Neues Migrationsabkommen: Nun soll auch das kleine Libanon Grenzwächter für Europa spielen
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis trafen sich bereits am Mittwoch auf Zypern. Am Donnerstag reisen sie zusammen nach Libanon. Petros Karadjias / AP
Mit sogenannten Migrationsabkommen glaubt die Europäische Kommission, bei einem ihrer drängendsten Probleme den Stein der Weisen gefunden zu haben. Das Prinzip lautet grob gesagt Geld gegen Grenzschutz: Brüssel verspricht einem Partnerland finanzielle Hilfen. Im Gegenzug sagt dieses Land zu, Fluchtmöglichkeiten Richtung Europa einzuschränken – und idealerweise auch bei den Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zu kooperieren.
Nervöses Zypern
Entsprechende Abkommen verhandelte die Kommission bereits mit der Türkei, mit Tunesien, Mauretanien und Ägypten. Nun reiste die Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Donnerstag nach Libanon, um ihren nächsten Anti-Migrations-Deal unter Dach und Fach zu bringen. Begleitet wurde sie dabei vom zypriotischen Präsidenten Nikos Christodoulidis. Die beiden hatten sich schon am Vortag in Zypern getroffen, wo Christodoulidis von der Leyen sein Leid klagte: Sein Land sei schlicht nicht in der Lage, noch mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen.
Nach Angaben aus Nikosia landen derzeit fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten auf der östlichen Mittelmeer-Insel. Seit Jahresbeginn wurden rund 4000 Migranten auf Zypern gezählt. In absoluten Zahlen sind das zwar deutlich weniger Ankünfte von Bootsflüchtlingen als etwa in Italien, Spanien und Griechenland. Gemessen an seiner Einwohnerzahl (rund 1,2 Millionen) gibt es aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge. Die Aufnahmelager auf Zypern seien völlig überfüllt, heisst es.
In Libanon mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern leben wiederum mehr als 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge – womit das Land zu den Staaten gehört, die weltweit die meisten Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen haben. Weil der Zedernstaat zugleich in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte steckt, hat die Stimmung mittlerweile umgeschlagen. Viele Migranten trauen sich aus Angst vor Übergriffen nicht mehr auf die Strasse. Die Perspektivlosigkeit in Libanon und die Angst, in ihre Heimat zurückgeführt zu werden, treibt etliche von ihnen in die Boote.
Nach einem Gespräch mit Christodoulidis und Libanons Regierungschef Najib Mikati kündigte von der Leyen in Beirut Finanzhilfen in der Höhe von rund einer Milliarde Euro an, die dem Land bis Ende 2027 zur Verfügung stehen sollen. Man sei sich der Herausforderungen bewusst, vor denen Libanon stehe, sagte die Kommissionspräsidentin – und fügte dazu an, dass Brüssel auf eine gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung illegaler Migration und bei der Bekämpfung der Schlepperkriminalität zähle.
Mit den Mitteln aus Brüssel sollen in erster Linie die libanesischen Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte, die für den Grenzschutz verantwortlich sind, unterstützt werden. Darüber hinaus soll Geld in das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen fliessen, um für mehr soziale Stabilität zu sorgen. Für die Unterstützung der syrischen Flüchtlinge hat die EU wiederum schon mehr als 2,6 Milliarden Euro seit 2011 aus anderen Töpfen bereitgestellt.
Syrer in Angst
Kann der Handel funktionieren? Das ist mehr als fraglich. Anders als Ägypten oder Tunesien hat Libanon keine funktionierende Regierung, dafür eine Vielzahl von konfessionellen Machtgruppen, die beim Grenzschutz wohl eher nicht miteinander kooperieren würden. Unklar ist auch, ob die EU-Hilfen letztlich dazu führen sollen, dass Libanon ein reguläres Aufnahmeland für Flüchtlinge wird. Nach Ansicht der herrschenden Kreise in Beirut ist der Nachbarstaat Syrien inzwischen stabil und sicher genug, um die Rückführung von dessen Bürgern anzuordnen.
Die Uno und internationale Hilfsorganisationen sehen das anders. Sie verweisen darauf, dass viele geflohene Syrer um ihr Leben fürchten müssten und der syrische Machthaber Bashar al-Asad selber gar kein Interesse daran habe, sie wieder aufzunehmen. Dessen ungeachtet sollen Libanons Behörden in den vergangenen Monaten explizit auch syrische Oppositionsaktivisten und Deserteure willkürlich festgenommen und in ihre Heimat zurückgeschickt haben, wie Human Rights Watch berichtet.