehr: Der Frauenanteil in der Bundeswehr liegt bei 13 Prozent, in Führungspositionen sind sie kaum vertreten. Die Wehrbeauftragte des Bundestages sieht dringenden Handlungsbedarf: »Ein Weiter-so kann es nicht mehr geben.«
Ver.di ruft Telekom-Beschäftigte zu Streik am Montag auf: Absagen bei Technikerterminen, lange Wartezeiten im Service: Am Montag könnten Kunden der Telekom den Tarifkonflikt zu spüren bekommen. Die Gewerkschaft macht mit einem Warnstreik Druck in den Verhandlungen.
Meine Lieblingsglosse heute: Liberale Realität
Freitags finden Sie hier immer die Kolumne »So gesehen« meines Kollegen Stefan Kuzmany als Teil der Lage am Abend. Heute schreibt Stefan über neue Maßnahmen in der Ampelkoalition, um die FDP dauerhaft zu disziplinieren:
Angesichts ständiger interner Streitigkeiten sucht die Ampelkoalition nach Wegen, ihre Zusammenarbeit zu befrieden. Als problematisch wird vor allem die Rolle der FDP empfunden, die mehrmals bereits ausverhandelten Regierungsprojekten in letzter Minute ihre Zustimmung verweigert hat. Jüngstes Beispiel ist das Rentenpaket der Regierung, welches am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden sollte, jedoch aufgrund einer überraschenden Blockade des Finanzministers Christian Lindner (FDP) verschoben werden musste. Nun prüft die Koalition Maßnahmen, mit denen die Disziplin der Liberalen sichergestellt werden kann.
Ein von der FDP gefordertes Moratorium sämtlicher Ampelbeschlüsse, bis die Partei in den Sonntagsfragen mindestens dreier führender Umfrageinstitute in mindestens drei aufeinander folgenden Wochen mindestens 10 Prozent erreicht, wurde als unrealistisch verworfen. Auch die von den Liberalen gewünschte Aufnahme marktliberaler Positionen in die Grundsatzprogramme der beiden anderen Parteien lehnten SPD und Grüne nach kurzer Beratung ab.
Als aussichtsreich galt lange eine ambitionierte technische Lösung: Experten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik sollten mit der Programmierung einer sogenannten Liberal Reality beauftragt werden, die exklusiv auf allen Endgeräten der FDP-Fraktion installiert werden und mithilfe von KI sämtliche einlaufenden Informationen in Echtzeit so verändern sollte, dass sie ausschließlich virtuelle politische Siege der FDP vermelden. Leider stellte sich heraus, dass die Rechenleistung heutiger Systeme nicht ausreicht, um die Realität so umfassend zu verzerren.
Als Sofortmaßnahme setzt man nun auf das bewährte Mittel der Abschreckung: Wenn die FDP-Abgeordneten am Montag in ihre Büros kommen, hängt über jedem Schreibtisch ein Porträt von Friedrich Merz.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Weniger Waffen für Israel? US-Präsident Joe Biden droht Israel mit einem Lieferstopp von Munition, sollte es eine Großoffensive auf Rafah starten. Die Bundesregierung berät nun, was das für die deutsche Unterstützung bedeutet. Die Union warnt vor Einschränkungen.
Swift glitzert gern. Und die Swifties glitzern zurück: Tage vorher Schlange stehen und vor der Arena campen: Fans der Sängerin Taylor Swift haben das erste Europakonzert ihrer »Eras Tour« in Paris mit Sehnsucht erwartet. Das Allerbeste an dem dreistündigen Abend: Schweigeminuten.
Was tun gegen den Buchsbaumzünsler? Wenn ein Buchsbaum plötzlich braune und angefressene Blätter hat, ist wahrscheinlich der Zünsler am Werk. Je früher man ihn bekämpft, desto besser. Wie funktioniert das am besten?
Was heute weniger wichtig ist
Der Streeck ist das Ziel: Auf Instagram rätseln Nutzerinnen und Nutzer über ein Selfie von Politikerin Serap Güler, 43, und Virologe Hendrik Streeck, 46. Denn unter dem Foto schreibt die Bundestagsabgeordnete: »#Liebe«. Jemand fragt: »Huch 😳 sind sie ein Paar?« Die Abgeordnete antwortet mit einem Zwinkersmiley und dem Hinweis, sie und der Hund Sam seien ein Paar, der ebenfalls zu sehen ist. Dabei verbindet den Mediziner und die Abgeordnete eine ganz andere Beziehung, eine politische. Sie sitzt bereits für die CDU im Bundestag, er will hinein. Neulich sagte er: »Während der Pandemie wurde uns allen deutlich, dass die Debattenkultur in unserem Land nicht mehr so gut funktioniert.«
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Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und am Wochenende?
Könnten Sie das ESC-Finale verfolgen, am besten bei uns im Liveticker (Samstagabend ab 20.30 Uhr auf SPIEGEL.de). »Entschieden unpolitisch soll der Eurovision Song Contest sein, obwohl er das natürlich nie war«, berichtet meine Kollegin Anja Rützel nach dem zweiten Halbfinale. »In diesem Jahr lässt sich der Schein nicht mehr halten: Die israelische Kandidatin wurde im zweiten Halbfinale ausgebuht und bejubelt.« (Hier mehr.)
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion