Minister Habeck zeigt sich in Mainz selbstkritisch

minister habeck zeigt sich in mainz selbstkritisch

Auftritt: Robert Habeck als Hauptredner beim Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Kammern

Ob protestierende Landwirte oder besorgte Unternehmer: Bei seinem Besuch in Mainz ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) am Donnerstag mit vielen Menschen zusammengekommen, die mit ihm reden, ihm etwas erklären oder aber sich auch einfach nur beschweren wollten. Dass ein Tag – und mochte er mit Terminen auch noch so vollgefüllt gewesen sein – wohl nicht reichen werde, um die erhofften Lösungen zu finden, ließ der Vizekanzler aber schon am Morgen in der Staatskanzlei durchblicken. Dort hatte Habeck zunächst mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) über Transformation gesprochen – also zum Beispiel über „Leuchttürme der Kreislaufwirtschaft“ und einen erfolgreichen Umbau der Industrie hin zur klimaneutralen Produktion. Ein Thema, das ihn noch den ganzen Tag begleiten sollte.

Nachmittags ließ er sich bei zwei Werksbesichtigungen schließlich zeigen, wie weit der Technologiekonzern Schott schon ist, wenn es darum geht, die im Dauerbetrieb eingesetzten Glaswannen künftig mit Hilfe von grünem Strom respektive grauem Wasserstoff auf die für die Schmelze benötigten bis zu 1700 Grad Celsius zu bringen. Habeck erfuhr darüber hinaus, warum sich die für etliche Wasch- und Reinigungsmittel der Marke „Frosch“ bekannte Firma Werner & Mertz zu Recht als Öko-Pionier fühlen darf; und, was ebendort in Zukunft noch so alles geplant ist.

Habeck rügt Speisekarten-Vorschriften

Abends stand der Wirtschaftsminister dann als Hauptredner beim Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Kammern in der mehrere tausend Gäste fassenden Rheingoldhalle auf der Bühne, die laut Veranstalter ausgebucht war. Auf dem Weg dorthin kam er nicht an den Bauernprotesten vorbei, die auch in Rheinland-Pfalz seit Wochen organisiert werden. Mit rund 80 Schleppern und Traktoren waren Landwirte vom Mainzer Messegelände, wo gerade eine Agrar-Messe stattfindet, in die Innenstadt gerollt, um einmal mehr ihre zentrale Forderungen kundzutun:die Beibehaltung aller bis dato gewährten Subventionen und Dieselsteuer-Erleichterungen. Nicht nur draußen vor der Hallentür, wo Bauern Spalier standen, herrschte dicke Luft. Auch drinnen im Saal waren zumindest anfangs vereinzelt Buhrufe zu hören – doch recht schnell kippte die Stimmung zugunsten des Gastes und der Beifall überwog.

Habeck bemühte den Sport, ganz aktuell die Niederlage der deutschen Handballer gegen Kroatien vom Vorabend, um auf eine wichtige Mentalitätsfrage einzugehen: Will man gewinnen (und hat man Spaß daran) oder nur nicht verlieren? Launig ging es weiter, wenn der Vizekanzler weitere Beispiele anführte, um als Bürokratie-Kritiker unglaubliche Restaurant- und Speisekarten-Vorschriften anzuprangern – die noch dazu aus seinem eigenen Haus, dem Wirtschaftsministerium, seien, die aber zweifelsfrei abgeschafft gehörten.

„Doch wie konnte es so weit kommen, dass wir so falsch abgebogen sind?“ Im Grunde entscheiden Habecks Ansicht nach immer öfter Verwaltungsgerichte darüber, was der Staat überhaupt noch machen dürfe. Die Verwaltung, die im Falle einer Klage den Fall nicht verlieren möchte, stecke nicht zuletzt deshalb so viel Kraft in Regeln und Vorschriften, die letztlich keinem Beteiligten so wirklich gefielen. Tatsächlich müsse man mutiger sein und sich auch zutrauen, einen Fehler zu machen, so Habeck. Was jedoch nicht bedeute, dass Politiker andauernd Fehler begehen sollten.

Gegen „Dexit“ und „Remigration“

Deutschlands Stärken seien Kooperationsfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Weltoffenheit – gerade Letzteres gelte besonders für Rheinland-Pfalz, das ökonomisch betrachtet über dem deutschen Exportdurchschnitt liege. Und das sei auch ein Verdienst jener Menschen, die mit Migrationshintergrund gerne in Deutschland lebten. „Dexit“ und „Remigration“ seien das Letzte, „was wir brauchen“. Zugegebenermaßen stehe Deutschland aktuell unter starkem Druck und vor großen Veränderungen: der Ukraine-Krieg und aufkommender Nationalismus seien brandgefährlich. Deutschland und Europa müssten deshalb über die eigene Verteidigungsbereitschaft, sprich: auch über Rüstungsfragen, reden.

Außerdem gelte es, wichtige Infrastrukturvorhaben rasch umzusetzen: „Wenn wir jetzt nicht die Ärmel hochkrempeln, versagen wir vor den Herausforderungen unserer Zeit.“ Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs sei es innerhalb kürzester Zeit und ohne Blaupause gelungen, die Erdgasversorgung sicherzustellen. Deutschland habe allen Grund, auf die eigenen Stärken zu vertrauen, sollte nicht zu zaghaft und zögerlich sein; sondern daran glauben, auch einmal „das Unmöglich möglich zu machen“, sagte Habeck. Das sei übrigens ein Slogan, denn er nachmittags beim Mainzer Glashersteller Schott gesehen habe – und der ihm, wie der ganze Mainz-Besuch, sehr gut gefallen habe.

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