Warum Kinder in manchen Kulturen weniger trotzen

warum kinder in manchen kulturen weniger trotzen

Ein Klassiker im westlichen Familienalltag: Ein Kind sitzt seine Wut auf dem Trottoir aus. Was machen wir falsch?

Es schreit die Mutter an, ignoriert den Vater und legt sich, wenn es möchte, auch mal mitten auf dem Fussgängerstreifen auf den Boden: das durchschnittliche Schweizer Kind in der Trotzphase. Aus naturnahen Kulturen kennt man solche Bilder nicht. Wieso eigentlich?

Kürzlich haben wir einen Blick über die Grenze geworfen und uns gefragt, weswegen wohl französische Kinder so früh Selbständigkeit und gutes Benehmen lernen. Das Fazit:

  • Französische Eltern sehen ihre Kinder nicht als hilflose Wesen, sondern trauen ihnen was zu!
  • Französische Eltern loben selten, aber richtig
  • Französische Eltern richten nicht ihr ganzes Leben nach den Kindern aus
  • Französische Eltern haben keine Angst davor, ihre Entscheidungen durchzuziehen
  • Französische Eltern setzen auf einen magischen «cadre», innerhalb dessen sie den Kindern Freiheit zur Selbstbestimmtheit lassen

Wie das alles geht, könnt ihr hier nachlesen. Wieso der französische Ansatz so gut funktioniert, erfahrt ihr hier in diesem Artikel.

Darum funktioniert die französische Erziehung

Mit der Frage, warum die Kinder sich nicht in allen Ländern gleich tyrannisierend verhalten, hat sich auch Pädagogin und Autorin Rita Messmer auseinandergesetzt. Auf ihren Reisen rund um die Welt hat sie indigene und traditionelle Kulturen besucht und dort weder trotzende noch widerspenstige Kinder erlebt. Stattdessen sah sie Schulklassen à 50 Kinder, die aufmerksam dem Unterricht und der Lehrperson folgten.

Eine Erklärung dafür hat Messmer in den Naturwissenschaften gefunden. «Die Biologie kennt einen Entwicklungsplan für soziale Systeme. Die Natur hat nicht vorgesehen, dass sich der Nachwuchs gegen ihre Erzeuger richtet. Widerstand gegen die eigenen Eltern, das wäre ein katastrophaler Energieverschleiss, den sich die Natur nicht leisten kann. Diesem Entwicklungscode folgen die Franzosen eben besser als wir. Ihre Ansätze ähneln denen von indigenen und traditionellen Kulturen.»

Da schauen wir genauer hin! Rita Messmer zählt fünf Punkte auf, die wir uns in der Natur selbst und bei naturnahen Kulturen abschauen können.

1. Erziehung beginnt mit der Geburt

«Viele Eltern machen sich erst Gedanken über Erziehung, wenn der erste Wut- oder Trotzanfall ihres Sprösslings kommt. Schade. Die Grundlagen für unser Verhalten werden aber sehr viel früher gelegt. So wie wir sehen, hören, fühlen: Das alles ist ein Zusammenspiel von Milliarden an Informationen, die das Gehirn empfangen und eingeordnet hat. Damit ein soziales System funktioniert, braucht das Gehirn die entsprechenden Informationen. Und dies schon ganz zu Beginn des Lebens. Von unseren Bedürfnissen ist jenes der Zugehörigkeit das wichtigste. Allein können wir nicht überleben. Folglich braucht das Gehirn verlässliche Informationen, wie dieses Zusammenleben am besten funktioniert, und dies vom ersten Lebenstag an. Die Natur wertet nicht – sie schafft aber ein Gleichgewicht.»

2. Dem Kind vermitteln: Du kannst das selber

«Was machen Entenküken, wenn die Mutter aufsteht? Sie folgen ihr unverzüglich. Einer Mutter eines indigenen Stammes in Südamerika liebt ihr Kind genauso, wie wir. Dennoch käme es ihr nie im Traum in den Sinn, wenn sie durch den Urwald geht, sich nach ihrem Kind umzusehen. Weil sie mit dem Sich-Umdrehen dem Kind zu verstehen gäbe, dass sie es ist, die will, dass das Kind mitkommt. Aber genau dieses Signal wäre auf dem biologischen Entwicklungsplan falsch. Mit ihrem Verhalten stimuliert sie den angelegten Willen im Kind, ihr nachzufolgen. Sie weiss haargenau, wie schnell und wie gut es das kann. So passt sie ihr Gehen, ihre Geschwindigkeit so an, dass es ihr Kind schafft. Falls es die Situation erfordert, würde sie sofort einschreiten. Die Botschaft an das Gehirn des Sprösslings lautet also: Du bist stark, fähig und voller Eigeninitiative. Im Gegensatz zu: Ich traue es dir nicht zu, du bist schwach und bedürftig, ich muss ständig nachschauen, mich versichern.»

3. Das Kind ist nicht Mittelpunkt, des Universums

«Was machen junge Füchse, wenn ihre Mutter pfeift? Sie verschwinden blitzartig im Bau. Sicherheit ist der Natur oberstes Gebot. Niemand ist so verletzlich wie der Nachwuchs. Fehlt die Mutter, hat das Junge keine Ãœberlebenschance. Naturgemäss tun alle Mütter alles Erforderliche zum Ãœberleben des Nachwuchses. Folglich ist das Junge auf die Mutter geeicht. Ihre Signale sind überlebenswichtig. Das erfordert aber, dass das Gehirn in dieser frühen Zeit die richtige Stimulation bekommt. Das Junge ist es, das auf unsere Aufmerksamkeit angewiesen ist, deshalb sucht es diese. Wir aber geben sie nur da, wo es notwendig ist. Das Kind sollte nicht Mittelpunkt sein. Wenn wir dann zusätzlich den Blick abwenden, wenn ein Verhalten unerwünscht ist, ist das fürs Gehirn des Kleinkindes ein klares und unmissverständliches Signal, dieses Tun zu unterlassen – ganz ähnlich dem Pfeifen der Fuchsmutter. Das Kind erfährt dadurch Führung und damit Sicherheit. Zu viel Aufmerksamkeit der Eltern macht Kinder abhängig.»

4. Sicherheit im Familiensystem

«Wenn ein Wolfsrudel jagt, nimmt jeder genau den richtigen Platz ein. Warum? Im Wort Vertrauen steckt: Ich traue dir – traue dir etwas zu. Du schaffst es, du willst ein Teil der Gemeinschaft sein. Das liegt in deinem eigenen Interesse, denn die Gemeinschaft gibt dir Schutz, Nahrung und Sicherheit. Du hast, Kopf, Rumpf, Arme und Beine, das sind alles Teile von dir. Jeden Teil brauchst du; sie sind alle wichtig. Ohne Kopf sind Arme und Beine nichts. Aber Kopf ohne Arme und Beine ist auch nichts. Im gleichen Sinne sieht es die Biologie mit der Familie. Es soll allen gut gehen und jeder arbeitet daran. Jeder ist wichtig und jeder erkennt seinen Platz, damit dieses System funktioniert. Nicht die Eltern müssen sich bemühen, das Kind will sich diesen Platz erobern. Es ist glücklich, wenn es ein Teil dieser Gemeinschaft wird. Sein Glück besteht darin, hier Sicherheit, Geborgenheit und Nahrung zu finden – es fühlt sich als ein Teil des Ganzen, der Familie.»

5. Kinder selber lernen lassen

«Gönnen wir unseren Kindern die Stolpersteine auf ihrem Lebensweg! Warum? Wir bewerten alles. Zum Beispiel: Das ist lieb, das ist böse. Wir meinen, möglichst viel Aufmerksamkeit, Zuwendung, Hilfe, machen gute Eltern aus. Diese Bewertungen kennt die Natur nicht. Wenn wir Kinder erziehen, sollten wir mit unseren Bewertungen vorsichtig sein. Alle Eltern wollen, dass es ihren Kindern gut geht. Aber geht es den Kindern besser, wenn wir ihnen alle Stolpersteine aus dem Weg räumen? Lehren wir sie doch besser, auf den Stolpersteinen zu tanzen. Ein flacher, gesäuberter Weg ist langweilig, regt nicht an, macht träge und dick. Das ist nicht, was die Kinder von uns wollen. Wir sollen nicht ihr Leben leben, sondern wir sollen der Fels in der Brandung sein und sie das sprudelnde Wasser um uns herum. Machen wir die Kinder lebensfähig und stark, damit sie die Aufgaben selber lösen. Lassen wir das Kind auf uns zugehen. Wenn es Hilfe sucht, weiss es, wo es diese findet. Lassen wir das Kind auf uns zukommen!»

Rita Messmer ist Mutter und Pädagogin. Sie hat mehrere Erziehungs-Ratgeber geschrieben, die drauf ausgerichtet sind, die Kompetenz und Selbständigkeit von Kindern zu fördern. Unter anderem «Der kleine Homo sapiens kann’s», «Mit kleinen Kindern lernen lernen» und «Zu stark für Gewalt».

Neu hat sie auch die Schule «Der kleine Homo sapiens» gegründet. Sie bietet Seminare in verschiedenen Bereichen an. Etwa Babymassage oder Erziehung und ist eine Expertin der Windelfrei-Methode.

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