«Wie ihre Schilde» – 15'000 Nepalesen sollen sich russischer Armee angeschlossen haben

«wie ihre schilde» – 15'000 nepalesen sollen sich russischer armee angeschlossen haben

Aktivistinnen protestierten am 5. Februar vor der russischen Botschaft in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Sie fordern die Rückkehr von Nepalesen, die für den Krieg in der Ukraine rekrutiert worden waren.

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Angebote von russischen Agenten scheinen daher verlockend: Sich für gutes Geld der russischen Armee anschliessen und gegen die Ukraine kämpfen. Ein grosser Fehler, wie viele Nepalesen an der Front merken.

Dass Russland Mühe hat, Soldaten für den bald zweijährigen Ukraine-Krieg zu rekrutieren, ist kein Geheimnis. Deshalb werden nicht nur junge, sondern auch alte, kranke und sogar inhaftierte Männer für den Dienst eingezogen.

Nicht nur das: Auf TikTok versuchen sie, verzweifelte, perspektivlose Ausländer für ihren Krieg zu rekrutieren. Auf diese Weise sollen sie bereits Tausende von Nepalesen als Kanonfutter in den Ukrainekrieg geschickt haben.

Horror in Bachmut

Jahrelang suchte der 37-jährige Ramchandra Khadka in seiner Heimat Nepal nach Arbeit. Ohne Erfolg. Bis sich ihm die Möglichkeit bot, sich der russischen Armee im Kampf gegen die Ukraine anzuschliessen – und er zusagte.

Es war eine Arbeit, die er kannte. Er hatte bereits in der Vergangenheit gekämpft, wie er gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender CNN erzählt: in den 1990er-Jahren, mit den maoistischen Rebellen in Nepal, dann mit den NATO-Streitkräften in Afghanistan.

Im September letzten Jahres trat er seine Reise nach Russland an. Nach seiner Ankunft in Moskau durchlief er eine zweiwöchige Ausbildung, bevor er direkt an die Front in Bachmut geschickt wurde – einer der meist umkämpften Städte in der Ostukraine. Dort schlug ihm die Realität entgegen. Es war anders als in Nepal, anders als in Afghanistan.

In Nepal und Afghanistan kämpfte er für eine Sache, in der Ukraine bloss für sich und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mit dem Vorhaben von Russland war er nicht einverstanden:

«Es ist nicht richtig, in ein anderes Land einzumarschieren. Jeder hat das Recht, zu leben. Alle Länder sollten die Souveränität eines anderen Landes respektieren. Es ist nicht richtig, dass Menschen aus irgendeinem Land auf so abscheuliche Weise getötet werden. Es ist nicht richtig, dass Zehntausende von Menschen für die Interessen von ein paar wenigen sterben.»

«wie ihre schilde» – 15'000 nepalesen sollen sich russischer armee angeschlossen haben

Khadka im Gespräch mit einem CNN-Reporter.

Aus Verzweiflung schloss er sich der russischen Armee dennoch an. Eine Entscheidung, die er rückblickend bereut:

«Ich bin nicht zum Vergnügen zum russischen Militär gegangen. In Nepal gab es für mich keine Arbeitsmöglichkeiten. Aber im Nachhinein betrachtet war es nicht die richtige Entscheidung. Uns war nicht klar, dass wir so schnell an die Front geschickt werden würden und wie schrecklich die Situation sein würde.»

Von Bachmut sei nicht viel übrig, erzählt Khadka. Die Natur, sowie fast alle Häuser, seien zerstört worden.

«Die Situation dort ist so grausam, dass man weinen möchte.»

Khadka wurde zweimal in Bachmut eingesetzt und verbrachte insgesamt einen Monat dort, bis er während seines zweiten Einsatzes von einer Kugel in der Hüfte getroffen wurde. Kameraden hätten ihn hinter die Frontlinie gezogen, erzählt er. Dort hätte es ihn erneut erwischt – von einem Schrapnell einer Streubombe. Er hatte Glück im Unglück, erholte sich von seinen Verletzungen und kehrte in seine Heimat zurück.

Verlockende Angebote aus Russland

Diverse Quellen – darunter zurückgekehrte Söldner – schätzten die Zahl der Nepalesen in der russischen Armee auf 15’000, schreibt CNN. Grund dafür dürfte das lukrative Paket sein, welches die russische Regierung vergangenes Jahr für ausländische Kämpfer angekündigt hatte.

Dieses soll ein monatliches Gehalt von mindestens 2000 Dollar und – nach einem Dienstjahr oder teils sofort – einen russischen Pass enthalten. Für Nepalesen beides äusserst lukrativ: Mit einem Bruttoinlandprodukt von 1336 Dollar pro Kopf (Jahr 2022) gehört Nepal zu einem der ärmsten Länder der Welt. Im Ranking zur Reisefreiheit von Henley und Partners klassiert sich das südasiatische Land auf dem acht letzten Platz. Mit dem nepalesischen Pass können nur 40 Länder visumfrei bereist werden – mit dem Schweizerpass sind es 190.

Hinzu kommt noch, dass den meisten Nepalesen bloss Arbeit als «Helfer» und nicht als Kämpfer versprochen worden sei, berichtet der amerikanische Rundfunksender NPR nach Interviews mit Söldnern. Alles in allem also ein verlockendes Angebot – insbesondere für Männer zwischen 15 und 29 Jahren. Die Arbeitslosenquote in dieser Altersklasse beträgt in Nepal satte 19,2 Prozent.

Auch der 25-jährige Atit Chettri stiess auf ein Angebot der Russen – auf TikTok. Er habe sich gemeldet und innert Minuten eine Antwort erhalten, erzählt er Al Jazeera. Der russische Agent habe ihm einen Lohn von 3000 Dollar pro Monat versprochen, zunächst aber noch 9000 Dollar für die Reise verlangt.

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Ein TikTok-Video, das nepalesische Söldner beim Training in Russland zeigt.

Eine Investition in eine bessere Zukunft, dachte sich Chettri und sagte zu. Vier Tage später hatte er ein Ticket und ein Touristen-Visum in den Händen. Am 21. Oktober 2023 führte ihn die Reise über Dubai – und nach einem kleinen Zwischenfall – nach Moskau.

«Der Agent hatte mich gebeten, ihn anzurufen, wenn ich bei der Einwanderungsbehörde Probleme hätte. Die Einwanderungsbehörde hielt mich eine Zeit lang auf, liess mich aber sofort wieder gehen, nachdem ich meinen Agenten angerufen hatte.»

Ein weiterer nepalesischer Söldner erzählte Al Jazeera, dass 30 weitere Nepalesen mit ihm das Flugzeug nach Moskau bestiegen hätten. Bei seiner Ankunft habe er, wie alle anderen auch, einen Jahres-Vertrag unterschreiben müssen.

Zu Beginn schien sich das noch zu lohnen. Der 36-jährige Bharat Shah arbeitete für 650 Dollar pro Monat als Verkehrspolizist in Dubai, wie Al Jazeera berichtet. Kurz nach seiner Ankunft in Russland tätigte er eine einmalige Überweisung von 1900 Dollar in seine Heimat. Doch die Freude währte nicht lange: Am 26. November starb er auf dem Schlachtfeld. Er hinterlässt eine Frau, einen vierjährigen Sohn sowie eine zwei Monate alte Tochter, die er nie gesehen hat.

Der Preis ist hoch

Die brutale Realität setzt bei vielen Nepalesen erst ein, wenn sie die Front erreichen. Ram Sharma (ein falscher Name, um seine Anonymität zu wahren) ist nach drei Monaten aus Russland geflüchtet. Gegenüber CNN erzählt er:

«Wenn man die grausamen Bilder an der Front sieht, wenn man seine Freunde neben sich sterben sieht, wenn man weiss, dass die Überlebenschancen sehr gering sind … dann wird einem klar, dass das Geld es nicht wert ist. Deshalb bin ich geflohen.»

Das Geld, das er während seiner Zeit in der Armee verdient hat, wird er möglicherweise nie erhalten. Er kann zwar auf sein russisches Bankkonto auf dem Handy zugreifen, bezweifelt aber, dass er das Geld nach Übersee überweisen kann.

Der 32-jährige Bimal Bhandari (ebenfalls ein falscher Name) hatte weniger Glück. Er erzählt Al Jazeera aus einem russischen Spitalbett von seiner gescheiterten Flucht. Gemeinsam mit einem Kameraden hatte er sich an einen nepalesischen Agenten in Russland gewandt, der ihnen für 3000 Dollar pro Person einen Fluchtplan hätte organisieren sollen. Sie seien das Risiko eingegangen und am Stichtag bei minus 19 Grad 17 Kilometer lang durch knietiefen Schnee gestapft, bis sie am erwähnten Treffpunkt eingetroffen seien. Doch statt von Helfern seien sie dort von der russischen Grenzkontrolle aufgegriffen worden. Jetzt erholt sich Bhandari in einem russischen Spital von einer Unterkühlung, danach wird er zurück an die Front geschickt.

Ein anderer Nepalese, der nun in der Ukraine in Kriegsgefangenschaft sitzt, warnt andere Nepalesen in einem auf X geteilten Video davor, sich der russischen Armee anzuschliessen. Er betont:

«Geld und Reisepass sind nicht alles. In Nepal lebt ihr als gute Menschen.»

«Waren wie ihre Schilde»

Egal, mit wem die nepalesischen Söldner sprechen, sie berichten alle dasselbe: Sie erhielten kaum eine Ausbildung, bevor sie in den Krieg geschickt wurden. Wieso ist mittlerweile vielen von ihnen klar: Sie dienen bloss als Kanonfutter. Vor allem Nepalesen, Tadschiken und Afghanen würden direkt an die Front geschickt, erzählt ein nepalesischer Söldner gegenüber Al Jazeera. Die Russen würden derweil hinter ihnen zurückbleiben:

«Die Russen haben uns einfach von hinten kommandiert. Wir waren wie ihr Schild.»

Gegenüber CNN bestätigen andere nepalesische Söldner diese Beobachtung:

«Es sind die Nepalesen und andere ausländische Kämpfer, die an der Front der Kriegsgebiete kämpfen. Die Russen positionieren sich ein paar hundert Meter zurück als Unterstützung.»

Ihre Kameraden seien vor allem aus dem Globalen Süden gekommen: Afghanistan, Indien, Kongo, Ägypten. Russisch hätten sie alle nicht verstanden. Eine Tatsache, die sich auf dem Schlachtfeld tödlich auswirken könne, erzählt Khadka.

«Manchmal weiss man nicht einmal, wohin man gehen soll oder wie man dorthin kommt.»

Er habe meistens per Stimmübersetzungs-Apps oder schlicht mit Handzeichen mit russischen Offizieren kommuniziert. Doch an der Front – als Kanonenfutter – ist auch das nutzlos.

Die Regierung greift ein

Die Regierung schätzt, dass sich etwa 200 Nepalesen der russischen Armee angeschlossen hätten, schreibt die nepalesische Zeitung The Annapurna Express.

Gespräche von CNN mit Beamten und betroffenen Familien deuten aber auf eine viel höhere Zahl hin. Gemäss der ehemaligen Aussenministerin Bimala Rai Paudyal sollen zwischen 14’000 und 15’000 Nepalesen an der russischen Front kämpfen. Sie verlangt von Russland die Herausgabe von Zahlen:

«Die russische Regierung muss über die Daten verfügen, wie viele ausländische Kämpfer sich der russischen Armee angeschlossen haben und wie viele Nepalis für Russland kämpfen.»

Ein weiterer Anhaltspunkt für die vielen nepalesischen Soldaten in Russland sind die verzweifelten Familien, die zurückbleiben. CNN sprach mit Kritu Bhandari, einer Politikerin und Sozialaktivistin, die einer Gruppe von zurückgebliebenen Familienangehörigen vorsitzt. Gemäss ihren Angaben hätten sich in den letzten Wochen fast 2000 Familien an sie gewandt und sie um Hilfe gebeten. Viele von ihnen haben den Kontakt mit ihren Männern in Russland verloren oder wollen sie wieder nach Hause bringen.

Auch wenn die nepalesische Regierung die Zahl der nepalesischen Söldner in Russland zu unterschätzen scheint, möchte sie ihre Staatsbürger schützen: Gemäss der Nachrichtenagentur Reuters hat sie den Nepalesen Anfang Januar verboten, für die Arbeit nach Russland zu reisen, und Russland gebeten, mit deren Rekrutierung aufzuhören.

Gegenüber Al Jazeera betont Amrit Bahadur Rai, Sprecher des Aussenministeriums:

«Wir stehen in regelmässigem Kontakt mit der russischen Regierung und haben sie um die Namensliste der nepalesischen Rekruten gebeten, um sie zurückzuschicken und die Leichen bald zu überführen.»

Bisher hat sich Russland zu keiner der nepalesischen Anfragen öffentlich geäussert.

Dem 37-jährigen Ramchandra Khadka, der aufgrund seiner Verletzungen in seine Heimat zurückkehren konnte, bleibt nur das Beten. Vor einem Tempel inmitten Kathmandus zündet er Kerzen für seine Kameraden in Russland an. Wie CNN schreibt, wünscht er sich nichts mehr, als dass seine nepalesischen Freunde den brutalen Krieg überleben.

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