"Versteckt hinter Frauenröcken": Orbáns Mitstreiter unter Druck

Während des Papst-Besuchs im April 2023 begnadigte Präsidentin Novák einen Pädophilen-Mittäter. Das kostete sie das Amt.

In den sozialen Medien geht es mitunter hämisch zu. Nach den Rücktritten von Präsidentin Katalin Novák und Ex-Justizministerin und Fidesz-EU-Spitzenkandidatin Judit Varga verbreitete sich ein altes Foto auf X, das die beiden Politikerinnen strahlend in die Kamera lächelnd zeigt. Mit auf dem Foto: ein dunkelhaariger, bärtiger Mann mit Brille. Es ist József Szájer, ehemaliger Fidesz-Abgeordneter im EU-Parlament, der ungewollte Berühmtheit erlangte, als er während des Corona-Lockdowns 2020 in Brüssel spärlich bekleidet und mit einem Rucksack voller Ecstasy aus einem Fenster von einer Schwulenparty geflüchtet war.

Es war ein Riesenskandal, eine Blamage für die nationalkonservative Regierung von Premier Viktor Orbán, die sich als Beschützerin der traditionellen Familie inszeniert. Heute erscheint der Vorfall vergleichsweise belanglos angesichts der problematischen Begnadigung des wegen Vertuschung pädophiler Straftaten verurteilten Endre K., die Novák und Varga, die beiden einzigen Frauen in Ungarns politischem Apparat, am Wochenende zum Rücktritt zwang.

Seitdem geht es um die Frage, wer Varga und Novák den Namen des Verurteilten K. vorgeschlagen hat.

Als möglicher Kandidat gilt Zoltán Balog, Bischof der Reformierten Kirche und Ex-Minister für Humanressourcen. Balog gilt als “Mentor” der Ex-Präsidentin; Novák würde “alles für ihn tun”, beschreibt das unabhängige Medienportal hvg.hu deren Verhältnis.

Der Bischof war bereits einmal mit dem Fall in Verbindung gebracht worden: Er soll den wegen Pädophilie verurteilten Leiter des Kinderheims einst für eine staatliche Auszeichnung empfohlen haben. Auch die Familie des Begnadigten soll Verbindungen zu Balogs Kirche aufweisen. In einem Schreiben an die Leitung der Reformierten Kirche wies Balog jegliche Schuld zurück.

Vorwürfe aus dem inneren Kreis

Für Aufsehen sorgte auch Judit Vargas Ex-Mann Péter Magyar, der kurz nach dem Rücktritt Vargas in den sozialen Medien mit massiver Kritik am System Orbán aufhorchen ließ. Magyar gehörte selbst zum inneren Kreis Orbáns, legte aber am Wochenende ebenfalls alle Ämter nieder. Etwas anderes dürfte ihm nach seinem Posting auch nicht übrig geblieben sein: Er schrieb davon, dass sich die wahren Verantwortlichen “hinter den Röcken der Frauen” verstecken würden. In einem Interview mit dem Online-Medium Partizán sprach er von “immensem Kontrolldruck” und beschuldigte Orbáns engste Kabinettsmitarbeiter Antal Rogán, Gergely Gulyás und Balázs Orbán, die Fäden im Land zu ziehen.

“Das ist das erste Mal in 14 Jahren Orbán, dass seine Macht durch das Auspacken eines Insiders ernsthaft in Frage gestellt zu werden scheint“, kommentiert eine ungarische Journalistin. Auf YouTube wurde das Interview über 1,6 Millionen Mal geklickt, während die regierungsnahen Medien darüber kein Wort verloren.

Archivfoto 2017: Katalin Novák (im Bild mit Orbán) war stellvertretende Parteivorsitzende und Staatsministerin für Familien- und Jugendangelegenheiten, bevor sie im Mai 2022 Präsidentin wurde.

Balázs Böcskei, Direktor des politikwissenschaftlichen IDEA-Instituts in Budapest, nennt die Krise “beispiellos”: “Fidesz hat mit Novák eine Führungsperson der Zukunft verloren. Auch war es immer eine Stärke der Partei, sich von der Opposition durch ihre Identitätskohärenz, durch die Werte Konservatismus und Kinderschutz, abzugrenzen. Nun aber sind die grundlegende Identität und das politische Attribut der Fidesz-Partei beschädigt.” Noch hätten die von der Regierung kontrollierten Medien kein neues Leitmotiv gefunden, “das sie der Wählerschaft vermitteln können”.

Und Orbán selbst? Der Ministerpräsident hüllt sich, wie schon nach dem Schwulenparty-Skandal seines Ex-Vertrauten Szájer, in Schweigen. Unabhängigen Medien zufolge gelte es als unwahrscheinlich, dass Orbán nichts von der Begnadigung gewusst haben soll. Er kündigte bisher lediglich an, die Begnadigung von Missbrauchstätern per Verfassung verunmöglichen zu wollen. Am Mittwoch postete er in den sozialen Medien Bilder seiner Regierung mit der Foto-Überschrift: “Es gibt Arbeit zu tun!”

Unwahrscheinlich, dass Skandal schadet

Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass der Skandal Orbáns Machtapparat nachhaltig schadet. Zwar hat die Regierung an Glaubhaftigkeit verloren, selbst bei treuen Fidesz-Anhängern. Doch Ungarn wählt erst 2026 wieder, und die Opposition ist schwach.

Orbán wird sich bemühen, die öffentliche Aufmerksamkeit, etwa bei seiner Rede zur Lage der Nation am 17. Februar, wieder auf andere Themen zu lenken. Böcskei erwartet “einen konkreten Plan zur Rehabilitierung der Identität und der Schaffung eines neuen Interpretationsbereichs”. Mittlerweile ist ja auch der nackte Szájer vergessen.

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