In vielerlei Hinsicht ist Taiwan eines der erfolgreichsten Länder auf dem Globus. Eigentlich sollte sich China die Insel zum Vorbild nehmen. Stattdessen droht Peking mit “Wiedervereinigung”. Die Spannungen nehmen zu.
Taiwan: Unsere Freiheit wird auch in Taiwan verteidigt
Taiwan sei der gefährlichste Ort der Welt, titelte die britische Zeitschrift “Economist” vor einiger Zeit. Das war einerseits maßlos übertrieben, weil das Leben der Einwohner Syriens oder des Sudans ungleich gefährlicher ist, und zwar tagtäglich. Andererseits ist die Zuschreibung durchaus angemessen: Die Drohung einer Invasion durch China, das Taiwan als Teil seines Staatsgebiets beansprucht, steht im Raum. Auch eine Seeblockade ist denkbar. Militärische Provokationen im taiwanesischen Luftraum sind seit Jahren an der Tagesordnung.
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Sollte die Lage eskalieren, könnte tatsächlich so etwas wie der Dritte Weltkrieg beginnen: eine weltweite militärische Auseinandersetzung, die von der Ukraine und der Nato-Ostgrenze über den Nahen Osten bis nach Ostasien reicht. Auf der einen Seite stünden die USA und ihre jeweiligen Verbündeten, auf der anderen Seite China, Russland, Iran und andere expansive Autokratien.
Es ist ein Szenario, das in gewisser Weise an den Dreißigjährigen Krieg erinnert. Auch damals, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, fanden diverse Konflikte gleichzeitig statt. Sie waren ineinander verwoben, aber sie stellten keinen einzigen erklärten großen Krieg dar, bei dem sich zwei Gruppen von Verbündeten auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden hätten. Das Geschehen war diffuser, vielschichtiger. Doch schon die Zeitgenossen beschrieben es als eine einzige zusammenhängende Auseinandersetzung, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges schreibt.
Taiwan ist einer der Knotenpunkte der heutigen globalen Kette von Konflikten. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an diesem Wochenende haben Einfluss darauf, wie sich das Geschehen weiterentwickelt. Und das liegt vor allem am weiteren Kurs der Führung in Peking, die Lai Ching-te, auch bekannt als William Lai, den siegreichen Kandidaten der Fortschrittspartei, als eine Art Staatsfeind behandelt.
Es ist nicht so, dass in Taiwan ein polarisierter Wahlkampf zwischen Scharfmachern und Beschwichtigern stattgefunden hätte. Zwischen den Kandidaten und Parteien gibt es allenfalls graduelle Unterschiede, was den Umgang mit China angeht. Es geht eher um Nuancen: selbstbewusste oder vorsichtig demonstrierte Eigenständigkeit, mehr oder weniger Dialogbereitschaft, mehr oder weniger entschlossene Abwehrbereitschaft. Was nichts daran ändert, dass die Führung in Peking mit lautstarken Einschüchterungsversuchen und unterschwelliger Einflussnahme versucht hat, den Wahlausgang zu beeinflussen. US-Präsident Joe Biden wiederum hat der Regierung in Taipeh Unterstützung zugesichert, notfalls auch militärische. Unmittelbar nach der Wahl soll eine hochrangige US-Delegation nach Taiwan reisen. Die kommenden Tage und Wochen dürften von massiven Spannungen rund um die Insel geprägt sein.
“China wird mit Sicherheit wiedervereinigt”
Chinas Staatschef Xi Jinping scheint jedenfalls bereit zu sein, es auf eine Zuspitzung ankommen zu lassen. In seiner Neujahrsansprache hat er düster verkündet, ein Anschluss der Insel an die Volksrepublik sei unabdingbar – als wesentlicher Teil der von ihm ausgerufenen “Erneuerung” der chinesischen Nation und ihres internationalen Führungsanspruchs. China werde “mit Sicherheit wiedervereinigt”.
Was das konkret bedeutet, darüber könnte der Auftritt von Xis Regierungschef Li Qiang am Dienstag beim World Economic Forum (WEF) in Davos einigen Aufschluss geben. Li wird als erster prominenter Redner der Tagung eine Soloperformance abliefern. Erst danach spricht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Wäre es dem WEF mit seinem diesjährigen Slogan “Rebuilding Trust” wirklich ernst, wäre zumindest die Reihenfolge umgekehrt. Eigentlich müssten auch taiwanesische Regierungsvertreter in Davos aufs Podium, so wie der bedrängte ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich in einer “special address” ans hochrangige internationale Publikum wenden wird. Zwar benennt das WEF in seinem aktuellen globalen Risikoreport Taiwan als “high-stakes hotspot”, doch im Programm schlägt sich das nicht mit der gebotenen Dringlichkeit nieder.
Pekings real existierende Antithese
Dabei besteht kein Zweifel, dass Taiwan der nächste Schauplatz in der epochalen Auseinandersetzung zwischen liberalen Demokratien und unfreien Autokratien ist. Die Zukunft der “Republik China”, wie die Insel offiziell heißt, ist deshalb bedeutend für die weitere Entwicklung auf dem Globus – gerade weil es in vielerlei Hinsicht ein Musterland der Demokratie und Marktwirtschaft ist, eine Bastion von Freiheit und Wohlstand in einer Weltregion, die ansonsten nicht gerade reich ist an erfolgreichen Experimenten in Sachen Liberalität.
Gestartet als Militärdiktatur unter Chiang Kai-shek, der sich nach dem Sieg der Kommunisten unter Führung Mao Zedongs im chinesischen Bürgerkrieg Ende der 1940er-Jahre mit seinen Anhängern auf die vorgelagerte Insel geflüchtet hatte, entspann sich eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Aus äußerst bescheidenen Anfängen hat sich Taiwan zu einem der wohlhabendsten und freisten Länder der Welt entwickelt.
Seit den Neunzigerjahren hat die 23-Millionen-Einwohner-Insel eine lebhafte Demokratie ausgebildet, mit verlässlichen Institutionen, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Im Ranking des US-Thinktanks Freedom House erhält Taiwan 94 von 100 möglichen Punkten, gleichauf mit Deutschland.
Wenn Maos später Nachfolger Xi den Menschenrechten ihre universale Gültigkeit abspricht und, wie diverse Machthaber vor und neben ihm, behauptet, asiatische Werte seien inkompatibel mit Individualität und bürgerlichen Mitwirkungs- und Freiheitsrechten, blendet er die gesellschaftliche Realität des heutigen Taiwans geflissentlich aus. Die Insel ist die real existierende Antithese vor den Küsten der rigiden Volksrepublik.
Wohlstand, Wachstum, Wissen
Taiwan ist eine Art Schweiz mit fernöstlichen Charakteristika: eine reiche, offene Volkswirtschaft, getragen von einem hochproduktiven Technologie-intensiven Kern, der beständig hohe außenwirtschaftliche Überschüsse einfährt. Die Verschuldung ist gering, der Staatshaushalt ausgeglichen. Ein gigantisches Polster von Devisenreserven, eines der größten weltweit, sorgt dafür, dass sich das Land vor spekulativen Attacken auf seine Währung sicher fühlen kann.
Taiwans Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt kaufkraftbereinigt bei 76.000 US-Dollar, kalkuliert der Internationale Währungsfonds. Ein Wohlstandsniveau vergleichbar mit Dänemark – deutlich über den meisten EU-Ländern, inklusive Deutschland. Die Staatsschulden betragen gerade mal 23 Prozent des BIP, der außenwirtschaftliche Überschuss stolze 12 Prozent. Die Wirtschaft wächst aktuell mit 3 Prozent jährlich – das schafft kaum eine andere hoch entwickelte Volkswirtschaft, obwohl auch in Taiwan die demografische Wende die Bevölkerung schrumpfen lässt und die wirtschaftliche Dynamik bremst. Die Inflationsrate liegt bei 1,8 Prozent. Beneidenswerte Zahlen.
In der aktuellen Pisa-Studie der OECD landet Taiwan auf einem Spitzenplatz. Ob Mathe, Naturwissenschaften oder Leseverständnis – während andere Länder, darunter Deutschland, miserable Ergebnisse einfahren, zeigen die Schüler auf der Insel bemerkenswerte Leistungen, auch in Corona-Zeiten.
Konzerne von globaler Bedeutung wie der weltgrößte Chipauftragsfertiger TSMC, der Apple-Zulieferer Foxconn oder die Computerspezialisten Asus und Acer investieren rund um den Globus; produziert wird zunehmend anderswo, geführt von taiwanesischen Konzernzentralen, angetrieben von Forschungs- und Entwicklungszentren auf der Insel.
Ohne Taiwans Tech-Konzerne wäre Chinas Aufstieg zur dominierenden Industrienation kaum möglich gewesen. Einer Schätzung der britischen Regierung zufolge produzieren taiwanesische Tochterfirmen 70 Prozent des Elektronikoutputs auf dem Festland. Dass Peking diese für beide Seiten gedeihliche Zusammenarbeit aufs Spiel zu setzen bereit ist, offenbart die ideologisch-nationalistische Schlagseite der Führung.
Was auf dem Spiel steht
Sollte Taiwan letztlich doch an China fallen, hätte das globale Auswirkungen. Im Ringen zwischen Freiheit und Autoritarismus würde ein heller Dominostein fallen – mit kaum zu überschätzender internationaler Signalwirkung.
Unmittelbar stünde die Versorgung mit Hochleistungshalbleitern, dem Grundstoff der digitalen Transformation, auf dem Spiel. Ein akuter Chipmangel könnte die produktivsten Teile der Weltwirtschaft zum Stillstand zwingen – ein Szenario mit erheblichem Rückschlagpotenzial, wobei auch Chinas exportfixiertem Wirtschaftsmodell selbst erheblicher Schaden zugefügt würde. Dass unter Führung Pekings kommunistischer Partei die Unternehmer in Taiwan weiterhin mit Elan zu Werke gehen, ist jedenfalls illusorisch. Gängelung und Willkür, in China längst auch in der Wirtschaft gang und gäbe, sind nicht dazu angetan, Innovation und Investition am Laufen zu halten.
Würden sich Xi Jinping und Genossen ernsthaft um das Wohlergehen ihrer eigenen Bevölkerung sorgen, müssten sie sich an Taiwan ein Beispiel nehmen. Wirtschaftlich scheint die Volksrepublik ihre besten Zeiten hinter sich zu haben (achten Sie Dienstag auf neue Zahlen aus Peking; siehe dazu auch meine Kolumne im aktuellen manager magazin). Um das Wirtschaftswunder fortzusetzen, müsste der Sprung von der Industrie- zur Wissensgesellschaft gelingen. Dafür braucht es nach aller Erfahrung Gedanken-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Ohne Demokratie, freie Medien und akademische Selbstverwaltung lässt sich kein innovatives Klima kreieren.
Taiwan hat vorgeführt, wie der Übergang gelingen kann. Man kann sich von diesen Erfahrungen inspirieren lassen – oder sich bedroht fühlen. Letzteres jedoch ist ein eindeutiges Zeichen von Schwäche.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche
Montag
Davos – Vertrauensbilder – Beginn Jahrestagung des World Economic Forum (bis Freitag).
Unter dem Motto “Rebuilding Trust” treffen sich allerlei Topmanager, Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten in den Schweizer Bergen.
Wiesbaden – Bilanz eines schwierigen Jahres – Das Statistische Bundesamt gibt eine Schätzung zum Bruttoinlandsprodukt und zum Finanzierungssaldo des Staates im Jahr 2023 bekannt. Amtschefin Brand erklärt die Zahlen in einer Pressekonferenz.
Berlin – Die nächste Trecker-Demo – Geplanter Abschluss der Aktionswoche der Landwirte gegen die geplante Streichung von Steuervergünstigungen.
Des Moines – Triumph für Trump? – Erste Abstimmung bei den Vorwahlen um die US-Präsidentschaftskandidatur der republikanischen Partei im Bundesstaat Iowa. Nach Umfragen führt der vielfach angeklagte Expräsident mit großem Abstand vor seinen Mitbewerbern.
Dienstag
Wiesbaden – Teures Leben – Das Statistische Bundesamt legt Zahlen zur Inflationsrate im Dezember und im Gesamtjahr 2023 vor.
Davos/Peking – Herr Li berichtet – Fortsetzung des World Economic Forum. Chinas Regierungschef Li Qiang hält eine Rede. Und: Pekings amtliche Statistiker veröffentlichen Zahlen zur Entwicklung des Wirtschaftswachstums im Gesamtjahr 2023.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von DocMorris, Morgan Stanley, Goldman Sachs.
Mittwoch
Luxemburg – Datum für Lagarde – Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht Zahlen zur Inflation in der Eurozone und der übrigen EU.
Berichtssaison II – Geschäftszahlen von U.S. Bancorp, Alcoa.
Donnerstag
Berichtssaison III – Geschäftszahlen von Birkenstock, Richemont.
Freitag
Berlin – Essen und Ackern – Start der Internationalen Grünen Woche (bis 28. Januar), mit Landwirtschaftsminister Özdemir.
Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von Burberry, Deliveroo, State Street.
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