Landgericht Berlin: Totschlag-Prozess gegen Charité-Arzt – Verteidiger wollen Forscher aus USA hören

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Blick auf das Bettenhaus der Charité in Berlin.

Der Prozess gegen einen Arzt der Berliner Charité geht in die Verlängerung. Eigentlich war geplant, dass am Freitag am Landgericht Berlin die Plädoyers gehalten werden und am kommenden Dienstag ein Urteil über den 56-jährigen Gunther S. gesprochen wird, der zwei schwerstkranke Patienten auf der Intensivstation zu Tode gespritzt haben soll.

Doch am Freitag stellten die Anwälte des Mediziners in dem Verfahren wegen Totschlags sechs neue Anträge. Es sei ein letztes Aufbäumen der Verteidigung, sagte Rechtsanwältin Ria Halbritter. Der Vorwurf einer vorsätzlichen Tat sei nicht aufrechtzuerhalten. Es sei fernliegend, dass Dr. S. durch die Gabe des Propofols den Tod habe herbeiführen wollen oder billigend in Kauf genommen habe. Die Abschirmung der sterbenden Patienten mit dem Sedierungsmittel sei medizinisch indiziert gewesen – um Schmerzen und Todesangst zu vermeiden.

Die Anwälte von Gunther S. wollen weitere Zeugen und Sachverständige hören. Zumindest zwei dieser Anträge wird die Kammer, so hat sie es am Freitag durchblicken lassen, wohl positiv bescheiden. Damit wird mit einem Ende des Strafverfahrens nicht vor Ende April gerechnet. Die Richter haben neben dem nächsten Dienstag zwei weitere Verhandlungstage für den 25. und 26. April terminiert.

So hatten die Anwälte des Angeklagten beantragt, Passagen aus der polizeilichen Vernehmung einer jungen Krankenschwester, der Hauptbelastungszeugin, zu verlesen. Die Aussage sei von Widersprüchen durchzogen, sodass die 28-Jährige nicht mehr glaubhaft sei, erklärte Halbritter. Die Erfahrungswelt der jungen, noch unerfahrenen Krankenschwester auf der Station sei von Gerüchten geprägt gewesen.

Die Frau hatte das Verfahren gegen Gunther S. ins Rollen gebracht. Im August 2022 war sie zu den Vertrauensanwälten der Charité gegangen und hatte ihre Beobachtungen geschildert, die sie auf der Intensivstation der Kardiologie gemacht haben will und die sie nicht guthieß. Sie erzählte von zwei 73 Jahre alten, schwerkranken Patienten, bei denen der Arzt eine Überdosis des Sedierungsmittels Propofol „aus der Hand“ gespritzt haben soll. Kurz darauf seien der Mann und die Frau tot gewesen.

Die Vertrauensanwälte erstatteten Strafanzeige gegen den Oberarzt Gunther S., der sofort von der Universitätsklinik freigestellt wurde. Im Mai vergangenen Jahres wurde der Mediziner verhaftet. Seit Mitte Oktober muss er sich wegen Totschlags in zwei Fällen vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich Mord angeklagt. Im Verfahren wurde klar, dass die Krankenschwester mit einem Arzt liiert war, der mit Gunther S. konkurriert haben soll.

In einem Telefonat, das der angeklagte Arzt drei Monate nach seiner Freistellung mit einem Freund geführt hatte und das von der Polizei abgehört wurde, sprach der Mediziner von einer Intrige. Und er vermute auch, wer ihm das eingebrockt habe.

Im Gespräch, das am Freitag abgespielt wurde, sagte er auch, er kenne die Vorwürfe, warum er freigestellt worden sei, noch immer nicht. Aber am empfindlichsten reagiere die Charité auf Tote. Er habe die meisten Sterbebegleitungen auf der Station gemacht. Deswegen aber habe er kein schlechtes Gewissen, sagte der Arzt.

Die Verteidiger beantragten zudem ein pharmakologisches Gutachten, das die Wirkung von Propofol und die Dosierung einschätzen soll. Es sei kein Sachverständiger auf die Schnelle zur Hand, erklärte Gregor Herb, der Vorsitzende Richter, nach einer Pause. Es spreche aber einiges für diese Expertise.

Unklar ist, was mit den anderen Anträgen geschieht. Unter anderem wollen die Verteidiger von Gunther S. die audiovisuelle Vernehmung eines Wissenschaftlers aus Michigan. Mehrere US-amerikanische Forscher hatten 2023 in einer wissenschaftlichen Abhandlung darüber berichtet, dass das Gehirn eines sterbenden Menschen Sekunden nach dem Abstellen des Beatmungsgeräts aktiviert werden und sogar gesteigerte Wahrnehmungen machen könne.

Die Forscher gehen demnach wohl davon aus, dass das Gehirn kurz vor dem Todeseintritt in einen Alarmzustand versetzt werde. Es sei nicht auszuschließen, dass der Mensch Angst und Schmerz empfinde.

Im Prozess hat Gunther S. die Vorwürfe bestritten. Den einzigen Vorwurf, den er sich machen könne, sei, dass er die Gabe von Propofol nicht dokumentiert habe.

Das Verfahren gegen eine zunächst mitangeklagte Krankenschwester war im Februar unter Auflagen eingestellt worden. Sie musste innerhalb eines halben Jahres 1500 Euro an die Witwe des verstorbenen Patienten zahlen.

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