Mülheimer Theatertage 2024: Erlesenes aus starkem Jahrgang

mülheimer theatertage 2024: erlesenes aus starkem jahrgang

„forecast:ödipus“ heißt das neue Stück von Thomas Köck, das in der Uraufführung des Schauspiels Stuttgart bei den 49. Mülheimer Theatertagen (2024) zu sehen ist.

Das Stücke-Auswahlgremium der 49. Mülheimer Theatertage hatte es schwer: „Es gab weit mehr einladenswerte Stücke als die sieben, die nominiert werden konnten“, so Sprecher Franz Wille. Vom 4. bis 25. Mai sind also die besten Werke aus einem starken Jahrgang zu sehen. Die Autorinnen und Autoren konkurrieren um den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis, einen der wichtigsten Preise der deutschen Theaterlandschaft. Mit den sieben Uraufführungen aus 2023 sind renommierte Theater und große Schauspielerinnen und Schauspieler zu Gast, zum Beispiel Lina Beckmann oder Dimitrij Schaad.

„Baracke“ von Rainald Goetz

„Baracke“ von Rainald Goetz in der Uraufführung des Deutschen Theater Berlin eröffnet das Festival. Scharfsinnig, mit sensiblem Sprachgefühl und großer Menschenkenntnis porträtiert Rainald Goetz, der zum sechsten Mal in Mülheim nominiert ist, eine Familie. Sein Stück erzählt dabei die Geschichte der Liebe über gut dreißig Jahre, also eine Generation, hinweg. Es berichtet von Geheimnissen, Gewalt im Verborgenen – dem Schweigen der Väter und der Erstarrung der Mütter. Jüngere Vergangenheit und Gegenwart verdichten sich, es entstehen Analogien bis hin zum rechtsterroristischen NSU. „Goetz’ Sätze flitzen herum wie die Kugeln in einem Spielautomaten. Manche schießen knallend ins Hirn, manche treffen ins Herz“, beschreibt es Christine Dössel aus dem Auswahlgremium. „Baracke“ sei eine inszenierte Revolte des Sprechens gegen das Schweigen.

Samstag, 4. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle

„Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt“ von Felicia Zeller

„Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt“ ist Felicia Zellers Annäherung an ein oft tabuisiertes Thema: die Gewalt gegen Frauen in allen gesellschaftlichen Schichten. Die Suche nach Auswegen, nach Rettung. Ausgangspunkt waren dabei Interviews mit ehemaligen und aktuellen Bewohnerinnen eines Frauenhauses, der Leiterin, Opferschützerinnen und einer Rechtsanwältin. Felicia Zeller, bereits zum siebten Mal in Mülheim nominiert, entwickelt auf dieser Grundlage eine ganz eigene Kunstsprache, Vokabular und Sprachmelodie entstehen aus den Biografien. Sie nähert sich dem Thema damit „ungemein vielschichtig“, wie Christina Wahl (Auswahljury) betont. „Antrag“ ist mehr als ein Recherche-Projekt, nämlich „ein drängendes, poetisches, selbstermächtigendes Stück, das Strukturen und Schicksale eines unsäglichen Phänomens beleuchtet“. (Inszenierung: Theater Oberhausen).

Sonntag, 5. Mai, 19.30 Uhr, und Montag, 6. Mai, 19.30 Uhr, Theater an der Ruhr

„Laios“ von Roland Schimmelpfennig

„Laios“ ist ein rasantes Solo der Schauspielerin Lina Beckmann – entstanden am Deutschen Schauspielhaus Hamburg als Teil der Mythen-Serie „Anthropolis“. Der Autor ist in Mülheim bestens bekannt: Roland Schimmelpfennig ist zum neunten Mal nominiert. Voriges Jahr gewann er den KinderStückePreis. Geschaffen hat er einen multiperspektivischen Monolog, der den verschiedenen Mythenvarianten über Laios, den Vater von Ödipus, nachgeht. Wie viel Schuld wird vererbt, wie viel Freiheit bleibt dem Einzelnen? „In der kongenialen Solo-Performance der Ausnahme-Schauspielerin Lina Beckmann wird aus ‚Laios‘ ein furioser Abend über das Erzählen selbst, der auch zum diesjährigen Theatertreffen nach Berlin eingeladen wurde. Denn wie Beckmann hier die hellste Freude an konkurrierenden Plots entfacht und auf offener Bühne die immense Verführungskraft einer guten Story zeigt, das (….) spielt schlichtweg in einer ganz eigenen Liga“, so Christina Wahl (Auswahlgremium).

Dienstag, 7. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle

„Juices“ von Ewe Benbenek

„Juices“ ist das zweite Stück von Ewe Benbenek – und wieder ist sie eingeladen. Mit ihrem Debüt „Tragödienbastard“ gewann sie 2021 direkt den Mülheimer Dramatikpreis. „Juices“ erzählt vom Leben ohne sicheren Anker, vom Ankommen und Nicht-Ankommen als Gastarbeiter(kind) – und von Erfolgsgeschichten, die ohne ein bisschen Ausbeutung unmöglich gewesen wären… Benbenek berichtet vom Putzen und Spargelstechen, (Angst)Schweiß und (Existenz)Tränen, „Juices“ eben, die oft im Verborgenen fließen. „Wie davon erzählen, wenn man keinen Leidenskitsch verbreiten will, nicht in die Klassismusklischees rutschen will, keinen ‚Working-Class-Erinnerungsporn‘ schreiben will?“ hat sich Benbenek laut Franz Wille (Auswahjury) gefragt. Und eine furiose Antwort gefunden! Inszenierung: Nationaltheater Mannheim.

Donnerstag, 9. Mai, 19.30 Uhr, und Freitag, 10. Mai, 19.30 Uhr, Theater an der Ruhr

„The silence“ von Falk Richter

„The Silence“ von Falk Richter ist ein sehr persönliches Stück: Der Autor (zum 3. Mal nominiert) entwickelt es nicht nur aus seiner Biografie, sondern schreibt sich und seine Eltern auch in den Text, führt bei der Uraufführung (mit dem vielfach preisgekrönten Schauspieler Dimitrij Schaad) an der Berliner Schaubühne selbst Regie und ist gemeinsam mit seiner Mutter in Video-Einspielungen zu sehen. Dabei nimmt Falk Richter jahrzehntelang unausgesprochene Wahrheiten und Traumata in den Blick. Wie haben sich die Gräuel, die sein Vater im Krieg erlebte, in die Familiengeschichte eingeschrieben, wie das Trauma der Vertreibung? Wie wurde die schon im Teenager­alter sich abzeichnende schwule Identität des Autors von den Eltern unterdrückt? Wie setzt sich die erlebte Unterdrückung in den eigenen Beziehungen des Autors fort? „Ein großartiges Zeugnis deutscher Familiengeschichte“, so Stephan Reuter vom Auswahlgremium.

Samstag, 18. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle

„forecast:ödipus“ von Thomas Köck

„forecast:ödipus“ bringt den zweifachen Dramatikpreis-Gewinner Thomas Köck, der auch schon den Publikumspreis des Festivals gewann, wieder nach Mülheim. Sein Stück ist ein „süffisant satirischer, durch und durch sprachmusikalischer Sophokles-Remix“, erklärt Auswahlgremiums-Mitglied Wolfgang Kralicek. Dabei geht es um die Frage, was oder wer eigentlich die Seuche ist, die alle bedroht. Kralicek: „Für Thomas Köck liegt die Tragik des Stoffs darin, dass insgeheim alle wissen, was gespielt wird – und trotzdem alle weiter mitspielen.“ Sehenden Auges in den Untergang also, während in Theben das Wasser knapp wird, die Temperaturen steigen. Regisseur Stefan Pucher hat aus der Uraufführung am Schauspiel Stuttgart eine witzige, bitterböse, vom Publikum gefeierte Bühnen-Show gemacht, bei der einem das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt.

Mittwoch, 22. Mai, 19.30 Uhr, Stadthalle

„Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert“

„Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert“ sorgt für die dritte Nominierung von Sivan Ben Yishai in Folge. 2022 hat sie den Dramatikpreis gewonnen, von den großen Bühnen ist sie mit ihren vielschichtigen Stücken, in denen sie pointiert Machtstrukturen und den Kulturbetrieb zerlegt, nicht mehr wegzudenken. Diesmal widmet sie sich einem modernen Klassiker – und beschreibt Henrik Ibsens „Nora“ als längst oben angekommene Solo-Show. Nora ist nicht mehr Opfer der Strukturen, jetzt hat sie mit ihrer erfolgreichen Bühnenshow selbst Strukturen geschaffen, in denen mancher, trotz bester Ausbildung, kaum ein Wort sagen darf… Ben Yishai kehrt die Verhältnisse um. „Es treten Dienstmädchen ins Rampenlicht, die im Personenverzeichnis nicht einmal einen Namen haben, Köche, die man im Original niemals zu Gesicht bekommt, und ein Paketbote, dessen ganzer Text aus dem Satz ‚50 Öre‘ besteht“, so Wolfgang Kralicek.

Inszenierung: Schauspiel Hannover.

Samstag, 25. Mai, 18 Uhr, Stadthalle

Im Anschluss entscheidet am 25. Mai ab etwa 21 Uhr die Jury in öffentlicher Diskussion, wer den Mülheimer Dramatikpreis 2024 erhält. Zu Tickets und Abos – lesen Sie die Infobox.

Mehr zu den Mülheimer Theatertagen:

  • Mülheimer Theatertage: Diese neuen Stücke sind für 2024 nominiert
  • Theatertage Mülheim: Wer für die „Stücke 2023“ nominiert ist
  • Mülheimer Theatertage: Caren Jeß triumphiert mit Monolog
  • „Theatertage plus“ in Mülheim: „Vater unser“ auf der Bühne
  • Roland Schimmelpfennigs Werk gewinnt den Kinderstücke-Preis

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