Gegen unbehandelbare Infektionen: Neue Methode verspricht bessere Antibiotika

Jedes Jahr sterben Millionen Menschen an Infektionen mit Bakterien, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. Jetzt haben Forschende einen Weg zu neuen, wirksamen Substanzen gefunden.

gegen unbehandelbare infektionen: neue methode verspricht bessere antibiotika

Multiresistente Bakterien, gelb eingefärbt, sind ein wachsendes Problem: Über zwei Millionen Menschen starben weltweit allein 2019 an Infektionen mit resistenten Erregern.

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Sobald ein Antibiotikum Bakterien wirksam an der Vermehrung hindert, überleben nur noch jene, die zufällig Gene tragen, die das Antibiotikum unschädlich machen können. Diese Mutanten-Bakterien vermehren sich und irgendwann gibt es nur noch resistente Mikroben, gegen die Ärzte machtlos sind. Doch nun meint ein Forschungsteam der Harvard University eine Methode zur Antibiotikaentwicklung entdeckt zu haben, mit der sich das Wettrennen mit der Evolution gewinnen lässt.

Als 1941 zum ersten Mal das Antibiotikum Penicillin gegen Infektionen mit krankmachenden Bakterien eingesetzt wurde, war das ein Meilenstein in der Medizingeschichte. Inzwischen sind Penicillin und viele andere Antibiotika vielerorts zum stumpfen Schwert geworden.

Die Zahl der Bakterienstämme, die gegen einzelne, mehrere oder gar alle verfügbaren Antibiotika resistent sind, steigt stetig – mit tödlichen Folgen: Allein 2019 starben weltweit 1,27 Millionen Menschen an bakteriellen, aufgrund solcher Resistenzen nicht mehr behandelbaren Infektionen. Nun hat das Forschungsteam um Andrew Myers von der Harvard University in Cambridge ein neues Antibiotikum künstlich hergestellt: Cresomycin. Die Fachzeitschrift „Science“ präsentiert diese Neu-Synthese jedoch nicht allein wegen dieses einen Wirkstoffs.

Resistent gegen Resistenzen

Es ist vielmehr die Methode, mit der die Substanz entwickelt wurde, die diese Aufmerksamkeit verdient. „Sie zeigt einen Weg zu Antibiotika auf, die auch mit multiresistenten Keimen fertigwerden, sagt Mark Brönstrup, Chemiker am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Er war an der Harvard-Studie nicht beteiligt.

Ein gutes Vorzeichen für die zukünftige Entdeckung von antibakteriellen Wirkstoffen.

Andrew Myers, Harvard University, Cambridge, USA

Viele klassische Antibiotika, etwa Lincomycin, blockieren die Produktion von Proteinen, indem sie die Ribosomen, die Proteinfabriken in den Bakterien außer Gefecht setzen. Das ist auch deshalb praktisch, weil sich die Ribosomen von Bakterien von jenen in Menschen, Tieren und Pflanzen grundlegend unterscheiden, sodass keine Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Doch bislang haben Bakterien immer Wege gefunden, die Struktur ihrer Ribosomen so zu verändern, dass Lincomycin oder andere Antibiotika nicht mehr „passen“. Zwar können Antibiotika wiederum verändert und auf solche Formveränderungen der Ribosomen angepasst werden, so etwa Clindamycin. „Allerdings stoßen die herkömmlichen chemischen Veränderungen dieser Substanzen an natürliche Grenzen und können die entstandenen Resistenzen nur schwer überwinden“, sagt Mark Brönstrup.

Andrew Myers und seine Gruppe untersuchten daher zunächst jene Stellen am Ribosom, an die sich die Antibiotika-Moleküle anheften. Dann berechneten sie am Computer ein Molekül, das möglichst gut in diese Bindungsstelle passt und stellten es dann voll-synthetisch her. „Das war durchaus eine große Hürde, weil man solche vollständig synthetischen Verfahren lange Zeit für viel zu komplex gehalten hat, um sie zu verwirklichen“, sagt Brönstrup. Das ist aber wichtig, weil halbsynthetische Verfahren wie die biotechnische Produktion von Arzneistoffen meist aufwändiger und teurer und für Antibiotika, die möglichst günstig sein müssen, daher eher nicht geeignet sind.

Steife Antibiotika wirken besser

Über die gute Passform hinaus ist das Cresomycin-Molekül aber auch ungewöhnlich steif. Normalerweise sind Antibiotika relativ beweglich, schmiegen sich erst am Ribosom in die Bindungsmulde ein. Diese Flexibilität des Moleküls bedeutet aber auch, dass es sich leichter wieder löst. Tatsächlich werden viele Mikroben resistent, weil die Form der Bindungsmulde im Ribosom durch zufällige Mutationen verändert wird, sodass sich Antibiotika-Moleküle nicht oder kaum halten können.

Das steife Cresomycin hingeben bleibt, einmal gebunden, vor Ort. Das Ribosom bleibt blockiert. „Diese Versteifungsstrategie ist sehr interessant und könnte auch für andere Wirkstoffe verwendet werden“, sagt Brönstrup. Und das Konzept könnte für die Bekämpfung vieler krankheitserregender Bakterien relevant sein.

Cresomycin etwa hemmt nicht nur verschiedene Bakterientypen, sondern vor allem multiresistente Stämme von Staphylococcus aureus (bekannt als „MRSA“), Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa. Das ergaben zumindest Versuche mit Zellkulturen und mit infizierten Mäusen. Klinische Tests an Patienten stehen noch aus. Dennoch ist Myers’ Team optimistisch: „Wir denken, dass unsere Ergebnisse ein gutes Vorzeichen für die zukünftige Entdeckung von antibakteriellen Wirkstoffen sind, die auf breiter Basis gegen Antibiotikaresistenzen wirksam sind.“ (mit skb)

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