„Nicht mal zehn Säulen in Deutschland“ – Der Plan für die Mobilitätswende auf dem Wasser

Elektrische Antriebe sind das Top-Thema auf der Wassersportmesse „boot“ in Düsseldorf – die Branche wolle und müsse grüner werden. Und tatsächlich steigt der Anteil der E-Boote in Deutschland. Bislang hemmt jedoch ein grundsätzliches Problem die Hersteller.

„nicht mal zehn säulen in deutschland“ – der plan für die mobilitätswende auf dem wasser

Berlin mit seinen 33.000 Fließgewässern in Stadt und Umland spielt bei der Elektrowende auf dem Wasser eine zentrale Rolle Getty Images

Big Willi hat jetzt Pause. Zuvor musste der Spezialkran der Messe Düsseldorf immer wieder Schwerstarbeit verrichten und große Boote und Yachten aus dem Rhein hieven und auf Tieflader manövrieren, die ihre tonnenschwere und millionenteure Fracht dann in die Messehallen fuhren, wo sie ab sofort zu den Highlights der weltgrößten Wassersportmesse „boot“ gehören.

Etwa die San Lorenzo SL90A, eine 27,60 Meter lange Motor-Superyacht mit vier Gästekabinen, Glasfaser-Rumpf und bis zu 29 Knoten Geschwindigkeit, deren Preis je nach Ausführung bei 7,8 Millionen Euro anfängt. Oder die Azimut Magellano 60, eine drei-etagige Yacht mit zwei 760-PS-Motoren für bis zu 26 Knoten Geschwindigkeit und großzügigen Panorama-Fensterflächen für den freien Blick aufs Meer zum Preis von mindestens 1,65 Millionen Euro.

Dazu kommen noch etliche weitere Schiffe für die Reichen und Schönen, die als Blickfang dienen und die fast 250.000 erwarteten Besucher beeindrucken dürften. Das Top-Thema der Messe ist indes ein anderes, wie Veranstaltungsdirektor Petros Michelidakis betont: nämlich die Mobilitätswende auf dem Wasser mit zum Beispiel elektrischen Antrieben. „Hier tut sich gerade sehr viel“, sagt der Messe-Macher mit Verweis auf die Aussteller der „boot“.

Aktuell liegt der Anteil der Freizeitboote mit Elektromotor hierzulande bei geschätzt zwei bis 2,5 Prozent, meldet der Bundesverband Wassersportwirtschaft (BVWW). Das seien doppelt so viele wie noch vor drei Jahren. „Die Kurve geht mittlerweile steil nach oben“, berichtet BVWW-Geschäftsführer Karsten Stahlhut.

„nicht mal zehn säulen in deutschland“ – der plan für die mobilitätswende auf dem wasser

Auf der Messe boot 2024 steht die E-Mobilität zu Wasser im Fokus dpa/Federico Gambarini

„Denn unsere Branche muss und will deutlich grüner werden.“ Zum Vergleich: Im Autobereich gibt es laut dem Kraftfahrtbundesamt aktuell 2,2 Millionen Elektrofahrzeuge. Angesichts der insgesamt zugelassenen 48,8 Millionen PKW liegt der entsprechende Anteil damit bei rund 4,5 Prozent. Wobei Neuzulassungen 2023 laut ADAC zu 18,4 Prozent einen E-Motor hatten.

Im Bootsbereich handelt es sich in den meisten Fällen bislang um sogenannte Außenborder, also um Motoren, die meist am Heck von außen am Boot angebracht werden und mit geringem Aufwand abnehmbar sind. Auch die Akkupacks können bei dieser Art von Motor mühelos ausgetauscht oder herausgenommen und geladen werden. Fest verbaute Innenborder sind dagegen noch vergleichsweise selten.

Wenige Ladestationen, weil die Nachfrage niedrig ist

Zumal es bundesweit kein flächendeckendes Ladenetz gibt, wie Experte Stahlhut erklärt: „Wahrscheinlich sind es aktuell sogar nicht mal zehn Säulen in den Marinas in Deutschland.“ Denn für die Hafenbetreiber lohne sich die entsprechende Investition noch nicht. „Das ist ein Henne-Ei-Problem“, sagt Stahlhut.

„Die Nachfrage nach Elektro-Innenbordern ist niedrig, weil es nur sehr wenige Schnelllade-Stationen gibt – und es gibt nur sehr wenige Ladestationen, weil die Nachfrage niedrig ist.“ Der BVWW fordert daher ein Förderprogramm des Bundes, um Anschubfinanzierungen für solche Ladestationen bereitzustellen.

Als Vorbild dient dabei zum Beispiel Skandinavien. Seit dem Frühjahr 2023 entstehen dort über 400 Ladepunkte entlang der schwedischen und der norwegischen Küste von Göteborg bis Kristiansand. Dahinter steht das Kooperationsprojekt „go:LEIF“, für das auch EU-Mittel fließen. In den Niederlanden wiederum soll in der Provinz Friesland ein lückenloses Schnellladenetz auf einer Wasserstraßenstrecke von rund 100 Kilometern aufgebaut werden, unterstützt durch die niederländische Regierung.

Auch in Deutschland geht es vor allem um Binnengewässer – wegen der meist kürzeren Laufzeiten, vor allem aber wegen der geringeren Größe der Boote. Denn mit dem Umfang eines Wasserfahrzeugs steigt auch das Gewicht einer Batterie.

„Für die größeren Schiffe und Yachten sind eher Brennstoffzellen oder E-Fuels ein Thema“, sagt Stahlhut. Sein Verband setzt sich aktuell mit Partnern aus Wirtschaft und Tourismus dafür ein, das Thema Elektromobilität auf dem Wasser durch die Einrichtung einer Modellregion voranzutreiben.

Auserkoren wurde dafür die Region Berlin-Brandenburg. Denn dort befinde sich mit rund 3000 Seen und mehr als 33.000 Kilometern Fließgewässern Europas größtes zusammenhängendes Wassersportrevier mit einer entsprechend großen Verfügbarkeit von Routen und Anlegestellen für die Nutzung und Erprobung von Elektrobooten.

Geplant ist zudem Stahlhut zufolge eine große Grundlagenstudie zur Elektromobilität auf dem Wasser, um verlässliche Daten zu haben und eine Zukunftsstrategie aufsetzen zu können.

Elektrische Antriebe sind für die Wassersportwirtschaft der Hebel, um einerseits die CO₂-Emissionen gemäß den europäischen Zielen zu senken und andererseits das Wasser nicht zu verunreinigen. Aktuell gibt es laut dem BVWW rund eine Million Bootssportler in Deutschland mit rund 480.000 Booten in Eignerschaft.

Längst nicht alle davon haben einen Motor. Denn die Menge teilt sich nach Verbandsangaben auf in rund 130.000 Segelyachten und 160.000 Motorboote mit Kajüte, der Rest sind Dinghys, Sportboote und kleine Motorboote.

Genutzt werden sie alle im Durchschnitt für gerade mal 50 Stunden pro Jahr, die restliche Zeit ankern sie in den Häfen oder liegen an Land. „Die gesamte Bootsflotte in Deutschland verursacht damit pro Jahr genauso viel CO₂ wie ein einziges Kreuzfahrtschiff“, sagt Verbandschef Stahlhut.

Und viele neue Boote kommen aktuell nicht hinzu. Denn die Konjunktur in der Branche ist eher gedämpft, jedenfalls verglichen mit der Corona-Zeit, als Wassertourismus in Deutschland einen kräftigen Boom erlebt hat.

Dem BVWW zufolge lag die Zahl der neu gemachten Bootsführerscheine in den Pandemiejahren 2021 und 2022 um locker 20 Prozent über dem sonst üblichen Niveau. Und viele dieser Neusteiger haben damals auch Boote gekauft, meist in der Klasse bis sieben Meter.

In Frankreich werden Boote zu 80 Prozent finanziert

„Nun ist dieser Markt erstmal gesättigt“, sagt Branchenvertreter Stahlhut. Zwar wolle ein Teil dieser Eigner nun gerne in die nächsthöhere Klasse aufsteigen, gemeint sind dabei zum Beispiel Boote mit einer Länge von sieben bis zwölf Meter. Im Zuge von Inflation und Lieferkettenproblemen sind die Preise allerdings massiv angestiegen, Stahlhut zufolge um bis zu 80 Prozent.

Eine Bavaria Cruiser 37 etwa, also eine Seriensegelyacht des deutschen Herstellers Bavaria Yachtbau, koste mittlerweile bis zu 250.000 Euro. 2020 seien es noch 135.000 Euro gewesen. Und bei Booten ist die Finanzierungsquote vergleichsweise gering in Deutschland, meldet der BVWW, anders als etwa beim Autokauf. Zum Vergleich: In Frankreich werden Boote zu 80 Prozent finanziert.

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