Fleisch aus dem Labor: Drucken statt Schlachten

Im mecklenburgischen Dummerstorf arbeiten Forschende an einer neuen Art Fleisch, für das kein Tier getötet ­werden muss. Das Gewebe wird aus den Zellen eines Tiers hergestellt, das noch im Stall steht.

fleisch aus dem labor: drucken statt schlachten

Fleisch aus dem Labor: Drucken statt Schlachten

Es knistert, wenn Monika Röntgen ihr Labor betritt. Das Geräusch kommt vom Plastik, das die Wissenschaftlerin am Körper trägt: Ihre Hände, Haare und Schuhe be­finden sich unter einer Schutzkleidung. Diese verhindert, dass Monika ­winzige Schmutzpartikel, die an ihrer Kleidung ­kleben, ins Labor trägt. Erst wenn alles bedeckt ist, betritt sie ihren Arbeitsplatz.

Überall im Raum stehen Mikroskope und Monitore, dazwischen ist ein glänzender Behälter in Form eines Zylinders zu sehen. In diesem Labor arbeitet Monikas Forschungsteam daran, Fleisch herzustellen, ohne dass ein Tier dafür geschlachtet werden muss. »Cellzero Meat« heißt das wissenschaftliche Forschungsprojekt. Seit vorigem Jahr wird es vom deutschen Forschungsministerium gefördert. Rund 1,2 Millionen Euro fließen in das Projekt, das daran arbeitet, »clean meat« herzustellen. Übersetzt bedeutet das »sauberes Fleisch«.

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Sauber unter anderem deshalb, weil man im Labor genau kontrollieren kann, was drin ist. Bei herkömmlichem Fleisch ist das schwieriger. Ein Beispiel sind Antibiotika: Wenn ein Tier über längere Zeit Medikamente ­bekommt, können sich Krankheitserreger daran gewöhnen und zu sogenannten resistenten Keimen werden. Diese können auf den Menschen übergehen. »Das bedeutet: Wenn wir dann tatsächlich mal krank sind, wirkt das Antibiotikum nicht mehr«, sagt Monika. Mit »clean meat« lässt sich das vermeiden.

Monika mag den Begriff lieber als »Laborfleisch« oder »künstliches Fleisch«. »Das klingt ganz falsch, nach technischem Hokuspokus im Labor. Dabei startet der Prozess im Stall«, sagt sie. Zunächst werden dem Tier Zellen entnommen. Viele ähnliche Zellen zusammen nennt man Gewebe. »Wir entnehmen Gewebe so, dass die Tiere keinen Schmerz erleiden«, sagt Monika.

Die entnommenen Zellen kommen in eine Petrischale, eine spezielle Glasschale, in der sich eine Nährlösung befindet. Diese Lösung enthält Nährstoffe, die die Zellen brauchen, um zu wachsen. Dafür müssen alle Bedingungen exakt stimmen: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff.

Bis jetzt werden diese Nähr­stoffe fast immer aus dem Blut von ungeborenen Kälbern, den Föten, gewonnen. Doch dafür müssen trächtige Kühe geschlachtet werden – und das bedeutet, dass Tiere leiden müssen. In den Petrischalen, die in Monikas Labor stehen, befindet sich deshalb andere Flüssigkeit. Monikas Team arbeitet an pflanzlichen Alternativen, bei denen kein Tier zu Schaden kommt, das Gewebe aber trotzdem wächst.

Damit sie sich vermehren, kommen die Zellen in den Bioreaktor, ein zylin­derförmiges Gerät. 20 Liter passen hinein. In seinem Inneren werden die Zellen sanft hin und her bewegt. »Damit sie sich wohlfühlen«, sagt ­Monika beinahe liebevoll. Die Wissenschaftlerin mag Tiere. Das ist einer der Gründe, weshalb sie zu zellbasiertem Fleisch forscht. Als Fünfjährige wollte sie Tierärztin werden.

»Ich fand es damals schon schlimm, wenn Tiere leiden müssen oder nicht artgerecht gehalten werden. Aber gleichzeitig finde ich, dass Nutztiere nicht nur zum Kuscheln da sind«, sagt Monika. Zell­basiertes Fleisch ist für sie die Möglichkeit, tierische Produkte zu essen, ohne Tieren zu schaden – oder der Umwelt. Der Bioreaktor rülpst kein umweltschädliches Methan, Kühe schon.

In Singapur und in den USA kann man zellbasiertes Fleisch bereits kaufen. In der Europäischen Union ist es bisher verboten. Das liegt daran, dass zellbasiertes Fleisch ein neuartiges Lebensmittel ist. Bevor solche Produkte zum Verkauf freigegeben werden, müssen sie mehrere Tests bestehen. Monika schätzt, dass das in der EU bald passieren wird: »In fünf Jahren bekommt man zellbasiertes Fleisch bestimmt schon im Supermarkt.«

Wenn die Muskelzellen zu Muskelfasern herangewachsen sind, werden sie unter anderem mit Fettzellen gemischt. Im Bioprinter, einem speziellen 3D-Drucker, erhält das Gemisch eine Struktur, die der von Fleisch ähnelt. Bevor das gezüchtete Gewebe auf dem Teller landet, wird es noch gefärbt und gewürzt, damit es so aussieht und schmeckt wie Fleisch. Monika hat das Ergebnis noch nicht probiert. »Aber wir sind alle neugierig«, sagt sie. »In letzter Zeit habe ich oft Lust auf Kotelett. Mal sehen, ob unser Ergebnis genauso gut schmeckt, wie ich es mir vorstelle. Oder sogar besser!«

Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 4/2024.

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