Nahost-Krieg: Infiltrierte die Hamas das Palästinenserhilfswerk?
Israeli right-wing activists take part in a protest blocking the entrance to the UNRWA, United Natio data-portal-copyright=
Nach den schweren Terrorvorwürfen Israels gegen das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA hat eine unabhängige Expertengruppe Verbesserungsbedarf bei der Einhaltung der Neutralität der Organisation angemahnt.
Eine unabhängige Expertengruppe wirft dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA in einem Bericht erhebliche Defizite bei der Wahrung ihrer neutralen Position vor. Neutralität gehört zu den zentralen Prinzipien humanitärer Arbeit.
Inakzeptabel seien politische Äußerungen von Mitarbeitern, Schulbücher mit problematischen Inhalten und Drohungen der sehr politischen Gewerkschaften gegen die Leitung der Organisation, sagte die mit der Untersuchung beauftragte ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna am Montag in New York.
Israels Regierung hatte die UNRWA im Januar der Komplizenschaft mit der Hamas bezichtigt, UNRWA-Mitarbeiter sollen sich laut Israel sogar an dem Angriff beteiligt haben. Die Terrororganisation hatte mit ihrem Überfall auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 den Nahostkrieg entfesselt.
Nach Colonnas Erkenntnissen haben sich Israels Terrorismusvorwürfe allerdings bisher nicht erhärtet. „Israel hat öffentlich behauptet, dass eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-Mitarbeitern Mitglieder terroristischer Organisationen sind“, heißt es in dem Colonna-Report. „Israel hat jedoch noch Beweise für diese Behauptung zu erbringen.“
Grundsätzlich untersucht die Colonna-Kommission nicht selbst, ob UNRWA-Angestellte in den Terrorismus verstrickt sind. Es ist das UN-Büro für interne Aufsichtsdienste (OIOS), das in dieser Sache ermittelt. UN-Generalsekretär António Guterres hatte nach Bekanntwerden der Terrorismusvorwürfe aber zusätzlich die französische Ex-Außenministerin beauftragt, das UNRWA „unabhängig“ zu durchleuchten.
Colonna begann Mitte Februar mit ihrer Arbeit. Ihre Kommission soll bewerten, ob das UNRWA „alles in seiner Macht Stehende tut, um die Neutralität zu gewährleisten“.
Die islamistische Hamas hatte den Gazastreifen nach ihrer Machtübernahme 2007 mit harter Hand regiert und auch die lokalen Behörden kontrolliert. Für Tausende UNRWA-Mitarbeitende dort – vor allem palästinensische Flüchtlinge – galt aber die Verpflichtung, neutral zu bleiben. Israel behauptet, dass diese Abgrenzung nicht funktioniert habe.
Die Kommission unterbreitet nun Vorschläge, wie das Werk seine Neutralität „sofort“ verbessern könnte. Colonna empfiehlt unter anderem eine genauere Überprüfung der Mitarbeiter, einen besseren Schutz der UNRWA-Einrichtungen vor missbräuchlicher militärischer Nutzung und eine Revision des gesamten Lehrmaterials an den von der Organisation betriebenen Schulen. „Wir sind zuversichtlich, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen UNRWA helfen wird, sein Mandat zu erfüllen“, hieß es in dem Bericht.
Die Terrorismusvorwürfe hatten das UNRWA in seine größte Krise gestürzt. Geberstaaten setzten die Zahlungen von Geldern aus, darunter die USA und Deutschland. Noch 2022 hatten die USA rund 344 Millionen US-Dollar überwiesen, Deutschland 202 Millionen Dollar. Die beiden wichtigsten Geber leisteten somit fast die Hälfte aller Zahlungen von insgesamt 1,17 Milliarden Dollar. Inzwischen haben verschiedene Länder die Zahlungen wieder aufgenommen.
Millionen palästinensische Kinder, Frauen und Männer brauchen das UNRWA zum Überleben. Die Bevölkerung im umkämpften Gazastreifen wäre ohne die Lebensmittelhilfe des UNRWA in einer noch auswegloseren Lage. Das UNRWA mit seinen rund 30.000 Mitarbeitern betrieb vor Ausbruch des Nahostkriegs mehr als 700 Schulen in der umkämpften Region. Daneben bietet das Werk medizinische Versorgung und Sozialdienste an, es verbessert Infrastruktur und regelt sogar die Müllabfuhr.