Literaturwissenschaft: Drei Fragen zu Franz Kafka

Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka, doch die Themen seiner Werke sind bis heute aktuell. Drei Fragen an Literaturwissenschaftlerin Cornelia Ortlieb, Illustratorin Merle Stanko und Kafka-Biograf Peter-André Alt.

1. „Ein Klassiker ist ein Autor, dessen Namen jeder kennt, ohne dass sein Werk gelesen wird“ – das Zitat stammt aus einem Interview mit Peter-André Alt. Ist Kafka (auch) in diesem Sinne ein Klassiker?

Peter-André Alt: Unter wirkungsgeschichtlichen Aspekten, die meine Definition leiten, ist Kafka ein Klassiker. Folgt man dagegen den Kriterien der Stil- und Geistesgeschichte, die das Klassische an formale Harmonie und humanistische Botschaften bindet, sieht es anders aus.

Geschichten, in denen Väter ihre Kinder zum Tode verurteilen, Handlungsreisende sich in Käfer verwandeln, Hinrichtungsmaschinen und anonyme Gerichtsapparate Menschen peinigen und Rechtsordnungen wie Labyrinthe erscheinen, können keine Klassiker sein. Kafkas literarische Welt, die aus Täuschungen, Betrug und Doppelsinn besteht, ist so wenig klassisch, wie es unsere Ängste oder Träume sind, die uns immer wieder neu beunruhigen.

Cornelia Ortlieb: Kafkas Texte sind zeitlos gültig und in diesem (klassischen) Sinn klassisch, sein Name ist zugleich die Chiffre für eine Moderne, in der wir staunend unsere eigene wiedererkennen. Flugapparate, Kinofilme, Maschinen zur Stimmenübertragung und technische Schreib-Einrichtungen finden sich in seinen Erzählungen wie selbstverständlich neben archaisch anmutenden Mischwesen, ohnehin scheinen Tiere und Dinge aller Art hier ein seltsames Eigenleben zu führen.

Alles sitzt, alles ruht, alles bewegt sich in einer Sprache, die nicht ihresgleichen kennt, noch dort, wo sie den alten Mythos der Sprachverwirrung zitiert, in einem einzigen tiefgründigen Satz: „Wir graben den Schacht von Babel“.

Merle Stanko: Kafka und seine Werke zählen (auch) in diesem Sinne zu Klassikern der Literatur – so nimmt die Deutsche Sprache sogar seinen Namen in den Duden mit dem Begriff „kafkaesk“ auf und verbindet seine Werke dadurch mit etwas „Bedrohlichem“. Als Klassiker kann Kafka dem Ruf des Kafkaesken kaum entfliehen. Schade für jenes Publikum, das seinen Namen kennt, nicht jedoch die Texte. Denn Kafka und seine Texte können mehr als das unzuverlässige Erzählen in bedrohlichen Szenarien. Oft wird vergessen, dass er neben dem tiefgründigen Grübler auch komisch ist und humorvoll gelesen werden darf.

2. Kafkas auch im Wortsinn fabelhafte Erzählungen laden zu Übersetzungen in Bilder ein: im Fernsehen, im Film, auf der Bühne. Merle Stanko hat den berühmten „Bericht an eine Akademie“ in einen Comic übersetzt. Lässt sich Kafka, der sich selbst auch in Zeichnungen ausdrückte, über Bilder enträtseln?  

Merle Stanko: Kein Autor und kein Text werden jemals vollständig enträtselt werden können. Jedes Werk, das individuell geschaffen wird, wird individuell gelesen werden. So sind auch Comic-Adaptionen von Kafka ganz eigene Werke mit neuen Inhalten: Ihre Bilder sind ein Ausdrucksmittel, mit dessen Hilfe Sinn geschaffen und Gelesenes dekodiert wird.

Eine gute grafische Adaption von Kafka vereindeutigt den Text nicht, sondern spielt mit seiner Mehrdeutigkeit und mag dadurch sogar noch mehr Rätsel aufgeben. Die neugierigen Leserinnen und Leser bilden sich ihre eigene Meinung aus ihrer Lese- und Lebenserfahrung.

Peter-André Alt: Kafka entwickelte seine Texte aus den Arsenalen des Unbewussten. Die Systeme der Macht, die Sphären von Schuld und Strafe, die sozialen Konfigurationen, die er uns vorführt, sind letzthin psychisch strukturiert. Sichtbar werden solche seelischen Ordnungen durch geschlossene Räume und Körper, offene Landschaften und Tiergestalten, Menschengruppen, Gebärden und Physiognomien – die Chiffren für Macht und Ohnmacht.

Wer Kafkas epische Welten in Bildern oder Filmen zu visualisieren sucht, übersetzt sie in ein anderes Medium, ohne sie dadurch jedoch zu erklären. Ähnlich wie Kafkas eigene Zeichnungen machen sie eine ungeheure Welt sichtbar, lassen sie aber deshalb nicht weniger erratisch erscheinen.

Cornelia Ortlieb: Kafka zeichnet auch im Schreiben: Briefe und Notizen sind mit Skizzen illustriert, einzelne Buchstaben kalligrafisch gestaltet, Seitenränder mit Ornamenten verziert. Alle Zeichnungen neuerdings in einem gewichtigen Buch betrachten zu können, ist eine eigentümlich neue Erfahrung, teils intim und berührend.

Die vielen Porträts geben indirekt auch den Zeichner selbst zu erkennen, die bekannten ironisch reduzierten Tusche-Strichmännchen sind nur, buchstäblich, Ausschnitte. Kafkas Sprachbilder bleiben jedoch eindringlich rätselhaft, wie die „Telephonhörmuscheln“, in denen sein Traum-Ich nichts hört „als einen traurigen, mächtigen, wortlosen Gesang und das Rauschen des Meeres“.

3. „Exile der Liebe, neue Sprachen, kleine Frauen und ihre Vorbilder. Kafkas Berlin“ – so hieß im vergangenen Jahr ein Vortrag von Cornelia Ortlieb im Rahmen der Ringvorlesung „Berlin im Krisenjahr 1923: Parallelwelten in Literatur, Wissenschaft und Kunst“. Wo finden wir Kafkas Berlin im heutigen Berlin?

Cornelia Ortlieb: Wir könnten in der Tucholskystraße die Spuren der „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ entdecken, die Kafka 1923 als „einen Friedensort in dem wilden Berlin“ bezeichnet hat, mit Hans-Gerd Kochs unverzichtbarem Buch „Kafka in Berlin“ die Wohnungen Felice Bauers und Kafkas suchen, uns an sein Glück mit Dora Diamant erinnern und in seinen Schriften unser Berlin als einen Sehnsuchtsort wiedererkennen, der nicht nur den Emigrierten Freiheit und ein anderes Leben verspricht.

Kafkas Berliner Erzählungen handeln auch von existenziellen Sorgen und Bedrohungen in krisenhaften Zeiten, „Der Bau“ und „Eine kleine Frau“ geben zeitlose Innenansichten prekärer Existenz, mit Weisheit und Witz.

Merle Stanko: Wenn man davon ausgeht, dass Kafkas Berlin für einen versuchten Neuanfang stand, für ein „ganz anderes Leben“, so finden wir dies überall im heutigen Berlin. Eine Stadt, die für Freiheit, für Inspiration und für Künstlertum stehen kann; ein Berlin, das durch seinen Angebotsüberfluss den Suchenden viel Raum zum Entdecken bietet. Und am Ende des Tages findet man sich vielleicht trotzdem wie Kafka eingeengt in einer Mietwohnung auf dem Schreibtisch liegend oder gedankenvoll in den Hof starrend – nur auf der Schwelle zum eigentlichen Sein.

Peter-André Alt: Das Hotel „Askanischer Hof“, wo Kafka wohnte, wenn er seine Verlobte Felice Bauer in Berlin besuchte, lag an der Königgrätzer Straße 21. Hier fand am 12. Juli 1914 jene quälende, zur Trennung führende Aussprache mit Felice statt, die Kafkas Tagebuch als „Gerichtshof im Hotel“ bezeichnete – Ausgangspunkt für die Entstehung seines Romans „Der Process“.

An der heutigen Stresemannstraße 111 steht kein Hotel mehr, sondern ein modernes Bürogebäude mit zahlreichen Stockwerken. Zu den Mietern gehört auch eine Versicherungsgesellschaft – dem öffentlichkeitsscheuen Versicherungsjuristen Franz Kafka würde dieses zufällige Zeichen der Erinnerung an ihn vermutlich gut gefallen, weil es nicht jedem ins Auge springt.

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