Mit Prinzipien der Partei gebrochen: Orban verliert gleich zwei Vertraute

Ungarns Präsidentin hat einen Pädophilen begnadigt, sie tritt zurück – genauso wie die Justizministerin. Medien und Oppositionelle sprechen von einer Regierungskrise.

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Viktor Orban muss sich neues Personal suchen – unter anderem für die Europawahl.

Ungarn braucht einen neuen Staatspräsidenten oder eine neue Staatspräsidentin, und die Regierungspartei Fidesz braucht einen neuen Spitzenkandidaten für die EU-Wahl. Denn die amtierende Präsidentin, Katalin Novak, ist am Samstag nach einer kurzen und schmucklosen Erklärung im Staatsfernsehen, in der sie «Fehler» einräumte, zurückgetreten. Erst Stunden zuvor war sie von einem Besuch in Katar zurückgekehrt, wo sie der ungarischen Wasserballmannschaft hatte applaudieren wollen.

Kurz nach ihr trat die Ex-Justizministerin und Parlamentsabgeordnete Judit Varga zurück, die dem Fidesz als Spitzenkandidatin im Juni zu einem grossen Erfolg bei der Europawahl verhelfen sollte. Ob eine ausserordentliche Sitzung des Parlaments einberufen wird, um die Nachfolge der Präsidentin schnell zu bestimmen, ist noch ungeklärt. Das Amt des Staatspräsidenten ist in Ungarn mit geringen Befugnissen ausgestattet.

Regierungschef Viktor Orban, der zuletzt wegen zahlreicher Konflikte mit Brüssel medial im Dauereinsatz war, hüllte sich nach den zwei Rücktrittsmeldungen in Schweigen; die Staatsmedien lobten die Entscheidungen derweil als konsequent – und als Beweis für die moralische Grundhaltung des Fidesz. Kritische Medien und zahlreiche Oppositionspolitiker sprechen hingegen von einer schweren Regierungskrise.

Kindliche Opfer zum Schweigen gedrängt

Der Vorfall, der die Krise auslöste, liegt schon fast ein Jahr zurück: Als im April 2023 Papst Franziskus nach Ungarn reiste, wurden im Vorfeld von der Staatspräsidentin Katalin Novak einige Straftäter begnadigt, darunter der stellvertretende Leiter eines Waisenhauses in Bicske nahe Budapest, dessen Direktor jahrelang ihm anvertraute Kinder sexuell missbraucht haben soll. Der Vizedirektor, Endre K., war dafür verurteilt worden, dass er kindliche Missbrauchsopfer, die als Zeugen gegen seinen Chef hätten aussagen können, zum Schweigen drängte.

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Die Opposition forderte bereits ein Amtsenthebungsverfahren gegen Katalin Novak, die nun zurückgetretene Staatspräsidentin Ungarns.

Laut dem Onlineportal Telex.hu war der Mann ohnehin schon aus der Haft entlassen worden und verbüsste im Hausarrest seine Reststrafe. Der Fall wurde erst vor anderthalb Wochen durch einen Medienbericht bekannt. Endre K. beteuerte in einem langen Facebook-Eintrag, er selbst habe das Begnadigungsgesuch gar nicht eingereicht.

Gesetz setzt Homosexualität mit Pädophilie gleich

Die Causa ist deshalb hochpolitisch, weil der Fidesz und Orban 2021 ein «Kinderschutzgesetz» durchgesetzt hatten, das «LGBTQ-Propaganda» im Umfeld von Kindern verbietet und Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt. Die rechtspopulistische Regierung inszeniert sich seit Jahren als Vertreterin wahrer Familienwerte und christlicher Kultur in Europa. Die Begnadigung eines Pädophilen war daher erkennbar ein Bruch mit den propagierten Prinzipien.

Das Präsidialbüro dementierte die Begnadigung zuerst, aber die Beschwichtigung nützte nichts. Die Folge: Proteste, Demonstrationen, Empörung. Die Opposition forderte ein Amtsenthebungsverfahren gegen Novak. Viktor Orban zog die Reissleine und kündigte an, er werde künftig verhindern, dass Verbrecher, die sich an Kindern vergangen hätten, begnadigt werden könnten. Orbans Fidesz hat im Parlament eine Zweidrittelmehrheit und kann Verfassungsänderungen im Alleingang beschliessen.

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Gegen Katalin Novak gingen Tausende Menschen auf die Strasse.

Ungarische Medien schrieben umgehend, Orban habe damit gleich zwei Frauen sinnbildlich die «Seidenschnur» gereicht, sie also aufgefordert, die Konsequenzen zu ziehen: Staatspräsidentin Novak, bis zu ihrer Kür zur Staatschefin durch Orban Familienministerin in der Fidesz-Regierung. Sie hatte das Begnadigungsgesuch unterzeichnet. Und der früheren Justizministerin Varga, die den Akt gegengezeichnet hatte. Sie war im Sommer 2023 von ihrem Posten im Justizressort zurückgetreten, weil Orban sie zur Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni dieses Jahres machte.

Beide Frauen galten als enge Vertraute des Ministerpräsidenten und als unbedingt loyal. Dieses Bild hatte in den vergangenen Monaten einige Brüche bekommen, weil sich die Staatspräsidentin hier und da nicht gemäss der Parteilinie äusserte; so zeigte sie Sympathien für die von Russland überfallene Ukraine, während der Fidesz eine Unterstützung Kiews ablehnt.

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Die Orban-Vertraute und Ex-Justizministerin Judit Varga ist ebenfalls zurückgetreten. Damit braucht die Fidesz-Partei eine neue Spitzenkandidatin für die Europawahl.

Der Rücktritt der Fidesz-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Judit Varga, löste weniger politische Erregung aus. Allerdings dürfte auch er ein akutes Problem für die Regierung darstellen, die mit Varga eine erfahrene Politikerin nach Brüssel schicken wollte. Varga äusserte sich nur in einer knappen Stellungnahme. Ihr Ex-Mann hingegen griff die Regierung in einer viel beachteten Stellungnahme scharf an. Orban verstecke sich hinter Frauenröcken.

Nach Telefonrundruf geopfert

Auch wenn Staatsmedien und hochrangige Fidesz-Politiker umgehend in den Angriffsmodus übergingen und die Opposition dafür kritisierten, dass diese sich jetzt als Kinderschützer aufspiele, aber vor drei Jahren gegen das Kinderschutzgesetz gestimmt habe, zieht der Skandal dennoch weitere Kreise. Laut Medienberichten hatte Orban in der Partei per Telefonrundruf ermitteln lassen, ob man Novak opfern müsse, was dann auch geschah.

Nach zahlreichen politischen Niederlagen in Brüssel, die das Image des Ministerpräsidenten auch in Budapest beschädigt haben, wollte er die Affäre schnell vom Tisch haben. Die Suche nach Nachfolgern für die Präsidentin und die EU-Spitzenkandidatin wird das Thema allerdings noch länger wachhalten. Und auch die Opposition wittert Morgenluft. Sie kann dem Fidesz den Verrat der eigenen Prinzipien in einer Sache vorwerfen, die auch in der Bevölkerung emotional diskutiert wird.

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