Scholz nervös, Lawrow bitter: Kracht es jetzt zwischen Deutschland und Russland?

scholz nervös, lawrow bitter: kracht es jetzt zwischen deutschland und russland?

Das Logo der Luftwaffe. Kanzler Scholz spricht angesichts der veröffentlichten Mitschnitte eines Luftwaffen-Gesprächs von einer „sehr ernsten Angelegenheit“.

Die Reaktionen aus Berlin und Moskau auf den Bundeswehr-Leak über Pläne zur Sprengung der Krim-Brücke durch Taurus-Marschflugkörper zeigen ein grundsätzliches Ungleichgewicht. Die Russen sind nach der völkerrechtswidrigen Invasion in der Ukraine entschlossen, weiter Politik mit militärischen Mitteln zu betreiben. Deutschland dagegen laviert. Moskau sieht sich umzingelt und traut dem Westen nicht mehr über den Weg. So sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Samstag auf einer Pressekonferenz, er sei überzeugt, Europa werde von seinen Plänen, die auch einen Krieg mit Russland umfassen, nicht abweichen. Lawrow sagte, er ziehe diesen Schluss aus den Worten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron über die Entsendung von NATO-Soldaten in die Ukraine und jenen von Pentagon-Chef Lloyd Austin über die Bereitschaft der Nato, gegen Russland zu kämpfen.

Auf der Pressekonferenz nach den Ergebnissen des diplomatischen Forums in Antalya sagte Lawrow laut der englischsprachigen Ausgabe der Prawda, „dass das Kriegslager in Europa immer noch sehr stark sei“. Dies werde „durch eine Audioaufzeichnung eines Telefongesprächs deutscher Offiziere bestätigt, in dem sie über Angriffe auf die Krimbrücke sprechen“. Lawrow sagte, die Enthüllung entspreche im militärischen den vor einiger Zeit erfolgten Veröffentlichungen, wonach die ehemaligen Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Angela Merkel, Frankreich, François Hollande, und der Ukraine, Petro Poroschenko, eingeräumt hatten, dass sie niemals die Absicht gehabt hätten, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen. Lawrow sagte: „Wir haben gehört, wie sie (die Bundeswehr-Offiziere, Anm. der Redaktion)  versuchen, die Schuld auf US-amerikanische oder britische Offiziere abzuwälzen, die bereits in der Ukraine sind. Sie versuchen zu vermeiden, selbst gesehen zu werden. Dies ist dasselbe wie damals, als Hollande und Merkel zugaben, dass sie die Minsker Vereinbarungen nicht umsetzen würden.“

Lawrows bittere Worte lassen erkennen, dass das Vertrauen faktisch zerstört ist. Die Enthüllungen über die Bundeswehr-Aktivitäten werden Moskau in seinem Misstrauen gegenüber Deutschland bestärken. Denn selbst wenn man den Gesprächsmitschnitt vor allem als technische Diskussion über den Einsatz der Taurus-Marschflugkörper sieht, wird aus dem Mitschnitt doch klar: Die Bundeswehrführung hat sich sehr detailliert mit der Zerstörung von russischen Objekten beschäftigt – auch wenn sie selbst nicht mitwirken möchte. Der Grad der Planungen ist nicht mehr weit von feindlichen Schritten entfernt, die als Kriegserklärung interpretiert werden könnten. Ein Spreche der Staatsduma ließ am Freitag bereits keinen Zweifel: Man werde reziprok reagieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist sich der Dramatik bewusst und hat nach der Veröffentlichung des Mitschnitts schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan nannte Scholz den Vorgang am Samstag von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf die Frag der dpa nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte Scholz: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“

Ob Scholz noch Herr der Lage ist, ist eine andere Frage. Laut Prawda wird in Deutschland befürchtet, dass die Russen mehr als nur diese eine Audioaufnahme des Gesprächs der Beamten abgefangen haben könnten. Der CDU-Militärexperte Roderich Kiesewetter sagte laut dpa, er rechne damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Man müsse davon ausgehen, „dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht“. Diese könne „nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden“.

Anders als Scholz äußerten sich andere Koalitions- und Oppositionspolitiker nicht zur außenpolitischen Dimension der abgehörten Gespräche, sondern fokussierten sich auf Fragen der Spionage- und Spionageabwehr – mithin also auch mit Fragen der weiteren Aufrüstung. „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel“, sagte die FDP-Militärexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Strack-Zimmermann sagte, Spionage gehöre „zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung“. Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. „Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird.“ Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul forderte die Bundesregierung auf, die Vorschriften für den Schutz von Kommunikation nachzuschärfen. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte dem RND: „Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt.“

Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, ging sogar einen Schritt weiter und forderte, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht belegt das abgehörte Gespräch das Gegenteil dessen, was die Russen sagen: Es habe gezeigt, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre. „Wenn der Mitschnitt echt ist, sind die Aussagen des Kanzlers aus dieser Woche nicht nur unangemessen, sondern falsch“, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Minister Pistorius habe sich explizit zum Taurus einschließlich Einsatzmöglichkeiten unterrichten lassen. „Daher ist es kaum vorstellbar, dass Scholz von dieser militärischen Einschätzung nichts wusste.“ Obwohl er militärisch vorausschauende Planung für durchaus normal halte, sei hier Aufklärung gefordert. „Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss.“

Es zeigt sich: Außer Scholz hat sich bisher kein Politiker mit der Frage der außenpolitischen Folgen und einer damit zusammenhängenden, möglicherweise gestiegenen Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation geäußert. Deutschland fehlt demnach eine klare Linie, während die Russen zum Äußersten entschlossen sind. Die Chancen, den Konflikt auf diplomatischem Weg zu entschärfen, sinken mit jedem Tag. Die Lage bliebt explosiv.

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