Muslim Interaktiv: Straftäter abschieben? Islamisten sind längst Teil von Deutschland
Sie lehnen die Bundesrepublik Deutschland ab und wollen stattdessen einen islamischen Gottesstaat: Islamisten rund um die Gruppe Muslim Interaktiv in Hamburg
„Das Kalifat ist die Lösung“, ist auf den Pappschildern der Demonstranten zu lesen. Wie aus einer Kehle skandieren sie das islamische Glaubensbekenntnis. Einige schreien „Allahu Akbar“ und recken dabei die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe – so, wie es auch die Schlächter des Islamischen Staats auf ihren Vernichtungsfeldzügen im Irak und in Syrien getan hatten.
Die über 1000 jungen Männer und Frauen, die am vergangenen Samstag in Hamburg geschlechtergetrennt demonstrieren, sind Anhänger der gesichert extremistischen Gruppe Muslim Interaktiv. Sie wollen an die Stelle der Bundesrepublik einen islamischen Gottesstaat setzen, und das am besten weltweit.
Den Islamisten-Aufmarsch in seiner Heimatstadt konnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht unkommentiert lassen. Er sagte in einer Pressekonferenz am Montag: Gegen all das, was „an islamistischen Aktivitäten“ stattfinde, müsse mit „den Möglichkeiten und Handlungsoptionen unseres Rechtsstaates“ vorgegangen werden. Man müsse „genau schauen“, so der Kanzler weiter, was „für Konsequenzen zu ziehen sind“ – jedenfalls müssten alle Straftaten „verfolgt werden“. Dieses schwammige Statement lässt einen ratlos zurück.
Denn was sind die „Möglichkeiten und Handlungsoptionen“ des Rechtsstaates, die der Kanzler gegen die Islamisten in Stellung bringt? Das Verfolgen einzelner Straftaten? Vereins- und Demonstrationsverbote, Abschiebungen womöglich, wie das etwa Oppositionspolitiker aus den Unionsparteien fordern? Die meisten Demonstranten aus Hamburg sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit deutsche Staatsbürger. Nach aktuellen Angaben des Bundesinnenministeriums trifft das zumindest auf zwei Drittel der islamistischen Gefährder im Land zu.
Und viele derjenigen, die keinen deutschen Pass haben, genießen subsidiären Schutz. Heißt: Selbst bei Straftaten oder abgelehnten Asylanträgen können sie nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden, weil dort Bürgerkriege toben oder ihnen anderweitig Verfolgung droht. Viele autoritäre Staaten, etwa aus Nordafrika, wollen ihre geflüchteten jungen Männer ohnehin nicht zurückhaben. Dort gelten sie seit den Aufständen des Arabischen Frühlings als potenzielle Unruhestifter.
Auch Vereins- und Demonstrationsverbote treffen nicht den Kern der Sache. Lose Zusammenschlüsse wie Muslim Interaktiv sind nicht als Vereine organisiert, ein Großteil ihrer Agitation findet im Netz statt. Profil-Sperren auf sozialen Netzwerken wie der Videoplattform TikTok können leicht umgangen, Kundgebungen auch von anderen Personen angemeldet werden. Dass der Hamburger Verfassungsschutz die Gruppe beobachtet, imponiert den Anhängern nicht.
Die Drohung, die Polizei werde konsequent alle Straftaten verfolgen, greift ebenso sehr ins Leere. Um strafbare Parolen – etwa auf Arabisch – erkennen und im fraglichen Moment eingreifen zu können, müssen Polizisten umfangreich geschult werden. Das bindet Ressourcen. Zumal die Aussichten darauf gering sind, dass es erst zu einer Anklage und dann auch zu einer Verurteilung kommt: Der Volksverhetzung-Paragraf im Strafgesetzbuch ist nicht darauf ausgerichtet, jede möglicherweise verbotene Parole auf Massenkundgebungen zu ahnden.
Kopf von Muslim Interaktiv ist Raheem Boateng, ein Lehramtsstudent aus Hamburg. Er war auch Redner auf der dortigen Demonstration am vergangenen Samstag.
Man kann den Ereignissen in Hamburg eine repräsentative Studie der dortigen Universität von 2021 entgegenstellen, die die Lage deutlich weniger dramatisch darstellt. Demnach kann die überwiegende Mehrheit der hier lebenden Muslime mit Idee des Kalifats wenig bis gar nichts anfangen, auch wenn junge Muslime eher „islamismusaffine“ Einstellungen zeigen als ältere. Die islamistische Demonstration kann man natürlich trotzdem – so wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) – „schwer erträglich“ finden.
Man kann aber auch, wie Justizminister Marco Buschmann (FDP), im Konjunktiv tönen: „Wem ein Kalifat lieber sein sollte als der Staat des Grundgesetzes, dem steht es frei auszuwandern.“ Doch dann lügt man sich in die Tasche. Warum sollte auch nur einer der Hamburger Demonstranten auswandern wollen, wenn er sich gerade auf einem Eroberungszug wähnt? Anreize zur „freiwilligen“ Auswanderung von Islamisten gibt es derzeit jedenfalls nicht.
Die bisherige Erfahrung zeigt: Die Chance, junge Islamisten zu erreichen – sei es durch Strafandrohung oder Sozialpädagogik –, ist quasi bei null. Entsprechende Vorschläge mögen gut gemeint sein, in der Masse verfangen sie nicht. Solche Demonstrationen wie am vergangenen Samstag sind ein Vorgeschmack auf das, was diesem Land noch blühen könnte.
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