Der Stadtmusikant: Bruckner in Linz

der stadtmusikant: bruckner in linz

Gab es in der Mitte des Jahrhunderts gar keine Auswirkungen der aktuellen „großen“ Geschichte auf Bruckners Biografie? Haben nicht die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen Auswirkungen auf jedes Leben? Wir kennen keine politischen Äußerungen von Bruckner, weder in Briefen noch in Notizen, weder über die Revolution von 1848 noch über den Traum einer großdeutschen Nation. Politisch gab es zwischen dem Vormärz und 1870 viele Brüche und viele Kontinuitäten, aber auch kulturell und in den Formen der Geselligkeit. Der Adel und das Bürgertum hielten an den biedermeierlichen Gewohnheiten mit dem schöpferischen Dilettantismus auf allen Gebieten der Kunst und der gehobenen Geselligkeit fest. Man war fasziniert von Hausmusik, Gast- und Vergnügungsstätten, schöngeistigen Zirkeln, das Theater und die großen Konzertaufführungen waren Inbegriff bürgerlicher Kultur. Groß war die Anziehungskraft des Tanzes, die sich bis zur wahren Hysterie steigern konnte.

Bruckner kam um 1850 nur mehr selten nach Linz, vor allem um sich als Hauptschullehrer zu qualifizieren. Doch sooft er konnte, wollte er, um am Laufenden zu bleiben, in das Musikleben der Stadt hineinschnuppern. So wurde kurz vor Weihnachten 1847 Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Paulus“ zum ersten Mal in Linz aufgeführt, da war er sicher dabei. Ein Männergesangsverein, der sich „Liedertafel Frohsinn“ nannte, war unentbehrlich bei Wohltätigkeitskonzerten, „häuslichen Unterhaltungen“, Ständchen, Damen- und Serenadenabenden, Bällen und Ausflügen. Bruckner trat hier gelegentlich ans Dirigentenpult, begleitete auf dem Klavier und sang als 2. Tenor. Viele Uraufführungen seiner frühen Werke sind mit diesem Chor verbunden.

Überall Blasmusikkapellen

Bei Weitem fehlt der Platz, um all die Blasmusikkapellen von Linz aufzuzählen, die für Bruckners kompositorische Aktivitäten während der Linzer Jahre Bedeutung erlangten. Die Platzkonzerte der „Regimentsmusik von Fürst Schwarzenberg“ bis hin zur „Banda“ des Regiments Erzherzog Ferdinand von Este ging das, man hörte sie bei den abendlichen Zapfenstreichen ebenso wie bei Kirchenfesten. Beliebt waren die Auftritte im Volksgarten. Wo blieb das freisinnige Denken? Gewisse Regionen in Oberösterreich waren einst von der Reformation breiter und tiefer erfasst worden als andere Bereiche in den österreichischen Kernlanden, etwa das Salzkammergut und Teile des Alpenvorlandes bis Wels und Eferding. Das heißt nach der Analyse von Reinhard Kannonier: Die Durchsetzung der Gegenreformation erfolgte wegen des stärkeren Widerstandes hier militanter und dogmatischer als in anderen Regionen der Monarchie. Und hier war dann auch der Liberalismus stärker.

Aber sehr störten die Vertreter der Freisinnigkeit, die Liberalen, den Frieden im Land nicht. Ein wenig Radau gab es 1848, doch das beruhigte sich rasch, hier war Oberösterreich ein Nebenschauplatz. Natürlich gab es auch hier ein paar Straßenkrawalle, die Pressefreiheit ließ Pam­phlete und Tagesblätter emporschießen, unliebsame Politiker wurden in Karikaturen verspottet und ein paar Jesuiten vertrieben. Ansonsten hielten sich die revolutionären Unmutsäußerungen im Rahmen.

Das liberale Bürgertum und die dünne Intelligenzschicht lehnten alles Revolutionäre ab, die Bauern am Land sowieso. Sie waren nun vom grundherrschaftlichen Druck befreit und nicht an noch mehr Radikalisierung interessiert. Typisch die Äußerung von Adalbert Stifter, er war damals auch politischer Journalist: Er sprach von seiner Abscheu vor der 48er-Revolution, von der „furchtbaren Zeit“: „Das Ideal der Freiheit ist auf lange Zeit vernichtet, wer sittlich frei ist, kann es staatlich sein, ja ist es immer.“

Dennoch gilt: Es war danach nicht mehr so wie vorher. Das Vereinsleben wurde reger. 1850 erhielt man ob der Enns eine Landesverfassung, Salzburg wurde nach vielen Jahrzehnten der Zugehörigkeit ein eigenes Kronland, Linz hatte nun eine eigene Gemeindeordnung, was bedeutete: Die Bürger wählten frei einen Bürgermeister. 1861 zogen die gewählten Vertreter des Liberalismus in den Landtag und ins Linzer Rathaus. Es war der Startschuss für den Aufbau der Demokratie im Land. Doch die politischen Vereine (Parteien gab es zunächst noch nicht) wurden scharf beobachtet.

Die Industrialisierung war unübersehbar, auch wenn Oberösterreich ein agrarisch geprägtes Land blieb. Wie schleppend der ökonomische Fortschritt in dem Land verlief, zeigen einige Indikatoren: Der Anteil der in der industriellen Produktion beschäftigten Menschen betrug nur 7  % der Gesamtbevölkerung. Es gab in Oberösterreich nur sieben Orte mit über 5000 Einwohnern. Dazu gehörten Linz mit 27.000 Einwohnern, Steyr, Ischl, Wels, Gmunden, Sierning und Urfahr. Im Bezirk Linz-Land, wo Ansfelden, Kronstorf und St. Florian liegen – Ansfelden hatte damals etwa 400 Einwohner, Kronstorf 100 und St. Florian 3300 –, waren über 80  % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig.

Linz öffnet sich

Ganz dem Trend der Zeit entsprechend wurden die alten Befestigungsmauern von Linz zurückgebaut, Türme und Tore verschwanden. Die Stadt öffnete sich. Man kam am besten auf dem Wasserweg hierher, das Dampfschiff von Wien legte unterhalb der hölzernen Donaubrücke ab. Überhaupt war Linz am Schnittpunkt der Verkehrswege von West nach Ost und von Nord nach Süd. Musste Elisabeth, die junge Braut von Kaiser Franz Joseph, 1854 noch auf der Donau nach Wien reisen, war nur wenige Jahre später eine nach ihr benannte Eisenbahnlinie zur Verfügung, die Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, die 1858 von Wien kommend Linz erreichte und zwei Jahre später bis Salzburg verlängert wurde. Der Anschluss an das europäische Verkehrsnetz wurde dadurch erreicht.

So dicht wurde das Schienennetz in Linz, dass es die Ausbreitung der Stadt beinahe behinderte. Dennoch konnte sich die Fläche der Stadt verdreifachen, von rund 6 km² auf fast 20, die Zahl der Einwohner stieg bis 1880 um das Doppelte, auf rund 56.000. Die wollten alle unterhalten werden, mit Turnvereinen, Theatern, Kunstvereinen und Musikhäusern. Die Biedermeierzeit ging vorbei, und damit auch der barocke Gesamtcharakter der Stadt, der sich so lang gehalten hatte. Bischof Franz Josef Rudigier plante die Errichtung eines mächtigen Marien-Doms zur Erinnerung an das 1854 verkündete Dogma der unbefleckten Empfängnis. Adalbert Stifter zog 1848 nach Linz. Ein Imagegewinn für die Stadt, der vielseitige Dichter, Maler, Pädagoge und Kunstkritiker versammelte einen Freundeskreis um sich, der der Stadt große Ehre machte. Sie wurde eine Stadt der Musen mit einem blühenden Theaterleben. „Öfter, als man von einer Provinzbühne fordern konnte“, so Adalbert Stifter, wurden hier „großartige Werke vorgeführt und meistens sehr gut“.

Ein richtiger Linzer wurde Bruckner erst, als die Dom- und Stadtpfarrorganistenstelle frei wurde. Nun ließ er das stille St. Florian, das ihm ja doch keine Zukunft bot, hinter sich. Erstmals gewann er so etwas wie Anerkennung und eine gesellschaftliche Position. Am 8. Dezember 1855 spielte er zum ersten Mal beim Hochamt im Alten Dom, anschließend bezog er seine Dienstwohnung im zweiten Stock des Mesnerhauses am Pfarrplatz, nicht weit von dem Haus entfernt, in dem 1784 Marianne von Willemer, Goethes „Suleika“, als Anna Katharina Pirngruber geboren worden war. Definitiv erhielt er die Organistenstelle im April 1856. Kurz zuvor war bereits eine erste lobende Kritik seines Orgelspiels im „Linzer Abendboten“ erschienen.

Organist, Chorleiter, Privatlehrer

Er ging ganz in seinem neuen Beruf auf, der ihm alles abverlangte, zumal er neben dem Dom auch die Stadtpfarrkirche betreute. Das heißt, er spielte bei Segenmessen, Hochämtern, Begräbnissen, Hochzeiten, probte mit dem Kirchenchor usw. Zudem kümmerte sich um die Instandsetzung der Orgeln, die in der Stadtpfarrkirche war völlig verwahrlost. Mit ihr konnte er nicht das Lob des Herrn verkünden. In bürgerlichen Kreisen war er ein begehrter Klavierlehrer für den Nachwuchs, ein guter Nebenverdienst. Zu seinen Schülern gehörte auch der später berühmte Physiker Ludwig Boltzmann. Trotzdem blieb noch Zeit für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Linz, wo er als guter Tänzer auffiel. Auch die „Gesellschaft der Musikfreunde“ interessierte ihn, weniger die Theater. Hat er die Mahnungen aus seiner Lehrerbildungsanstalt, dies seien Stätten der Unmoral, noch im Kopf? Bei einem Faschingsfest trug er eine Maske als „Napoleon III.“, zunehmend dachte er auch ans Heiraten.

Als Anton Bruckner Ende 1855 nach Linz übersiedelte, arbeitete Adalbert Stifter gerade am „Nachsommer“. Angesichts des anbrechenden Industriezeitalters mit all seinen gesellschaftlichen und kulturellen Folgen sollte die Menschenbildung ins Zentrum gerückt werden. Ein großer Bildungsroman mit idealen Zielsetzungen, eine Utopie, wenn man die gesellschaftliche Realität der Zeit betrachtet. Helga Ebner schreibt: „Mit Stifters Tod ist in Linz die spätbiedermeierliche Zeit zu Ende, die hier einer elitären vom Geist des Idealismus getragenen Literatur noch einen Schonraum bieten konnte.“

Bruckners Interesse für Literatur war gering, er hatte ein großes Arbeitspensum als Organist und zeitweilig auch als Chorleiter der „Liedertafel Frohsinn“, also beteiligte er sich nicht am literarischen Leben der Stadt. Einer Anekdote zufolge soll er einen seiner Schüler missbilligend gefragt haben „. . . wolln S’ denn a Dichter wern?“, als dieser mit ihm das Wiener Burgtheater besichtigen wollte. Freilich brauchte er für seine weltlichen Chorwerke, an denen er sein Leben lang festhielt, Texte. Die dafür verwendeten Gelegenheitsdichtungen für weltliche Lieder und Chöre mussten musikalisch umsetzbar sein. Die Themen der Lieder waren zeittypisch, Liebe, Natur, Vaterland und das gemeinsame Trinken.

Bruckner bediente hier die Erwartungen und Ansprüche des damaligen Bürgertums, das in den Männerchören (ebenso wie in Turnvereinen und Studentenverbindungen) neue Gemeinschaftsidentitäten fand. Sie wurden von der Obrigkeit als potenziell gefährliche freie Vereinigungen von Männern in der Öffentlichkeit kritisch beäugt. Nicht jedes Chormitglied war imstande, den hohen künstlerischen Erwartungen eines Chorleiters, wie es Bruckner war, zu entsprechen. Der zeigte sich enttäuscht darüber.

Die Zeitgebundenheit der Liedtexte schmälert ihre Attraktivität heute, sie sind nicht geeignet, um vor der Literaturkritik zu bestehen. Sie entsprachen der literarischen Mode (historische Stoffe) mit deutschnationaler Färbung, waren pragmatisch, im Dienst von Lebensregeln, Patriotismus, der Dilettantismus blühte. Literarästhetische oder philosophische Überlegungen spielten keine Rolle, wichtig waren volksbildnerische Intentionen, sie stammten zum Teil von Priestern. Was die Textauswahl betrifft, spiegelt Bruckner also durchaus die Situation des literarischen Lebens zwischen 1855 und 1868 wider, ebenso wie die Erwartungshaltung des Publikums. Vom kauzigen Hinterwäldlertum eines „Sonderlings“, so das viel strapazierte Klischee, konnte also keine Rede sein, er war Teil der bürgerlichen Geselligkeit von Linz.

Immer hitziger wurde der Konflikt zwischen der liberalen Politik und der katholischen Kirche ausgetragen. Die Kirche geriet völlig ins restaurative Fahrwasser, weil sie die Chance sah, nun endgültig die Ideen der Aufklärung und die Relikte des josephinischen Staatskirchenwesens auszuhebeln. Heftig umstritten war das Konkordat von 1855 zwischen dem Vatikan und Österreich, die Liberalen liefen vom ersten Tag an dagegen Sturm, wollten es aushöhlen. Die Fehde mit der Kirche eskalierte. Die katholische Bevölkerung Oberösterreichs trat zunehmend mutiger gegen den Liberalismus auf. Franz Joseph Rudigier war von 1853 bis 1884 Bischof von Linz. Er sollte im Kirchenkampf, aber auch in Bruckners Biografie eine wichtige Rolle spielen. Im Spätherbst 1855 bestellte er Bruckner, dessen Orgelspiel er überaus schätzte, zum Domorganisten.

Rudigier war wegen seiner bescheidenen Lebensführung rasch ein Liebling der Bevölkerung geworden, ein Volksbischof. Er förderte katholische Presse, Vereine, Schulen und Orden und war auch ein „politischer Bischof“, gehörte er doch von Amts wegen dem Landtag an. 1868 schrieb er einen scharfen Hirtenbrief gegen die Aushöhlung des Konkordats. Als Folge davon wurde er wegen „Verbrechens der Störung der öffentlichen Ordnung“ zu zwei Wochen Kerker verurteilt, jedoch vom Kaiser begnadigt. Als er 1884 starb, eilte Bruckner nach Linz, um seinem Bischof beim Requiem auf der Orgel den letzten Gruß zu entrichten. Ein Seligsprechungsverfahren ist seit 1895 am Laufen.

Sprung zum Berufsmusiker

In Linz schaffte Bruckner den Sprung zum Berufsmusiker. Als Komponist war er Autodidakt und suchte nach einem guten Lehrer. Bereits gegen Ende seiner Zeit in St. Florian hatte er Kontakt aufgenommen mit dem Wiener Hoforganisten, Professor für Komposition am Konservatorium der Musikfreunde und damals besten Musiktheoretiker, Simon Sechter, der Bruckners Talent sofort erkannte. Der Unterricht dauerte von 1855 bis 1861, war teils brieflich, teils persönlich. In der „orgellosen“ Fastenzeit und im Sommer konnte Bruckner seinen Dienstort Linz verlassen und in Wien bei Sechter Unterricht nehmen. Großteils war es aber das, was im 20. Jahrhundert als Fernunterricht weitere Verbreitung fand, ein Mittelding zwischen Selbststudium und der herkömmlichen Art des persönlichen Arbeitens mit einem Lehrer. Bei Bruckner war es durch die Lebensumstände erzwungen. Er ging also auch da seinen eigenen Weg.

Es war klar, dass das große körperliche und geistige Anstrengungen kostete, der Wunsch, ein gründliches Theoriestudium anzugehen, muss also sehr groß gewesen sein. Die gelegentlichen Reisen nach Wien waren mühsam. Damals gab es noch keine Bahnverbindung zwischen Linz und Wien, sie bestand erst ab November 1858. So wählte er die Fahrt donauabwärts mit dem Schiff und zurück mit der Postkutsche. 448 Gulden verdiente er als Organist in Linz, doch wenn er wegen seiner Weiterbildung ausfiel, musste er aus der eigenen Tasche einen Hilfsorganisten bezahlen und auch die Unkosten der Reisen waren nicht leicht zu stemmen. Außerdem musste er Mutter und Geschwister unterstützen. Gern hätte er seine Mutter zu sich genommen, doch die lehnte ab: „I pass net für die Stodt.“ Im Herbst 1860 begann sie zu kränkeln und starb binnen kurzer Zeit. Der Sohn ließ sie auf dem Totenbett fotografieren und bewahrte ihr Bild sorgfältig auf.

Anton Bruckners Drang nach Vervollkommnung war nicht zu bremsen. Bereits in St. Florian war seine Arbeitsleistung „erstaunlich, ja unbegreiflich“ (Wolfgang Johannes Bekh). An freien Tagen saß er nun bis zu zehn Stunden an seinem kostbaren Bösendorfer-Flügel, den er von einem früh verstorbenen Gönner erhalten hatte. An seine Gesundheit dachte er dabei nicht. Zuweilen schlief er bei den Privatstunden, die er nach seinem anstrengenden Orgeldienst auch noch gab, ein. Sein privater Lehrer Sechter wusste seinen Fleiß zu schätzen. Bruckner wohnte, wenn er in Wien war, in der Nähe von Sechters Wohnung, die in der Mariahilfer Straße lag, „in einem ruhigen kühlen Zimmer mit Aussicht auf einen Garten“, wo er die Nächte hindurch dicke Hefte mit kontrapunktischen Studien durchackerte. Um jede Zerstreuung zu vermeiden, ging er nicht einmal in die Oper. Stattdessen sammelte er Zeugnisse. Er habe noch nie einen fleißigeren Schüler gehabt, so Sechter. Da hatten sich zwei getroffen, die beide viel von Disziplin hielten.

Orgelspiel in Wien

Als Bruckner 1858 an der Orgel der Wiener Piaristenkirche sein Können zeigte, nahm auch die „Wiener Zeitung“ Notiz davon. Am 22. November 1861 legte er die berühmt gewordene Abschlussprüfung vor der Jury der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ab. Bruckner war jetzt 37 Jahre alt. Er hatte bereits so beachtliche Werke wie das D-Moll-Requiem und die B-Moll-Messe geschrieben und Erfahrungen auf dem Gebiet der weltlichen Chorkomposition. Constantin Floros: „Er muss jedoch das Gefühl gehabt haben, dass die so glanzvoll abgeschlossenen Studien bei Sechter nicht ausreichend waren, dass er der Kunst nicht Genüge geleistet hatte und vor allem, dass das Gebiet der Instrumentalkomposition für ihn Neuland war.“

Sein Anliegen war es deshalb, Erfahrungen eben auf diesem Gebiet zu machen. Sein nächster Mentor in Linz war schließlich Otto Kitzler, Kapellmeister und Cellist bei der Kirchenmusik im Alten Dom. Die Begegnung mit ihm gilt als schicksalshaft und hatte ungeahnte Folgen für den künstlerischen Werdegang Bruckners als großen Symphoniker. Bei ihm, der Bruckner vor allem mit der Musik der Romantiker bekannt machte, erhielt er in Linz von 1861 bis 1863 Unterricht in Formenlehre, Instrumentation und Komposition. Er ließ ihn einen Satz einer Klaviersonate schreiben, dann ein Streichquartett, dann Orchesterstücke, eine Ouvertüre und eine Symphonie.

Der bereits 40-jährige Organist hatte bis dahin kein Werk aus der prestigeträchtigen Gattung der Symphonik geschrieben, noch deutete nichts darauf hin, dass in Zukunft hier seine Bedeutung liegen würde. Man musste ihm den Weg weisen, Freunde hätten ihn „hineingetrieben“, sagte er später. Aus Bruckners Aufzeichnungen aus der Lehrzeit bei Kitzler lasse sich „mit Händen greifen, wie ein Komponist im 19. Jahrhundert sein Rüstzeug erwarb“, so Felix Diergarten in seiner Biografie. 1862 präsentierte sich Bruckner erstmals den Linzern als Komponist. Sein siebenstimmiges „Ave Maria“ errang einen „vollständigen Sieg“, so ein Bericht.

Die Linzer Zeitungen rühmen außerordentlich eine Messe von Anton Bruckner, welche kürzlich im Linzer Dome aufgeführt wurde. Bruckner ist den Wiener Musikfreunden vorteilhaft bekannt. Wir hoffen noch immer, dass man Schritte tun werde, um Bruckner, der für den besten Orgelspieler in Österreich gilt, für eine der größeren Kirchen Wiens zu gewinnen.
„Neue Freie Presse“, 14. 1. 1868

Ein Jahr danach, im Februar 1863, kam es zur ersten Aufführung von Richard Wagners „Tannhäuser“ in Linz. Kitzler hatte das Einverständnis des Komponisten eingeholt, studierte das Werk sorgfältig ein und dirigierte die Aufführung. Man kann davon ausgehen, dass Bruckner die Proben und die Aufführung besuchte, doch es fehlen schriftliche Aufzeichnungen aus seiner Hand. Fest steht, dass Kitzler ihn auf „die Schönheiten des Werks und auf die Neuheiten der Instrumentation“ aufmerksam machte. Die Biografen sprechen von einem Erweckungserlebnis, Bruckner habe Wagner kennen und lieben gelernt.

Komposition als Lebensziel

Typisch für Bruckner war das hohe Verantwortungsgefühl, Gewissenhaftigkeit und Disziplin. Lang hatte er den Wunsch, zu komponieren, unterdrückt. Jedes Mal verschob er die Erfüllung seines Wunsches. Spätestens seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Domorganist scheint er in der Komposition aber eines seiner wichtigsten Lebensziele erblickt zu haben. Doch zwei Jahre blieb seine Erste Symphonie liegen, bis sie im Frühjahr 1868 im Linzer Redoutensaal unter Bruckners Leitung aufgeführt wurde. Nun betrat er dezidiert weltliches Terrain und Linz nahm zur Kenntnis, dass in ihrer kleinen Stadt ein Nachfolger Beethovens zu erahnen war. Bruckner überarbeitete seinen Erstling in der Folge mehrmals. Sein Leben lang war er stolz auf sein „keckes Beserl“, wie er seinen Erstling nannte.

Mit dem Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte fielen also in der Biografie Bruckners wie der der oberösterreichischen Hauptstadt entscheidende Weichenstellungen. „Als einzige oberösterreichische Stadt war Linz mit der Zeit gegangen“, schreibt Georg Wacha, „Verkehrslage, Behördenkonzentration und wirtschaftlicher Aufschwung hatten aus dem verschlafenen Biedermeierstädtchen eine blühende Mittelstadt gemacht, der allerdings sicher niemand die rasante Umwandlung zum Schwerindustriezentrum wenige Jahrzehnte spätere voraussagte.“

In Bruckners Leben fallen in den Jahren 1855 bis 1868 wesentliche Entscheidungen: Er vertauschte das klösterliche und dörfliche Milieu mit dem säkularen und städtischen. Er wagte den Schritt vom Lehrer zum Berufsmusiker und entwickelt sich vom Organisten und Kirchenkomponisten zum Symphoniker. Es zeichnete sich eine konsequente künstlerische Entwicklung ab. Jetzt drängte er nach Wien. Der Abschluss seiner Linzer Jahre lag dann beim Weihnachts-Hochamt im Alten Dom 1868. Doch auch in den folgenden Jahren kam er immer wieder nach Oberösterreich und Linz. Bei der Uraufführung der Bischof Rudigier gewidmeten Messe in e-Moll 1869 führte der Bischof Bruckner in die Krypta des Doms und bot ihm an, dereinst hier begraben zu werden. Doch Bruckner wünschte seine letzte Ruhestätte in St. Florian. Als man 1884 Rudigier zu Grabe trug, eilte Bruckner wieder nach Linz, um seinem Bischof auf der Orgel den letzten Gruß zu sagen.

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