Schwangerschaftsabbruch: Die plötzliche Angst der Ampel vor der Abschaffung von Paragraph 218

schwangerschaftsabbruch: die plötzliche angst der ampel vor der abschaffung von paragraph 218

Schwangerschaftsabbruch Kommission

Eine von der Regierung eingesetzte Kommission empfiehlt, den Schwangerschaftsabbruch gesetzlich neu zu regeln. Das bedeutet allerdings nicht, dass es auch so kommt. Im Gegenteil.

Eigentlich werden die Ergebnisse der Regierungskommission zum Schwangerschaftsabbruch erst am Montag offiziell vorgestellt. Bekannt sind die Empfehlungen aber schon jetzt, der “Spiegel” berichtete darüber, auch dem stern liegen sie vor – und sie sind überraschend deutlich. Vielleicht sogar deutlicher, als sich das so manche bei SPD, Grünen und FDP im Vorfeld gedacht – und gewünscht – hätten.

Zwar haben SPD und Grüne vor der letzten Bundestagswahl gefordert, den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr im Strafgesetz zu regeln, den Paragraphen 218 also abzuschaffen. Im Koalitionsvertrag haben sie sich dann aber mit der FDP zunächst darauf geeinigt, eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches “prüfen” zu lassen.

Dafür hat die Ampel vor mehr als einem Jahr eine Kommission eingesetzt. Deren Arbeit ist nun beendet. Die Expertinnen – neun Wissenschaftlerinnen, überwiegend Juristinnen – sprechen sich für eine rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches aus. Einstimmig und eindeutig. Wenn es nach ihnen geht, führt daran kein Weg vorbei. Eigentlich. Aber wird sich die Ampel, die schon genug Konflikte zu regeln hat, diese Reform wirklich vornehmen?

Schwangerschaftsabbruch: Union droht mit Klage

Kaum ein anderes Thema birgt so großes gesellschaftliches Spaltpotenzial. In der Vergangenheit wurden die Debatten dazu teils unversöhnlich geführt. Kein Wunder, schließlich muss eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs immer abwägen zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und den Rechten einer Frau, die unter Umständen ungewollt schwanger wurde. Hinzu kommen religiöse Überzeugungen: Auch die Kirchen mischen in dieser Debatte offensiv mit.

Gegner einer Neuregelung sehen die momentane Gesetzgebung aus den 90er-Jahren deshalb als einen hart erkämpften gesellschaftlichen Kompromiss. Diesen anzufassen, würde unnötig einen Konflikt provozieren. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, droht – wenig überraschend – schon mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte sich die Koalition die Vorschläge der Arbeitsgruppe zu eigen machen.

Entsprechend unentschlossen klingen führende Vertreter der Ampelkoalition. Dabei scheint längst klar, worauf es hinausläuft.

Bericht empfiehlt Legalisierung für die ersten zwölf Wochen

So eine Kommission ist erst einmal praktisch – schließlich kann man immer wieder darauf verweisen, dass das Thema angegangen sei und man nun Ergebnisse abwarte. Gegen eine Prüfung kann erstmal niemand etwas haben. Schwierig wird es erst dann, wenn die Ergebnisse vorliegen. Denn der Regierung steht es frei, was sie daraus ableitet.

In dem Bericht empfehlen die neun Expertinnen ausdrücklich, den Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Bislang wird ein solcher Eingriff als Straftat gegen das ungeborene Leben begriffen und ist im Paragraph 218 des Strafgesetzbuches geregelt. Allerdings bleibt der Abbruch unter bestimmten Umständen straffrei: etwa, wenn das Leben der Schwangeren bedroht ist, oder wenn er innerhalb der sogenannten Beratungsregel stattfindet. Diese besagt, dass die Betroffene den Abbruch verlangt, sich beraten lassen und eine Wartezeit von drei Tagen eingehalten hat.

Es wäre auch möglich, Abbrüche selbst nach der 12. Woche noch zu erlauben, so die Einschätzung der Expertinnen. Das liege im Ermessen des Gesetzgebers. Nur in der Spätphase der Schwangerschaft, wenn der Fötus schon eigenständig lebensfähig ist, sollte der Abbruch weiterhin verboten sein, heißt es in dem Bericht.

Den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr grundsätzlich unter Strafe zu stellen, bedeutet allerdings nicht, dass es keine Regeln mehr dafür gibt. So können auch weiterhin etwa Pflichten zur Beratung festgelegt werden.

SPD: “Das gucken wir uns jetzt genau an”

Nachdem diese Ergebnisse vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt sind, gibt man sich in der Ampelkoalition zurückhaltend – offiziell mit der Begründung, dass man erst die eigentliche Vorstellung des Berichts am Montag abwarten wolle.

In der Kanzlerpartei SPD will Fraktionschef Rolf Mützenich die Ergebnisse der Experten nicht als Auftrag verstanden wissen: “Das gucken wir uns jetzt genau an”, sagte er vor der Fraktionssitzung am Dienstag zu den Ergebnissen. Die Kommission habe ihre Empfehlungen aus “verfassungs- und europarechtlichen Bedenken” hergeleitet. “Ich glaube, dass insbesondere die Koalitionspartner jetzt mit diesem Kommissionsbericht auch weiterhin ihre Argumente werden schärfen können.” Nicht auch die SPD?

Es scheint, als ließen die Genossen die argumentative Steilvorlage erstmal liegen, weil sie sich der Sprengkraft der Debatte durchaus bewusst sind. Diese sei schon in der Vergangenheit “hart” geführt worden, rief Fraktionsmanagerin Katja Mast am Mittwochmorgen in Erinnerung, “erstes Geplänkel” finde bereits statt. Also? Abwarten, lautet offenbar die Devise. Erstmal sortieren, nicht unnötig polarisieren. Mast mauert.

Auch bei den Grünen sieht es nicht viel anders aus. Obwohl es in der Partei einige gibt, denen die Streichung des Paragraphen 218 ein besonderes Anliegen ist, da dieser die betroffenen Frauen unnötig stigmatisiere und die Versorgungssituation verschlechtere. Viele Grüne sind – auch oder sogar vor allem – wegen der feministischen Klarheit in der Partei, nicht zuletzt Co-Parteichefin Ricarda Lang und Familienministerin Lisa Paus. Nun aber lassen auch die Grünen Vorsicht walten: Bevor man sich äußert, wolle man abwarten, wie genau die Expertinnen ihre Position begründen. Abgeordnete wollen selbst im Hintergrund nicht sprechen, Anfragen bleiben unbeantwortet. Das Thema ist offenbar zu heiß.

FDP will das Fass nicht aufmachen

Und bei den Liberalen? Öffentlich klingt die FDP nicht viel anders als die Koalitionspartner, man wolle die Ergebnisse der Kommission prüfen und diskutieren. Doch hinter den Kulissen bekommt man den Eindruck, dass es nicht mehr viel zu prüfen und zu diskutieren gibt. Die Strategie steht: Dieses Fass machen wir garantiert nicht auf. Da ist nichts zu holen, so der Tenor. Das provoziere nur neuen Kulturkampf – und den könne keiner wollen.

Es mag einige FDP-Abgeordnete geben, die das anders sehen, die für eine Streichung von Paragraph 218 plädieren. Von ihnen ist jedoch kein Vorpreschen zu erwarten. Das hängt mit einem Video zusammen, neun Sekunden kurz, veröffentlicht vor etwas mehr als zwei Jahren. Darin feierten fünf FDP-Politikerinnen und -Politiker die Abschaffung des Paragrafen 219a, des Werbeverbots für Abtreibungen. Sie tanzten mit Masken und Sonnenbrillen durch die Katakomben des Bundestags.

Die Reform des Werbeverbots steht im Koalitionsvertrag und war in der FDP unumstritten. Bei so einem sensiblen Thema allerdings ein Party-Video aufzunehmen, stieß nicht nur bei CDU und CSU auf Kritik. Selbst viele Liberale hielten das Manöver für komplett drüber. Der Gegenwind war groß. Die verantwortliche Abgeordnete nahm den Tanz aus dem Netz. Ohne Zweifel: Bei der ohnehin verunsicherten liberalen Kernwählerschaft ist die gesellschaftliche Modernisierung kein Gewinner-Thema. Auch in diesem Kontext darf man die Nicht-mit-uns-Haltung der FDP verstehen.

Die Ampel will in dieser Woche im Bundestag noch eine Reform des Namensrechts und das Selbstbestimmungsgesetz verabschieden. Zwei Meilensteine progressiver Gesellschaftspolitik, die doch das verbindende Element dieser Koalition sein sollte. Für beide Gesetzentwürfe ist der liberale Justizminister Marco Buschmann verantwortlich. Für beide gibt es eine breite Zustimmung in seiner Partei. Für eine Abschaffung des Paragraphen 218 ist die weit und breit nicht in Sicht.

Schon vor der offiziellen Veröffentlichung des Kommissionsberichts darf man also annehmen: Die FDP bewegt sich nicht. Also bewegt sich wahrscheinlich gar nichts.

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