Maximilian Krah: Offene Flanken für China, nicht nur bei der AfD
Deutschlands Abhängigkeit von China ist gefährlich, doch die Bundesregierung verändert nichts. Diese Naivität spielt den Antidemokraten in die Hände.
Als Maximilian Krah kürzlich bei “Jung & Naiv” auftrat, zog er einen interessanten Vergleich. “Du willst mir also erzählen, dass du es okay findest, wenn es jetzt in Tibet eine forcierte Masseneinwanderung von Han-Chinesen gibt, ja?” fragte der AfD-Spitzenkandidat den Moderator Thilo Jung. Wenn ein Deutscher sage, “jedes Volk sollte an seinem Ort weitgehend unter sich nach seinen Regeln leben”, dann heiße es: “böser Nazi”. Doch “dieselben Leute” würden das Ansiedeln von Han-Chinesen in Tibet als “Völkermord” bezeichnen.
Der Rechtsextremist – Krah stellte 2019 einen Mitarbeiter ein, den Marine Le Pens Rassemblement National wegen Antisemitismus gefeuert hatte und wurde 2022 von der rechtspopulistischen Fraktion im Europaparlament zeitweilig suspendiert, weil er im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Le Pen, sondern ihren rechtsradikalen Konkurrenten Éric Zemmour unterstützte – sagte freilich nicht, ob er der Einschätzung zustimmen würde, die chinesischen Kommunisten betrieben in Tibet Völkermord.
Verwunderlich wäre es. Denn Krah galt lange vor der Festnahme seines Büromitarbeiters Jian G. wegen mutmaßlicher Spionage für Peking als Antiwestler und China-Freund. “Nicht Russland, nicht China, nicht Indien, nicht Afrika, nicht die islamische Welt bedrohen unsere Existenz”, schrieb er vor einem Jahr in seinem Manifest Politik von rechts. “Auch sie agieren letztlich defensiv gegen den universalen Machtanspruch des woken Westens.” In diesem Zusammenhang lobt Krah die “Große Chinesische Firewall” gegen unzensierte – sprich: “woke-westliche” – Medien und fordert eine, vermutlich ähnlich anti-woke, “europäische Firewall”.
Die Ideologie der AfD ist äußerst kompatibel mit China
Ost- und Südostasien solle, so Krah, chinesisches, die “russische Welt” russisches Einflussgebiet werden. Würden die “Vasallen der USA” das anerkennen, gebe es weder einen Ukraine- noch einen Taiwan-Konflikt. Zumal Krah – so viel zu Tibet vermutlich – für eine “dezentrale Interpretation der Menschenrechte” plädiert, die vermutlich den chinesischen Kommunisten die Auslöschung der tibetischen Kultur ebenso erlauben würde wie einer AfD-Regierung in Deutschland die Remigration von Menschen, deren kulturelle Assimilation nicht weit genug gediehen sei.
Ohne also die Spionagetätigkeit seines Freunds und Angestellten herunterzuspielen; ohne die Möglichkeit auszuschließen und herunterzuspielen, dass Krah selbst durch Begünstigungen und bevorzugte Kontakte zu chinesischen Offiziellen korrumpiert wurde, muss man festhalten, dass die Kompatibilität der antiwestlichen, antieuropäischen, autoritären und nationalistischen Ideologie der AfD mit der von Peking propagierten Linie eine viel größere Gefahr darstellt.
Allerdings eher mittelfristig. Noch hat die AfD nur wenige Machtpositionen besetzen können. Es scheint ausgeschlossen, dass sie je bundespolitisch reüssieren könnte, was auch immer in Landkreisen, Städten oder vielleicht in einzelnen ostdeutschen Bundesländern passieren mag. Die Brandmauer, die bundespolitisch dank der staats- und außenpolitischen Verantwortung der SPD gegen die Linkspartei hielt, wird auch, allen gelegentlichen Wirrreden eines Friedrich Merz oder Markus Söder zum Trotz, dank der staats- und außenpolitischen Verantwortung der Union gegen die AfD halten. Freilich haben beide Parteien offene Flanken gegenüber China, die aktuell mindestens ebenso viel Besorgnis erregen sollten wie die Eskapaden des Herrn Krah.
Angela Merkel verdankte ihre lange Kanzlerschaft einerseits der Linkspartei und der verantwortungsvollen Haltung der SPD, mit ihr keine Mehrheit links der Mitte zu suchen; andererseits dem Aufstieg Chinas, das fast zwei Jahrzehnte hindurch deutschen Firmen, allen voran den Autobauern, gewaltige Absatzmärkte und Profite und dem einstmals “kranken Mann Europas” den Wiederaufstieg ermöglichte. Sie zeigte sich dankbar, indem sie bis zum Ende ihrer Kanzlerschaft nie öffentlich von “systemischer Rivalität” mit China sprach, obwohl sich die EU im März 2019 geeinigt hatte, in China einen Systemrivalen zu sehen.
Scholz bleibt auf Kuschelkurs
Nicht nur ließ Merkel zu, dass die zuerst in Deutschland – dank der unbeliebten Förderung von Solarstrom – entwickelte Solarindustrie von chinesischen Billigpaneelen kaputt gemacht wurde. 2016 zwang sie auch die griechische Regierung, als Teil des Preises für den Verbleib in der Eurozone, den für Europa strategisch wichtigen Hafen von Piräus an den chinesischen Staatskonzern Cosco zu verkaufen.
Cosco besitzt inzwischen Anteile an fast allen für Europas Außenhandel lebenswichtigen Häfen: Neben Piräus sind das Zeebrugge und Antwerpen, Rotterdam, Valencia, Bilbao, Genua, Istanbul und der Containerhafen am Suezkanal. In Hamburg zeigte ein gewisser Olaf Scholz als Oberbürgermeister Interesse am Verkauf von 35 Prozent des Container-Terminals Tollerort an den direkt von der kommunistischen Führung kontrollierten Konzern.
Kein Wunder, dass sich die chinesische Führung nach dem Ende der Ära Merkel an Scholz wandte, um sich versichern zu lassen, die Beteiligung der Grünen an der Regierung werde keine Änderung am Kuschelkurs gegenüber China bedeuten. Denn die Grünen im Europaparlament hatten zuvor ein von der Kommission unter der Merkel-Vertrauten Ursula von der Leyen geplantes Investitionsabkommen zwischen der EU und China zu Fall gebracht, und Grünen Co-Chefin Annalena Baerbock hatte sich kritisch zur Menschenrechtslage in China geäußert.
“Seit einiger Zeit rücken manche Menschen mit Blick auf die chinesisch-europäischen und chinesisch-deutschen Beziehungen (…) zunehmend Unterschiede und Differenzen in den Vordergrund, teils ist gar von einem Systemwettbewerb die Rede”, erklärte die chinesische Botschaft in Berlin mitten in den Koalitionsverhandlungen. China aber setze auf Politiker, die das deutsch-chinesische Verhältnis “objektiv und ganzheitlich” betrachten und “Chinas Kerninteressen und Hauptanliegen tatkräftig respektieren”.
Statt sich über diese offene Einmischung in Deutschlands innere Angelegenheiten zu beschweren, ließ der künftige Kanzler über den EU-Ratspräsidenten Charles Michel dem chinesischen Staatspräsidenten und KP-Chef Xi Jinping signalisieren, er werde die Grünen “in Schach halten” und den “pragmatischen” Kurs Merkels fortsetzen.
Als Beweis und Morgengabe drückte Scholz als Kanzler gegen die Bedenken der Grünen und seiner eigenen Berater den Hamburger Hafen-Deal durch. Zwar wurden statt 35 nur 25 Prozent an Cosco verkauft, aber damit hatten die Chinesen den Fuß in der Tür. Bei seiner ersten China-Reise Ende 2022 nahm der Kanzler zahlreiche Firmenchefs mit, die im Beisein von Scholz und Xi diverse Abkommen mit chinesischen Firmen unterzeichneten. “Was wir brauchen, sind Brückenbauer anstatt Mauerbauer”, hatte die chinesische Botschaft gefordert. Scholz machte klar, dass er sich als Brückenbauer versteht.
Dabei ist längst klar, dass China “eine systematische Politik des Exports von hochsubventionierten industriellen Überkapazitäten” betreibt, wie der Europaabgeordnete der Grünen, Reinhard Bütikofer, schrieb, “von der her, wenn wir uns nicht wehren, Europa teilweise eine gefährliche Deindustrialisierung droht”.
Deutschlands Handelsbilanzdefizit mit China, das 2014 nur 5,5 Milliarden Euro betrug, wuchs in den nächsten sechs Jahren unter Merkel (und ihrem Vizekanzler Scholz) auf über 39 Milliarden Euro an und betrug nach einem Jahr Ampelregierung 86,1 Milliarden Euro!
TikTok? Bleibt Partner des Deutschen Olympischen Sportbunds
Wie diese einseitige Abhängigkeit von China beendet werden könnte, davon kommt von Scholz nichts. Wie gefährlich sie sein kann, demonstriert etwa das soziale Netzwerk TikTok. Soeben hat der US-Senat beschlossen, dass die chinesischen Besitzer die App an eine amerikanische Firma verkaufen müssen. “Jahrelang haben wir der Kommunistischen Partei Chinas erlaubt, eine der beliebtesten Apps Amerikas zu kontrollieren, und das war gefährlich kurzsichtig”, so Senator Marco Rubio, der führende Republikaner im Geheimdienstausschuss. Die amerikanischen Dienste befürchten, dass sich chinesische Regierungsstellen Zugriff auf Nutzerdaten verschaffen und die beliebte Plattform für politische Einflussnahme nutzen könnten.
Obwohl auch in Deutschland der Bundesverfassungsschutz vor einem möglichen Datenmissbrauch von Userdaten durch China warnt, bleibt TikTok Partner des Deutschen Olympischen Sportbunds bei den diesjährigen Olympischen und Paralympischen Sommerspielen in Paris 2024 sowie den Winterspielen in Mailand und Cortina d’Ampezzo.
Man stelle sich vor, TikTok würde dafür sorgen, dass die von einem Herrn Krah verbreiteten Ideen mehr Anhänger in Deutschland gewinnen. So würden regierungsamtliche Blauäugigkeit wieder einmal – man denke an die fatale Abhängigkeit von russischem Gas – den Feinden der Demokratie in die Hände spielen.
Zeit, den Begriff der Systemrivalität ernst zu nehmen
Während dieser Artikel geschrieben wurde, ordnete die EU-Kommission Razzien bei NucTech an, einem chinesischen Hersteller von Sicherheitsausrüstung, die vor allem in Flug- und Seehäfen zum Einsatz kommt. Vordergründig geht es um verbotene Subventionen aus dem Ausland, vermutlich aus China. Dahinter stecken Sicherheitsbedenken, dass die erhobenen Daten zur Spionage benutzt werden könnten.
Schon 2020 hatten die USA die Europäer vor dem Einsatz von Geräten der Firma gewarnt. Dennoch war der Chef von NucTech unter den Wirtschaftsvertretern, mit denen Scholz bei seinem ersten China-Besuch zusammentraf. Eine demonstrative Unbekümmertheit des Kanzlers, die an Verantwortungslosigkeit grenzt.
Es wird Zeit, den Begriff der Systemrivalität ernst zu nehmen. Krahs politische Träume zeigen, wie sich China und seine deutschen Bewunderer die Zukunft Europas vorstellen: illiberal, autoritär, antiwestlich, kulturell monochrom, weltpolitisch abstinent. Es besteht kein Grund, auch noch von Regierungs- und Wirtschaftsseite dieser Dystopie zuzuarbeiten.