Eine deutsch-deutsche Künstlergeschichte: „Lieber Thomas“

eine deutsch-deutsche künstlergeschichte: „lieber thomas“

Thomas Brasch (Albrecht Schuch) schreit seine Wut über die Dächer von Berlin.

Im fernen New York macht ihm ein Verleger ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Er soll einen Roman schreiben, über sein eigenes Leben. Denn er sei „der letzte heiße Scheiß seit Truman Capote“. Da muss Thomas Brasch müde lächeln. Er hat die DDR verlassen, weil er dort nicht publizieren konnte. Aber auch im Westen ist man weniger an seiner Poesie interessiert. Und mehr an seiner Vita, als Dissident, der im Gefängnis saß und dann die DDR verlassen hat.

„Mein Leben steht nicht zum Verkauf“, schnauzt er aufgebracht. Und nimmt dann doch das Angebot an, für viele Dollar den Roman zu schreiben. Der Verleger überreicht ihm sogar einen Schlüssel, für ein Apartment, in dem er so lange wohnen soll, bis das Buch fertig ist. Doch dann wirft Brasch den Schlüssel in den Gully. Kehrt nach West-Berlin zurück. Und macht mit der Anzahlung lieber – einen Film.

Ewige Rebellion – gegen den Vater und gegen den Staat

Eine im wahrsten Sinn des Wortes Schlüssel-Szene von „Lieber Thomas“, der Filmbiographie über Thomas Brasch. Und natürlich muss man einem solchen Unternehmen die Frage stellen, ob es nicht auch das Leben seines Protagonisten „verkauft“. Aber es sollte eben „kein dokumentarischer Bericht über das Leben von Thomas Brasch“ sein, wie Regisseur Andreas Kleinert betonte, „es ist ein Erinnern, es ist ein Nachdenken über Brasch.“ Mit den Mitteln seiner Sprache: der Poesie.

Ein Leben, das, da muss man dem Verleger schon recht geben, geradezu nach einer Aufzeichnung schrie: Die Eltern flohen vor den Nazis ins Exil und bauten die DDR mit auf, Vater Horst brachte es bis zum stellvertretenden Kulturminister. Aber der Sohn will sich nicht einreihen in den neuen Staat. Und rebelliert. Erst gegen den Vater. Dann gegen den Unibetrieb. Und schließlich gegen den Staat. Mit Flugblättern protestiert er gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Wofür ihn der eigene Vater an die Staatssicherheit denunziert. Und der Sohn erst ins Gefängnis und dann in die Fabrik muss.

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Am Theater erlebt er eine Gegenwelt, mit mehr Freiheit. Aber auch hier muss er gegen Zensur kämpfen. Muss er erleben, wie ein Stück von ihm noch vor der Premiere einfach abgesetzt wird. Schließlich reist er in den Westen aus, mit seiner Lebensgefährtin Katharina Thalbach. Aber auch hier verweigert er sich jeder Vereinnahmung. Sein Leben gehört ihm. Und doch wieder nicht. Denn er gefällt sich nicht nur in Posen als Rebell, er versteckt sich auch dahinter. Immer auf der Suche, aber auch auf der Flucht vor sich selbst.

Keine Autobiographie, mehr ein Nachdenken über Brasch

Eine Biographie, die beispielhaft für die deutsch-deutsche Geschichte steht. Über einen, der nicht leben konnte im Osten der Stadt, aber auch im Westen nie ankam. Thomas Brasch war selbst ein Stück Berlin. Die Verfilmung seines Lebens darf deshalb nicht fehlen in der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag im Monat einen waschechten Berlin-Film zeigt.

Im November 2021 kam der Film, zum 20. Todestag des Dichters, in die Kinos. Im Juni 2022 räumte er, als bester Film des Jahres, beim Deutschen Filmpreis neun Lolas ab. Und Brasch-Darsteller Albrecht Schuch erwies sich einmal mehr als der derzeit interessanteste deutsche Schauspieler. Unermüdlich dreht er einen Film nach dem anderen. Und findet nun doch endlich Zeit, um den Film „Lieber Thomas“ am 2. April noch einmal im Zoo Palast vorzustellen.

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Kein autobiographischer Bericht. Ein Nachdenken über Brasch. So hat Kleinert seinen Film, zusammen mit seinem Drehbuchautor Thomas Wendrich, auch konzipiert. Der Titel geht zurück auf Braschs Annäherung an Georg Heym, das Drama „Lieber Georg“. Der Film ist gegliedert in Kapitel, nach Zeilen aus Braschs Gedichtzyklus „Der Papiertiger“ aus dem Jahr 1977, in dem es unter anderem heißt: „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“.

Gedreht wurde in Schwarzweiß, so wie Brasch seine eigenen Filme „Engel aus Eisen“ (1981) und „Domino“ (1982) realisiert hat. Und erzählt wird die Geschichte so, wie Brasch das in seinem Buch „Kargo“ formuliert hat, quasi als Empfehlung an spätere Biographen: „Vielleicht sollten alle Geschichten mit ,Vielleicht‘ anfangen, damit die Möglichkeit der Geschichten klar wird und keine lineare Biografie zustande kommt, die langweilig ist.“

Am Ende entschwebt der Dichter in den Himmel über Berlin

Ein Film, wie Brasch vielleicht gewesen ist. Wenn der Vater (Jörg Schüttauf) seinen kleinen Sohn persönlich in eine Kadereliteschule fährt, wo dieser nicht hin will und getriezt wird, flüchtet der sich in Fantasien. Und der Film mit ihm. Auch später findet Kleinert immer wieder grandiose überraschende Kinobilder, wenn Kati Thalbach (Jella Haase) etwa Brasch bittet, ihr ein Theaterstück auf den Leib zu schreiben. Und er „Lovely Rita“ dann wirklich auf ihren nackten Körper schreibt. Immer wieder arbeitet der Film auch mit Verfremdungen und Visionen. Wenn Brasch sich im eigenen Arbeitszimmer erhängt an der Decke baumeln sieht. Oder sich mit der (längst verstorbenen) Mutter eine Schießerei mit der Polizei liefert, wie Bonnie und Clyde.

Dagegen verzichtete Kleinert weitgehend auf Promis. Bettina Wegner, mit der Brasch ein Kind hatte, kommt nur am Rande vor, Helene Weigel und Heiner Müller, die ursprünglich vorgesehen waren, kamen am Ende gar nicht in den Film, um, so Kleinert, „so abstrakt und universell wie möglich zu bleiben“. Auch auf historische Ereignisse wie den Fall der Mauer wird verzichtet. Und der Film endet nicht profan mit dem allzu frühen Tod des Protagonisten 2001 mit nur 56 Jahren. Der erfüllt sich vielmehr einen Kinderwunsch. Steigt in einen Flieger. Und entschwebt in den Himmel über Berlin.

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Noch zu Lebzeiten schien Thomas Brasch fast vergessen. Doch dann wurde er peu à peu wiederentdeckt. Zum 10. Jahrestag kam Christoph Rüters Dokumentation „Das Wünschen und das Fürchten“ heraus, ein Jahr später erschien „Ab jetzt ist Ruhe“, das Familienbuch der jüngeren Schwester Marion Brasch, das Annekatrin Hendel zur Grundlage ihres 2018 erschienenen Dokumentarfilms „Familie Brasch“ machte (der auch schon in der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“ zu sehen war).

Katharina Thalbach wollte „Lieber Thomas“ nie sehen und auch keine Kommentare dazu abgeben. Marion Brasch aber hat den Film während seiner gesamten Produktion begleitet. Und ihm damit auch ein Gütesiegel gegeben. Nicht nur, weil er die zerrissene Familiengeschichte richtig wiedergibt. Sondern auch, weil er mit Brach’schen Mitteln arbeitet. Mit Verfremdungen. Überhöhungen. Und Träumen.

„Lieber Thomas“: Starke Kinobilder und herausragende Darsteller

Der Film besticht durch sein fantasievolles Konzept. Und starke Kinobilder (Kamera: Johann Feindt). Vor allem aber auch durch seine herausragenden Darsteller. Allen voran Albrecht Schuch, für den dieser Film ein „Wechselbad der Gefühle“ war, „zwischen Himmel auf Erden“ über eine so komplexe Rolle“ und „größter Angst, dem nicht gerecht zu werden“. Er hat dann seinen eigenen Brasch gefunden und erfunden, indem er seine Posen imitiert und die Risse dahinter deutlich macht.

Aber auch Jella Haase besticht, mit der Schuch zuvor schon in einem anderen großen Berlin-Film gespielt hat, „Berlin Alexanderplatz“ (der ebenfalls schon in unserer Filmreihe lief) und die der jungen Kati Thalbach verblüffend ähnlich ist. Und dann ist da noch Jörg Schüttauf in seiner vielleicht besten Rolle als Vater Horst, der seine gesamte Lebensleistung als zurückgekehrter Exilant durch seinen Sohn infrage gestellt sieht. „Lieber Thomas“ ist ein großes Drama in großen Bildern. Für alle, die Brasch noch kannten. Aber auch für alle, die ihn erst entdecken müssen.

Zoo Palast, 2. April, 20 Uhr, in Anwesenheit des Hauptdarstellers Albrecht Schuch. Tickets erhalten Sie hier.

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