Neandertaler: Forscher rekonstruieren Gesicht von 75.000 Jahre alter Neandertaler-Frau
Zehntausende Jahre alt und platt gedrückt waren die Fragmente eines Neandertaler-Schädels, der 2015 im Irak gefunden wurde. Nun haben Fachleute die Überreste mit einem Gesicht versehen.
Neandertaler: Forscher rekonstruieren Gesicht von 75.000 Jahre alter Neandertaler-Frau
Ein Team aus britischen Forscherinnen und Forschern und niederländischen Künstlern hat aus Überresten eines Schädels das Gesicht einer mutmaßlich rund 75.000 Jahre alten Neandertaler-Frau nachgebildet.
Die Schädelfragmente wurden 2015 in der Shanidar-Höhle im irakischen Kurdistan gefunden. Hier waren schon in den 1950er-Jahren Knochen von mindestens zehn Neandertaler-Männern, Frauen und Kindern entdeckt worden. Als die Forscher 2015 hierher zurückgekehrten, fanden sie ein weiteres Skelett, das sie Shanidar Z nannten. Der Schädel war größtenteils vollständig erhalten, aber zu einer etwa zwei Zentimeter dicken Schicht zusammengedrückt, wahrscheinlich durch einen Stein, der auf ihn gefallen war.
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Er sei »flach wie eine Pizza« gewesen, sagte Graeme Barker, Professor der Universität Cambridge und Leiter neuer Ausgrabungen in Shanidar, dem Sender BBC. Die BBC-Studios haben für den Streamingdienst Netflix die Dokumentation »Secrets of Neanderthals« (»Geheimnisse der Neandertaler«) gedreht, die auch auf Deutsch zu sehen ist.
Für die Rekonstruktion wurden die Fragmente in der Schicht nach Großbritannien transportiert, herausgelöst und von einem Konservator in mehr als einem Jahr Kleinarbeit zusammengesetzt. Anschließend wurde der wieder aufgebaute Schädel gescannt: die Grundlage für ein 3D-Modell, dem die spezialisierten niederländischen Paläokünstler Adrie und Alfons Kennis ein Gesicht gaben, indem sie Schichten aus künstlichen Muskeln und Haut auftrugen.
Bisher veröffentlichte Bilder zeigen eine etwa 45 Jahre alte Frau mit einem kräftigen, hervorstehenden Kiefer, großer Nase und tiefen Augenwülsten. Dass der Schädel zu einer mutmaßlich Mitte 40 Jahre alten Person gehört, leiteten die Forscher aus ihren Zähnen ab, die schon fast bis zu den Wurzeln abgekaut waren.
»Wenn die Zähne so abgenutzt sind, ist das Kauen nicht mehr so effektiv. Daher ist sie nicht mehr in der Lage, ganz normal zu essen«, zitierte die BBC die am Projekt beteiligte Paläoanthropologin Emma Pomeroy von der Universität Cambridge. »Wir haben weitere Anzeichen für eine schlechte Zahngesundheit – einige Infektionen, auch einige Zahnfleischerkrankungen.« Die Frau habe sich dem natürlichen Lebensende genähert. Ob sie eines natürlichen Todes starb, ist unklar. »Shanidar Z« dürfte etwa 1,50 Meter groß gewesen sein.
Neben dem Schädel fanden die Forscher 2015 gut erhaltene Teile eines Skeletts, unter anderem Fragmente der Wirbelsäule, von Schultern, Armen und Händen. Diese Skelettteile sollen weiteren Aufschluss über das Leben der Neandertaler ermöglichen. Laut Pomeroy besitzt fast jeder heute lebende Mensch noch Neandertaler-DNA.